Mit Farben kann man malen. Richtig bunt. Oder auch so, dass die Dinge klarer werden. Dichter lieben Farben. Deswegen gab es in der Reihe "Poesiealbum neu" auch schon einen Band mit Gedichten von Lyrikern über Künstler. Man fühlt sich verwandt. Manche malen auch so, als würden sie dichten. Manche dichten, als würden sie malen. Nun also die Probe aufs Material: Können Dichter malen?

Sie versuchen es jedenfalls immer wieder, weil sie wissen, dass das, was in der Vorstellung des Lesers entsteht, im besten Fall ein Bild ist. Dazu gehören die richtigen Worte. Oft genug Farben. Unsere Sprache ist voll davon. Und ein paar Dichter haben sich ja auch schon beschwert über die alte Marketing-Legende über die Grönländer, sie würden so viele Worte für Schnee kennen wie niemand sonst. Schneegedichte wären ein eigenes Poesiealbum wert.

Was Ralph Grüneberger auswählt, können immer nur kleine Proben sein aus einer riesigen Bibliothek. Selbst wenn er nur die Lyrikbibliothek in der Leipziger Stadtbibliothek durchforsten würde, würde er dicke Bände füllen können zu jedem Thema. Zu Farben erst recht.

Die Weißglut stammt aus einem Gedicht von Ingeborg Bachmann, das den Band eröffnet. Es enthält auch andere Farben, aber die entdeckt man nur, wenn man sich Worte vorstellen kann wie Weizenhaar, Spiegel aus Eis, flockende Milch, behauchte Scheiben, Albatrosse und Totenhemden. “Tage in Weiß” heißt das Gedicht. Und ist eben mehr als nur ein Spiel mit Farben. Oder mit immer neuen Nuancen von Weiß.

In der Lyrikgesellschaft finden sich all jene zusammen, die dieses Arbeiten am kleinen Gespinst auch in modernen, kantigen und aalglatten Zeiten nicht aufgeben. Es ist kein Dichterolymp, sondern eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die allesamt überzeugt davon sind, dass Poesie zu unserem Leben gehört und Gedichte ein wichtiges und gern unterschätztes Mittel der Kommunikation. Oder der Selbstverständigung. Denn die meisten Gedichte entstehen so zuallererst: als Versuch, das Beeindruckende in die knappest mögliche literarische Form zu bringen. Mit und ohne Vers, mit und ohne Reim. Stimmen muss es. Stimmig sein.

Und ein langes Arbeiten ist es, gegen die Vorvorderen und die vielen Bilder, über die man stolpert, wenn man nicht aufpasst. Abgegriffene Bilder sind das, gefällige Worte. Das, was schnell da ist. So wie ein prächtiger Sonnenuntergang. Dichter tun, was die meisten Wortbenutzer nie tun: Sie gucken sich die Worte und Wendungen immer wieder und sehr misstrauisch an. Passt das wirklich? – Denn Wendungen stehen nie allein. Hinter ihnen stehen Schatten. Manchmal ziemlich finstere. Wie im Gedicht von Johanna Anderka: “Am Anfang Fahnen / flammende Flügel / Rot über Rot …”

Farben sind mit Stimmungen und Bedeutungen aufgeladen. Man kann richtig spielen damit. Wie es Dieter Höss tut: “Erster Akt: Blau vor Kälte. – Zweiter Akt: Gelb vor Neid …”

Und dass das Dichterwerk selten ein einkömmliches war, das wusste schon Achim von Arnim, den Grüneberger neben Rilkes “Blaue Hortensie” platziert hat: “Gedanken sind Gestalten, / ich möchte sie euch malen, / doch etwas wird mich halten, / wer wird die Farben zahlen.”

Gute Frage in einer Zeit, wo das Selbstverständliche teuer geworden ist und das Überflüssige billig. Erstaunlich oft eine dichterische Reminiszenz an Klingers berühmtestes Bild: “Die Blaue Stunde”. Diese Sehnsucht nach südlichen Nächten. Mancher findet sie im Garten. Eine Menge Blumen kommen da vor. Mancher spielt mit den Idyllen der deutschen Romantiker, so wie Karl Krolow: “Blau kommt auf / wie Mörikes leiser Harfenton ..” Da erwartet man ein paar hübsche Harfenklänge. Und bekommt angestrichene Autos, Boote und Familien. Mancher wird seine bunten Vorstellungen von der Welt nicht los. Und singt wie Eveline Hoffmann Irland in Grün und wie Eckhard Erxleben den Orient in erhitztem Violett.

Und als Meister der Farb- und Wortlust erweist sich der Leipziger Andreas Reimann. Bei ihm werden die Farben zu Lebensaltern. Und schwarzviolett, das ist eben schon Holunder und Herbst. Am Ende hat der Leser zwei, drei dutzend Möglichkeiten gefunden, wie man mit Farben spielen kann im Gedicht, expressiv, romantisch, seltener abstrakt, gern in dicken, pastosen Farbaufträgen. Manchmal verblasst wie auf alten Fotografien. Oder fast wissenschaftlich, wenn etwa Nico Bleutge über die ganze Welt der Grauwacke erzählt.

Farben können zu sternblaue Teppichen werden, “wie von Chagall gemalt” (der Bursche kommt gleich zwei Mal zu Ehren), oder zu “unzähligen weißen Kreuzen” – Feld der Ehre neben dem Feld der Ähren. Unterwegs sein, heißt schauen. Und viele Gedichte leben von diesem Unterton. Das Nicht-Vergessene ist gegenwärtig. Manchmal reichen ein, zwei Farbspritzer, und die Landschaft erzählt eine Geschichte.

Insgesamt ein leiserer Beitrag in der Reihe “Poesiealbum neu”. Dem gleich schon die Ankündigung für das große Doppelprojekt 2015 beiliegt. Dann erscheinen zwei “Poesiealbum neu” zum Jubiläum der Stadt Leipzig. Einer wird heißen “Leipzig im Gedicht” mit lauter Leipzig-Gedichten bekannter und nicht ganz so bekannter Dichter. Und einer heißt dann “Gedichte von Welt” und präsentiert Gedichte von Dichterinnen und Dichtern aus Leipzigs 14 Partnerstädten. Man kann’s sogar schon bestellen.

Ralph Grüneberger (Hrsg.) “Poesiealbum neu: Weißglut. Farben im Gedicht“, Edition Kunst & Dichtung, Leipzig 2014, 4,80 Euro

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar