Wenn man so einen Stadtführer in andere Sprachen übersetzt, dann verändert sich die Welt. Sogar die Stadt selbst verändert sich - wenn auch nicht wirklich - zu Klein-Paris. Das wäre schön. Aber es bleibt ein Traum, auch wenn es den Stadtführer "Leipzig an einem Tag" von Doris Mundus jetzt auch in einer französischen Variante gibt.

Und was in der englischen Version schon wie ein flotter Stadtrundlauf für Businessmen klang, verändert sich in der französischen erst recht ins Weltläufige. Das beginnt schon mit dem Start am Hauptbahnhof. Was für ein klotziges deutsches Wort das ist, merkt man sofort, wenn stattdessen Gare centrale da steht und die Autorin flotten Fußes erklärt: “La gare centrale constitue le point de départ idéal pour une découverte du centre ville de Leipzig.” Fehlt zwar der Bindestrich bei centre-ville. Aber es klingt schon mal nach ganz was anderem als einer “Entdeckung der Innenstadt”. Als würden überall Fähnchen wehen, farbige Markisen aufgespannt sein und die geschäftstüchtigen Bürger emsig, aber locker von Termin zu Termin eilen. “Bonjour, Monsieur!” – “Bonjour, Madame!” Man bekommt gleich so eine Stimmung, als hätte man drei Kilo Bauchspeck verloren und wäre ein fröhlicher französischer Weintrinker geworden, der zum spätsommerlichen Erscheinungsbild der Damenwelt nur bartzwirbelnd kommentiert: “Olálá!”

Auch wenn es erst einmal zur Eglise Saint-Nicolas geht, linkerhand zur ancienne Ecole Saint-Nicolas und zur Colonne Saint-Nicolas, die so bizarr und schön erinnert an “la Révolution pacifique de 1989”. Gleich um die Ecke gibt’s ja dann eine Kostprobe echter deutscher Wortwucht: Speck’s Hof. Unübersetzbar, wie es scheint. Anders als das zartfühlende Maison Riquet oder das Forum d’histoire contemporaine. So nebenbei wird auch erklärt, dass Leipzigs Passagen eigentlich passages couverts sind, überdachte Passagen.

Man hat seine Freude. Denn mit diesem Heft verändert sich so Manches, von dem man nun schon dachte: Das ändert sich nie. Etwa der Naschmarkt, der in dieser französischen Variante zum marché gourmand wird – also zum naschhaften Markt. Wobei man gourmand auch als habgierig übersetzen könnte. Was dann vielleicht eine kleine Reminiszenz des Übersetzers an die dort zu findende Alte Börse, la Ancienne bourse, sein könnte, dem zuckersüßen barocken Treffpunkt “pour les marchand de la foire”. Wie das klingt. Als wären aus einfachen Messehändlern kurzerhand Admiräle des Großen Geschäfts geworden.

Staunen werden die Franzosen, die sich das Heftchen zulegen, wenn sie die kleine Schwester ihres großen Paris besuchen, über die Vielzahl von Monumenten – Goethe, Bach, Mendelssohn … Als wären die Leipziger besonders vergesslich. Sie haben einen Marché, wie sich das gehört, und gleich zwei Hotel de ville, ein altes und ein neues. Aus Robert Blum wir ein “homme politique, orateur éloquent et répresentant de la Gauche démocratique”. Wer betrachtet Politiker noch als politische Menschen? – So tauchen Klüfte in unserem Denken auf, die hätte man gar nicht vermutet.

Selbst das so spröde Bildermuseum verwandelt sich in ein „Musée des beaux-arts”. Das könnte so auch in Paris stehen – nur wäre es dort nie und nimmer so ein in sich gefügter Glasklotz geworden. Bausünden kennen die Pariser auch, aber da heißt das natürlich schöner, sinnlicher. So wie das mit den Leipziger Lerchen passiert, wenn sie die Sprache wechseln. Dann werden es “alouettes de Leipzig”. Und wenn aus der vierschrötigen Klostergasse eine “ruelle du monastère” wird, dann bekommt man gleich so ein kleines Gänsehautgefühl wie bei  Eugène Sue: “Les Mystères de Paris”! Aber wo sind die Geheimnisse von Klein-Paris? Wo nur? Henner Kotte sucht sie ja bekanntlich seit Jahren. Aber sie liegen wahrscheinlich tief vergraben im Marais de Saxe. Den man im Leipzig-Stadtführer natürlich nicht findet. Den Marais findet man in Paris. Und der Leipziger Marais heißt Brühl. Was wohl nicht übersetzbar ist.

Doris Mundus lässt auch auf Französisch Luther und Eck in der Pleißenburg debattieren, was nachweislich nicht stimmt. Sie disputierten im alten kurfürstlichen Schloss. Chateau auf französisch, erst Lotter baute eine Burg, la Pleissenbourg, wie es im Randtext heißt.

Manche Legenden aus der Leipziger Stadtbilderklärung sind unauslöschbar. Sie leben fort.

Der Rest ist Lebensart. Etwa wenn die Stadtväter sich ein eigenes Magazin leisten: le grand magasin municipal. Natürlich ist das das Städtische Kaufhaus, bei dem man noch kurz den bronzenen Kaiser Maximilian bestaunt, bevor man zum Place d’Auguste kommt, die Université bestaunt und das “grand immeuble de Kroch”. So klingt das, nach dem, was es ist: ein großes Möbelstück an einem gut möblierten Platz. Und wer jetzt erschöpft ist vom Flanieren, der kann sich sein letztes Ziel an diesem Tag aussuchen – die Opéra oder das Maison de Mendelssohn? Oder doch lieber auf einen Aperitif ins – autsch, das hat das Englische  reingefunkt und bietet ein seltsames Restaurant “Tower – Plate of Art” an. So heißt das Panorama-Restaurant tatsächlich im Untertitel. Wahrscheinlich war da der Marken-Createur (oder war’s ein Creator?) vom Höhenrausch mitgenommen. Oder der Kellner hat was in den Kaffee gekippt.

Da werden Franzosen ihren Wein vielleicht doch lieber in der Bastion Maurice trinken und hinterher noch einen Ausflug zum Monument de la Bataille des Nations machen. Wenn sie damit überhaupt was anfangen können. Denn in französischen Schulbüchern steht Napoleons Niederlage als Bataille de Leipzig. Und die Sachsen waren ja schuld, dass er verloren hat. Sie sind mitten in der Schlacht einfach übergelaufen zu den Preußen. Sonst hätte er nämlich gewonnen, hätte er, der empereur des Francais, an diesem verflixten 18. Oktober. Hätte er. Hat er aber nicht.

Hinten im Heft gibt es dann wieder den kleinen ausklappbaren Stadtplan mit den Nummern aller Stationen – von Gare centrale bis zum Völkerschlachtdenkmal. Und die Leipziger Stadtgeschichte gibt’s im Schnelldurchlauf von 1015 (“première mention documentaire”) bis 2013/2014, wo dann mal vorläufig die Fertigstellung des City-Tunnels und des Uni-Campus als historische Momente stehen. Bis auf Weiteres.

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