Für die Stadt Dessau geht ein ganz besonders Jubiläumsjahr zu Ende. Denn 2025 war für Dessau auch das Jahr, in dem sich die Ankunft des Bauhauses zum 100. Mal jährte. Heute gehören die Bauhaus-Gebäude in Dessau zum Weltkulturerbe. Aber wie kam das Bauhaus tatsächlich nach Dessau? Und vor allem: so schnell?

Denn nach der Landtagswahl in Thüringen 1924 hatte nicht nur eine konservative Regierung die Geschäfte übernommen, sie hatte auch den Vertrag für das erst 1919 in Weimar gegründete Bauhaus gekündigt. Unter heutigen Bedingungen wäre dies das Ende gewesen. Und schon gar kein schneller Neuanfang in Dessau. Frank Kreißlers Zeitreise verblüfft. Und zwar gleich mehrfach.

Er hat in diesem Buch etwas ganz Einfaches gemacht: Er hat sich in die Zeitungsarchive begeben und einfach chronologisch, Tag für Tag aufgelistet, was die Dessauer Zeitungen damals alles so berichteten. Na gut, nicht alles. Welt- und Reichsgeschichten lässt er natürlich weg.

Er hat sich vor allem auf die Nachrichten aus der Hauptstadt des Freistaates Anhalt selbst konzentriert. Noch so ein Kapitel, über das sich gerade westdeutsche Kommentatoren bis heute die Nase wund wundern: Mit dem einstigen Fürstentum Anhalt und dem Freistaat Anhalt können sie einfach nichts anfangen. Mit dem Bindestrichland Sachsen-Anhalt auch nicht. Aber da geht es ihnen wie den Bewohnern dieses Landstrichs selbst, die mit ihrer eigenen Geschichte fremdeln und heute wieder mit einer Partei liebäugeln, die die so schwer erkämpfte Demokratie demolieren will. Und man fühlt sich ans Jahr 1925 erinnert.

Denn da ähnelt sich überraschend viel. Man stutzt und fragt sich: Lernen die Menschen wirklich nichts aus ihrer Geschichte?

Ein entschlussfreudiger OBM

1925 war Dessau nicht nur anhaltinische Landeshauptstadt, sondern eine prosperierende Industriestadt mit 71.272 Einwohnern. Hier produzierten die Flugzeugwerke von Hugo Junkers die modernen Ganzmetallflugzeuge, die weltweit gefragt waren. Die Geschehnisse rund um die Junkers-Flugzeugwerke tauchen in den Dessauer Zeitungen genauso regelmäßig auf wie die Debatten um den Wohnungsbau, die Leserbriefe um die rasante Zunahme des Fahrradverkehrs und natürlich die Debatten aus dem Gemeinderat.

Und schnell wird deutlich, dass Dessau 1925 eine genauso zerrissene Stadt war, wie es die heutige politische Landschaft auch zeigt. Nur dass im Dessauer Gemeinderat die progressiven Kräfte mit SPD und DVP die Mehrheit hatten und mit Fritz Hesse seit 1918 ein Oberbürgermeister die Geschäfte führte, der die Chance erkannte, die sich mit dem Ende des Bauhauses in Weimar für Dessau ergab.

Schon am 24. Januar taucht das Bauhaus tatsächlich in dieser Chronologie auf – als ein kleiner Seitenblick auf den Frühstückstisch des Oberbürgermeisters, der im „Berliner Tageblatt“ vom bevorstehenden Ende des Bauhauses in Weimar am 31. März las und sich schon übers Wochenende Gedanken machte, ob man da nicht tätig werden sollte und die Chance nutzen sollte.

An Dessau hatten die Bauhäusler bis dahin nicht gedacht, eher gehofft, zum Beispiel nach Köln zu gehen. Aber als die ersten Delegationen aus Dessau in Weimar eintrafen und man ins Gespräch kam, war schnell klar, dass hier zwei zusammenfanden, die zusammenpassten. Vorerst. Wir wissen ja aus der Geschichte, dass die zur Mehrheit gekommenen Nationalsozialisten 1932 den Traum vom Bauhaus in Dessau sofort rigoros zerstörten.

Nazis können nicht anders. Sie hassen die Moderne und alles, was nach Freiheit und Demokratie aussieht.

Dunkle Wolken

Diese Entwicklung deutete sich auch 1925 schon an. Da waren die sich neu organisierenden Nationalsozialisten natürlich schon da, lancierten ihre Veranstaltungen genauso wie alle anderen in der Zeitung und machten aus ihrer Gesinnung kein Hehl. Was damals noch als „normal“ gelesen werden konnte, denn sie waren nicht die einzige revanchistische Bewegung, die die Weimarer Republik verachtete und regelmäßig mit militärischen Aufzügen durch die Straßen trampelte.

Das gehörte, wenn man die von Frank Kreißler ausgewählten Meldungen so liest, geradezu zum Alltag in der Stadt, die in Vielem noch sehr provinziell war, gleichzeitig aber über ein lebendiges Gewerbetreiben verfügte und eine reiche Landschaft aus Gaststätten und Hotels besaß, wo im Grunde wöchentlich Feste, Vereinstreffen, Bälle und Werkschauen stattfanden. Auch die Kinos und Theater in Dessau lockten Abend für Abend ihr Publikum.

