Für FreikäuferMit Tieren lernen wir lebendig zu sein, Emotionen zu zeigen, Rücksicht zu nehmen, uns zu kümmern – und auch zu verstehen, was Leben und Tod ist. Eltern, die den drängenden Wünschen ihre Kinder nachgeben, doch endlich ein Tier anzuschaffen, wissen, was das für Freude bedeuten kann. Und was für Trauer, wenn das geliebte Tier alt wird und eines Tages von uns gehen muss.

Sie sehen schon, da ändert sich die Tonlage. Denn eigentlich haben wir ja das Sterben aus unserem Leben verbannt. Und vermeiden es auch zu benennen. Weil es schmerzt und Gefühle erzeugt, die wir sonst so emsig zu vermeiden versuchen.

Aber eigentlich ist das nicht richtig. Und es nimmt uns ein wichtiges Erlebnisfeld. Man sollte es nicht vermeiden. Auch das lernen Eltern irgendwann. Und können auch ihren Kindern helfen, das Gefühl zuzulassen, zu verstehen, was da passiert. Und dass es zwar wehtut – aber trotzdem richtig ist. Denn es ist der wichtigste Teil von Liebe und Freundschaft. Wer wüsste das nicht besser als ein alt gewordener Hund wie Biko, der seine Aufgabe immer darin sah, die ganze Familie zu beschützen: Herrchen, Frauchen, großes Kind und kleines Kind. Die Katze nicht zu vergessen.

Saskia Hula begegnet solchen Lebensfragen im Alltag, denn sie arbeitet als Grundschullehrerin, hat aber irgendwann angefangen, Kinderbücher zu schreiben über all die Dinge, die sie mit ihren Schülern erlebt und wohl auch bespricht. Denn mit guten LehrerInnen unterhalten sich Kinder über alles. Auch über den Tod ihrer Lieblinge.

Außerdem mag sie Mark Twain, den sie zitiert: „(Schreiben ist leicht.) … man muss nur die falschen Wörter weglassen.“ Was man auch lernt, wenn man Mark Twain liest.

Sie hat es beherzigt. Ihre kleine Geschichte, die sie aus der Perspektive von Biko erzählt, dem alle Knochen wehtun, wenn er aufstehen muss, verzichtet auf die „falschen Worte“, so, wie man auf die falschen Worte verzichten muss. Man lässt sie wirklich weg und erzählt nur genau das, was passiert. Nicht mehr, nicht weniger. Das genügt völlig, sich in den treuen Hund hineinzufühlen, seine (möglichen) Gedanken und Ansprüche an sich selbst. Denn eine so lebenslange Verbindung verpflichtet. Nicht nur Herrchen hat einen Hund. Alle haben ihn – und fühlen sich sichtlich verantwortlich für ihn und sorgen sich. Und auch Biko fühlt sich verantwortlich. Das ist sein Job. Nur die Katze nicht. Die nimmt den Burschen, wie er ist. Tiere machen sich keine Sorgen, weil sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht vorstellen können, was danach kommt und danach und danach und so weiter.

Menschen sind ja auch deshalb schon vorher traurig, weil sie sich vorstellen können, wie das ist ohne Biko. Aber wie gesagt: Saskia Hula zeigt das Ganze aus Bikos Sicht, zeigt ihn, wie er sich in den Garten vorm Haus quält, zeigt ihn beim Daliegen, froh, dass dann die Knochen nicht so schmerzen. In Gedanken erinnert er sich an all das, was in seinem Leben wichtig war. Ein pflichtgetreuer Hund, für den die Pflicht Lebensinhalt war. Und Eva Muszynski zeichnet ihn, wie er da liegt, sehr einfühlsam. Man ahnt: Mindestens eine von beiden hat sowas schon mal erlebt. Oder mehrmals.

Auch den Moment, in dem Herrchen (oder Frauchen) entscheiden muss, ob das Tier sich noch eine Weile mit seinen schmerzenden Knochen vor die Tür schleppen soll, oder ob der Tag für den Abschied gekommen ist. Der allen schwerfällt. So schwer, dass auch die Kinder hin- und her gerissen sind: Mitfahren und Abschied nehmen oder lieber bei Mama bleiben?

Es ist eine tröstliche Geschichte, betont der Verlag. Aber auch eine wichtige. Auch weil sie liebevoll davon erzählt, dass Tiere keine Dinge sind, die man einfach vergisst oder wegschafft, sondern um die man sich kümmert und sorgt. Bis zuletzt. Und die einem fehlen, wenn sie nicht mehr da sind. Fast so, wie liebe Menschen einem fehlen, wenn sie nicht mehr da sind. Das ist ein Zustand, mit dem man lernen muss, umzugehen – und vielleicht lieber doch nicht wegzulaufen, sondern sich zu stellen. Auch wenn das dann meist in Tränen mündet.

Aber auch Tränen sind wichtig. Sie erzählen von dem, was uns wirklich wichtig ist im Leben.

Sie zeigen uns, wo wir lebendig sind und verletzlich. Das will manch einer nicht mehr wissen. Stimmt. Wir sind keine Gesellschaft mehr, die sich zu ihren Verletzlichkeiten und Emotionen bekennt. Sie trägt nur eine ewig lachende Maske. Und dahinter wird alles versteckt, was uns wirklich merken lässt, das wir lieben.

Gerade deshalb ist das ein wichtiges Buch. Weil man damit auch den Kleinen schon zeigen kann, dass auch traurige und schwere Gefühle zum Leben gehören. Und dass wir auch ein bisschen stärker werden, wenn wir lernen, sie zuzulassen – und uns trotzdem nicht verkriechen.

Saskia Hula, Eva Muszynski Bikos letzter Tag, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2017, 14 Euro.

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