Im in Leipzig ansässigen Leibniz-Instituts für Länderkunde ist die Freude groß, denn das Archiv für Geographie konnte sich jetzt über einen Neuzugang freuen, der in seiner Art einzigartig ist: die Unterlagen des Unternehmens „Haudegen“ aus dem Zweiten Weltkrieg. Klingt zwar sehr martialisch. Aber tatsächlich war es ja eine Wetterstation, die im Zweiten Weltkrieg hoch im Norden Daten sammelte.

Monatelang hatte die im Zweiten Weltkrieg auf Spitzbergen eingerichtete Wetterstation „Haudegen“ unter oft widrigen Bedingungen meteorologische Daten gesammelt und verschlüsselt nach Tromsø im besetzten Norwegen gefunkt. Leiter des Unternehmens war Leutnant Wilhelm Dege, nach dem die Mission auch ihren Tarnnamen erhielt. Der Geograph und spätere Hochschullehrer hatte vor dem Krieg Spitzbergen als Forscher bereist und darüber 1939 seine Doktorarbeit geschrieben.

Sein Sohn Eckart hat die Unterlagen des Wettertrupps „Haudegen“ jetzt in die Obhut des Archivs für Geographie im Leibniz-Institut für Länderkunde gegeben. Übernommen wurden die Messergebnisse der Wetterstation, Wilhelm Deges persönliche Aufzeichnungen sowie mehrere Hundert Fotos und das Original-Filmmaterial, das während des einjährigen Aufenthalts auf Spitzbergen entstand.

Wilhelm Dege, 6. Mai 1945. Copyright: Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig
Wilhelm Dege, 6. Mai 1945. Copyright: Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig

„Der Neuzugang ist auch deswegen spektakulär, weil Deges Aufzeichnungen die Geschichte einer der wohl merkwürdigsten Kapitulationen erzählen“, freut sich Archivleiter Heinz Peter Brogiato. Die elfköpfige Stationsbesatzung konnte ihren Außenposten im Nordpolarmeer erst vier Monate nach dem offiziellen Kriegsende, am 4. September 1945, in Richtung Festland verlassen – an Bord des norwegischen Robbenfängers „Blaasel“, und das auch erst nachdem Dege seine Dienstpistole vor Kapitän Ludwig Albertsen auf den Tisch des Stationshauses gelegt und eine Kapitulationserklärung unterschrieben hatte.

Seine Aufzeichnungen erhielt Wilhelm Dege Anfang der fünfziger Jahre zurück. Jetzt ergänzen sie den umfangreichen Bestand an Unterlagen von Forschungsreisen im Archiv des IfL. Die Erforschung der Polarregionen ist im Archiv des IfL durch die Aufzeichnungen mehrerer Expeditionen dokumentiert. Darunter finden sich auch Überreste der tragisch verlaufenen Schröder-Stranz-Expedition. Ziemlich genau dort, wo 1944/45 Wilhelm Dege stationiert war, hatte sich 1912 die größte Katastrophe der deutschen Polarforschung ereignet. Sieben Expeditionsteilnehmer fanden damals den Tod – unter bis heute ungeklärten Umständen.

Eckart Dege, der bis 2007 eine Professur für Geographie an der Universität Kiel innehatte, konnte 1985 auf den Spuren seines Vaters die Reste der „Haudegen“ auf Spitzbergen besuchen. Dort machte er das Versteck ausfindig, wo dieser sein Kriegstagebuch vergraben hatte. Mitnehmen durfte er es nicht, denn alle auf norwegischem Boden gefundenen Unterlagen gehören dem Staat. Die Station „Haudegen“ steht heute unter Kulturschutz und darf nicht mehr besucht werden.

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