Es war also eine Menge los. Und im Jahr 1925 befand sich die Weimarer Republik auf dem Gipfel ihres Erfolges. Die schlimmen Jahre der Inflation waren überwunden. Aber das Ende deutete sich schon an. Denn im selben Jahr starb Reichspräsident Friedrich Ebert an seiner verschleppten Blinddarmentzündung. Und in den folgenden Wahlen für das Reichspräsidentenamt wählten die Deutschen dann nicht den für den Volksblock kandidierenden Wilhelm Marx, sondern den erst im zweiten Wahlgang aufgestellten Weltkriegmarschall Paul von Hindenburg. All das passierte in diesem Jahr 1925 und beschäftigte auch die Dessauer.

Ein erstaunliches Tempo

Und dabei machte Fritz Hesse gleichzeitig Nägel mit Köpfen, einigte sich mit den Bauhausleuten über den Umzug, löste die nötigen Gelder aus, um in Dessau einen Schulneubau auf die Beine zu stellen, der für die in Dessau ansässige Gewerbliche Berufsschule sowieso gebraucht wurde. Während die aus Weimar übersiedelnden Bauhausleute ab dem 1. April in Dessau erst einmal provisorisch unterkamen, ging es bei den Bauplänen in einem Tempo zur Sache, bei dem heutigen Bauplanern schwindlig werden würde.

Schon am 28. September konnte Bauhaus-Direktor Walter Gropius an der Friedrichsallee den Bau genau jenen Gebäudes beginnen, das heute als Dessauer Bauhaus weltberühmt ist. Schon 1926 sollte es bezugsfertig sein. Da hatten die Bauhauslehrer ihre Lehrtätigkeit in Dessau längst aufgenommen, auch schon mehrere Musterausstellungen organisiert.

Und natürlich zitiert Frank Kreißler auch die Debatten um das Bauhaus, die im Grunde erst im Sommer 1925 so richtig Fahrt aufnahmen, denn die Kritiker des Projekts mussten sich ganz offensichtlich erst finden. Und es war vor allem das konservative Bürgertum, das sich dann mit Unterstellungen und Befürchtungen zu Wort meldete und scheinbar immer schärfer diskutierte – bis es seinen Widerstand im Herbst auf einmal einstellte. Denn viele Befürchtungen, die man auf das Bauhaus projiziert hatte, traten schlichtweg nicht ein. Es war ein Phantomkampf. Die Bauhausleute beherrschten ihr Handwerk.

Und richtig Ärger lösten sie eigentlich nur mit ihrem Beharren aus, alle ihre Verlautbarungen konsequent in Kleinschreibung zu veröffentlichen.

Aber ein Rückblick am 31. Dezember lässt ahnen, dass das Für und Wider zum Bauhaus nicht enden würde. Dass gerade die konservativen Kräfte ihren Groll gegen das Projekt bestenfalls eine Weile begraben würden. Aber gerade die Reichspräsidentenwahl hatte schon gezeigt, dass die Politik in der Weimarer Republik unerbittlicher werden würde, dass der Konsens am Bröckeln war und sich einige Parteien zunehmend radikalisierten und die Radikalität auch in ihre politischen Kämpfe übertragen würden.

Ein Jahr im Frieden

Dagegen sieht das, was die Dessauer Zeitungen über den Alltag, über kaputte Straßen, neue Straßenbahnwagen, Geschäftseröffnungen und Feste berichteten, geradezu friedlich aus. Als hätten Politik und Alltag so gar nichts miteinander zu tun. Großes fließt wie beiläufig in die Berichterstattung ein – so wie am 10. November die Gründung der Lufthansa, die die Junkers Luftverkehr AG und die Deutsche Aero Lloyd AG beschlossen haben.

Und um den Leser wenigstens ein gerastertes Bild dieser Stadt im Jahr 1925 zu bieten, sind alle Tagesmeldungen teils mit Fotos der Akteure, der Stadt und der jeweils thematisierten Gebäude als auch mit Anzeigen illustriert, die das Geschäftsleben der Stadt lebendig werden lassen. Es war auch ein Hoffnungsjahr, denn mehrere Dessauer Kirchen bekamen – nachdem sie ihre Glocken im Ersten Weltkrieg als Materialspende hergeben mussten – neue Glocken geliefert, die unter großem Zuschauerandrang auf de Türme gezogen wurden.

Die Junkers-Werke stellten ihre betriebseigene Startbahn fertig. Es gab auch Unglücke und Katastrophen. Aber insgesamt lernt man eine Stadt kennen, in der ganz offensichtlich die Überzeugung die Mehrheit hatte, dass hier was ging und man nur die Chancen ergreifen musste, die sich boten.

Und auch das erinnert an die Gegenwart, weil es ein Gefühl wachruft, das heute wieder zu schwinden scheint: dass Zukunft gemeinsam gestaltbar ist. Eine Haltung, nach der ein Fritz Hesse jedenfalls lebte, der mit seinem kühnen Entschluss, die Bauhäusler nach Dessau zu holen, Dessau ein Alleinstellungsmerkmal verschaffte, wie es keine andere deutsche Stadt hat. Mit Frank Kreißler kann man sich durch diese ganz besondere 1925 in Dessau blättern und einen Eindruck bekommen, wie schnell damals Entscheidungen getroffen werden konnten, wenn die entscheidenden Leute nur wollten.

Etwas, was heute nicht mehr vorstellbar ist bei den jahrelang vorgeschalteten Genehmigungs- und Planungsprozessen, die nicht nur Bauherren das Gefühl geben, dass alles nur noch zäh und frustrierend abläuft.

Frank Kreißler „Dessau | 1925. Das Jahr, in dem das Bauhaus kam“, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2025, 28 Euro.

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