Immer wieder brandet unter Wissenschaftlern der Streit auf, ob denn nun der Mensch am Verschwinden der großen Säugetiere schuld sei, als er sie nach dem Ende der letzten Eiszeit massiv bejagte. Denn da starben sie alle aus – ob Riesenhirsch, Wollnashorn oder die Festlandspopulationen des Mammuts. Zu viele Jäger sind des Mammuts Tod, könnte man sagen. Nun stellt sich heraus: Auch der Neandertaler hat zu seinen Lebzeiten fleißig mitgejagt.

Mittlerweile ist auch klar, dass er dazu bestens in der Lage war. Er stellte nicht nur Werkzeuge her, sondern verfügte auch über wirksame Jagdspeere, die noch heute bei Praxistests überzeugen. Und damit konnten die Neandertaler im Grunde alles jagen, was auf vier Beinen in Europa unterwegs war. Darauf deuteten bislang auch schon Knochenfunde in den berühmten Höhlen hin, die man mit der Übergangskultur Châtelperronien in Verbindung bringt, einer Zeit, die mit der Ankunft des modernen Menschen in Europa vor ungefähr 40.000 Jahren beginnt. Über mehrere tausend Jahre lebten Neandertaler und moderne Menschen nebeneinander

Und augenscheinlich konkurrierten sie beim Fleisch um dieselben Ressourcen. Denn eines scheint jetzt klar: Hauptnahrungsquelle der Neandertaler waren die großen Tiere. Auch hier wird ein lange währender wissenschaftlicher Streit berührt. Denn man hatte den Neandertalern teilweise seltsame Ernährungsgewohnheiten angedichtet.

Die Neandertaler waren keine Angler

Es beginnt mit einem wahrnehmbaren Unterschied:

Eine Besonderheit des modernen Menschen ist nämlich, dass er regelmäßig Fisch konsumierte, was sich durch die Analyse von Stickstoffisotopen in Knochen- oder Zahnkollagen nachweisen lässt. Ein internationales Forschungsteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig maß nun bei zwei späten Neandertalern außergewöhnlich hohe Stickstoffisotopenwerte, was traditionell für den Konsum von Süßwasserfisch steht.

Eine Analyse der Isotopenwerte einzelner Aminosäuren ergab jedoch, dass sich der erwachsene Neandertaler nicht von Fisch, sondern von großen pflanzenfressenden Säugetieren ernährt hatte. Der zweite Neandertaler war ein noch nicht abgestillter Säugling, dessen Mutter ebenfalls hauptsächlich Fleisch gegessen hatte. Den Isotopendaten zufolge scheinen sich die Ernährungsgewohnheiten der Neandertaler im Laufe der Zeit kaum verändert zu haben, auch nicht nach der Ankunft des modernen Menschen in Europa.

Die Ernährungsweise der Neandertaler wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert: Traditionell gelten sie als Fleischfresser, die große Säugetiere jagten. Es gibt aber auch zahlreiche Belege dafür, dass sie pflanzliche Nahrung zu sich genommen haben.

Wie aber bekommt man heraus, wie sich unsere nächsten Verwandten tatsächlich ernährt haben?

Forschende können die Ernährung unserer Vorfahren rekonstruieren, indem sie die Stickstoffisotopenverhältnisse in einer Probe messen. Diese sind Indikatoren für die trophische Ebene, die Position eines Organismus in einer Nahrungskette. Neandertaler nehmen in den terrestrischen Nahrungsketten eine hohe Stellung ein und verfügen sogar über einen etwas höheren Stickstoffisotopenwert als an denselben Orten lebende Fleischfresser wie Hyänen, Wölfe und Füchse. Diese etwas höheren Werte könnten auf den Verzehr von Mammutfleisch oder Aas zurückgeführt werden. Für einige Neandertaler-Standorte sind auch Beispiele für Kannibalismus bekannt.

Großsäuger auf der Speisekarte ganz oben

Steinzeitliche moderne Menschen, die kurz nach dem Verschwinden des Neandertalers in Frankreich ankamen, haben noch höhere Stickstoffisotopenwerte als dieser, was traditionell als Beleg für den Konsum von Süßwasserfisch interpretiert wird. Die Fischerei sei demzufolge eine für den modernen Menschen typische Tätigkeit. Ob Neandertaler ebenfalls Fisch verzehrten, ist in Fachkreisen umstritten. Als Klervia Jaouen, Erstautorin der Studie und Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, ähnlich hohe Stickstoffisotopenwerte, wie sie für den modernen Menschen typisch sind, im Kollagen zweier Neandertaler entdeckte, stellte sich die Frage, ob diese regelmäßig Fisch zu sich genommen haben könnten.

Die untersuchten Neandertaler stammen aus Les Cottés und der Grotte du Renne in Frankreich – die Fundschichten sind zwischen 30.000 und 40.000 Jahre alt, gehören also in die Übergangszeit, in der moderne Menschen und Neandertaler gemeinsam in Europa lebten.

Doch an keiner der beiden Ausgrabungsstätten wurden archäologische Überreste von Fischen gefunden. Die Messungen waren jedoch an einer Zahnwurzel durchgeführt worden, die die Ernährung zwischen dem vierten und achten Lebensjahr eines Individuums dokumentiert, und an dem Knochen eines einjährigen Babys. Die hohen Stickstoffisotopenwerte könnten also auch darauf hindeuten, dass es sich um noch nicht abgestillte Individuen handelte, was zumindest im Falle des Neandertalers aus Les Cottés (dessen Zahnwurzel untersucht wurde) im Widerspruch zu bisherigen Erkenntnissen stünde, denen zufolge Neandertaler bereits im Alter von etwa einem Jahr abgestillt wurden. Neben einem späten Abstillen könnte auch der Konsum von Süßwasserfisch, Aas oder sogar Kannibalismus die hohen Stickstoffisotopenwerte erklären, so die Forscher.

Analyse der Aminosäuren im Kollagen

Die Wissenschaftler wendeten eine neuartige Isotopenanalysetechnik an, um die richtige Erklärung für die außergewöhnlich hohen Stickstoffisotopenanteile zu identifizieren. Die „Compound specific isotope analysis“ (CSIA) ermöglicht eine separate Analyse der im Kollagen enthaltenen Aminosäuren. Die Isotopenzusammensetzungen einiger dieser Aminosäuren werden durch Umweltfaktoren beeinflusst sowie durch die Isotopenwerte der Nahrungsmittel, die ein Individuum verzehrt. Andere werden zusätzlich durch das trophische Level beeinflusst.

Erst die Kombination der Isotopenwerte dieser Aminosäuren ermöglicht es den Forschenden, die jeweiligen Beiträge der Umwelt und der trophischen Ebene zur endgültigen Isotopenzusammensetzung des Kollagens zu entschlüsseln.

„So konnten wir nachweisen, dass die Neandertalerin von Les Cottés eine Fleischfresserin war, die sich fast ausschließlich von landlebenden Säugetieren ernährt hatte. Sie war kein spät entwöhntes Kind, hat auch nicht regelmäßig Fisch verzehrt, sondern ihre Leute scheinen hauptsächlich Rentiere und Pferde gejagt zu haben“, sagt Jaouen. „Wir konnten auch bestätigen, dass es sich bei dem Neandertaler aus der Grotte du Renne um einen noch nicht abgestillten Säugling handelt, dessen Mutter ebenfalls eine Fleischfresserin war.“ Interessanterweise stimmt diese Schlussfolgerung auch mit den Beobachtungen der Archäozoologen überein.

Die aktuelle Studie veranschaulicht auch die Bedeutung der neuen Isotopenanalysetechnik für zukünftige Untersuchungen der Ernährungsgewohnheiten von Menschen und Neandertalern in der Vergangenheit. Mit Hilfe der Compound specific isotope analysis ist es den Forschenden gelungen, die außergewöhnlich hohen Stickstoffisotopenwerte richtig einzuordnen.

Große Säugetiere als Hauptnahrung

Michael P. Richards von der Simon Fraser Universität in Kanada sagt: „Früheren Isotopenuntersuchungen zufolge ernährten sich die Neandertaler hauptsächlich von Fleisch, was auch durch umfangreiche archäologische Funde der Überreste von Tieren bestätigt wird, die von Neandertalern mitgebracht und deponiert wurden. In jüngster Zeit gab es einige, man könnte fast sagen bizarre Interpretationen von Isotopendaten, denen zufolge Neandertaler sich hauptsächlich von Wasserpflanzen ernährt oder sich gegenseitig aufgegessen haben, was aber beides im direkten Widerspruch zu den archäologischen Belegen steht. Die neuen verbindungsspezifischen Isotopenmessungen bestätigen frühere Interpretationen, denen zufolge Neandertaler sich hauptsächlich von großen Pflanzenfressern ernährten; obwohl sie natürlich auch andere Nahrungsmittel – wie Pflanzen – verzehrt haben.“

Darüber hinaus belegt die aktuelle Studie auch, dass sich die Neandertaler auf eine sehr monotone Art und Weise ernährt haben, auch dann noch als sich ihre materielle Kultur – möglicherweise beeinflusst durch den modernen Menschen – schon zu verändern begonnen hatte. Die Überreste des Neandertalerbabys aus der Grotte du Renne wurden an einer Stelle gefunden, die mit der archäologischen Kultur des Châtelperronien im Zusammenhang steht, einer Technologie, die der des modernen Menschen ähnelt. Die späten Neandertaler waren dem Menschen sehr ähnlich, schufen Höhlenmalereien und trugen Halsketten. Doch im Gegensatz zum Menschen angelten sie nicht.

Jean-Jacques Hublin, Direktor der Abteilung für Humanevolution am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, sagt: „Diese Studie bestätigt, dass Homo sapiens, als er nach Europa kam und auf den Neandertaler traf, in direkter Konkurrenz zu diesem um die großen Säugetiere als Nahrungsquelle stand.“

„Der systematische Einsatz einer Kombination von CSIA und Radiokohlenstoffdatierung wird uns dabei helfen zu verstehen, ob beide Arten im entscheidenden Zeitraum tatsächlich die gleichen Überlebens- und Ernährungsstrategien verfolgten“, schlussfolgert Sahra Talamo, Forscherin am Leipziger Max-Planck-Institut.

Beginn eines Forschungsprojekts zum Einfluss von Neandertaler-DNA auf die Evolution des menschlichen Gehirns

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