Eigentlich leben wir in erstaunlichen Zeiten. Da können Forscher zum ersten Mal ein Foto von einem Schwarzen Loch konstruieren. Nicht nur die Wissenschaftsgemeinde ist fasziniert. Gleichzeitig können Forscher eine neue Frühmenschenform auf den Philippinen nachweisen, der menschliche Stammbaum wird immer vielfältiger. Und nun weisen Leipziger Forscher im Erbgut der Bewohner von Papua-Neuguinea gleich mehrere Denisova-Vorfahren nach.

Der Denisova-Mensch ist quasi das asiatische Pendant zum Neandertaler. Als der moderne Mensch vor rund 60.000 Jahren Afrika verließ und alle anderen Kontinente besiedelte, traf er auf seinem Weg nach Osten auch auf unterschiedliche Lebensgemeinschaften des Denisova-Menschen. Und das lässt sich bis heute im Erbgut der Papua nachweisen.

Als der anatomisch moderne Mensch Afrika verließ, vermischte er sich mit seinen engen Verwandten, dem Neandertaler und dem Denisova-Menschen. Ein internationales Forschungsteam hat nun DNA-Fragmente untersucht, die diese ausgestorbenen Homininen an moderne Menschen weitergegeben haben, deren Nachfahren heute auf den Inseln Südostasiens und in Papua-Neuguinea leben. Dabei haben die Forscher und Forscherinnen festgestellt, dass nicht nur eine, sondern zwei verschiedene Denisovaner-Linien – die sich schon vor hunderttausenden von Jahren voneinander getrennt hatten – Erbgut an die Vorfahren der Papua weitergegeben haben. Eine der beiden Denisova-Linien unterscheidet sich von der anderen so sehr, dass es sich bei ihr sogar um eine völlig neue Urmenschen-Gruppe handeln könnte.

Diese Ergebnisse basieren auf einer Studie unter der Leitung von Murray Cox von der Massey University in Neuseeland und wurden durch die Probennahme unter der Leitung von Herawati Sudoyo vom Eijkman Institute for Molecular Biology in Jakarta, Indonesien, ermöglicht. Die Daten wurden dann von einem internationalen Forschungsteam, dem auch Mark Stoneking vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig angehörte, gesammelt und ausgewertet.

Wie schon frühere Studien, die Belege für eine dritte Denisova-Linie in den Genomen heute lebender Sibirier, Amerikanischer Ureinwohner und Ostasiaten gefunden haben, deuten auch die Ergebnisse der aktuellen Studie darauf hin, dass sich moderne Menschen mit mehreren Denisovaner-Populationen vermischt haben, die über eine lange Zeit hinweg geografisch isoliert voneinander gelebt haben.

Überraschenderweise haben die Forscher Hinweise auf eine zusätzliche Vermischung zwischen den Papua und einer der beiden Denisovaner-Gruppen entdeckt, die also tatsächlich in Neuguinea oder den angrenzenden Inseln gelebt haben muss. Darüber hinaus könnten die Denisova-Menschen sogar bis vor etwa 30.000 Jahren in der Gegend gelebt haben, waren also möglicherweise eine der letzten überlebenden Urmenschengruppen.

„Früher dachte man, dass die Denisovaner auf dem asiatischen Festland und weit im Norden gelebt haben“, sagt Cox. „Unsere Arbeit zeigt stattdessen, dass das Zentrum archaischer Vielfalt nicht in Europa oder im vereisten Norden lag, sondern im tropischen Asien.“

Stoneking fügt dem hinzu: „Außerdem scheint diese archaische Vielfalt auf den südostasiatischen Inseln und in Neuguinea viel länger Bestand gehabt zu haben als anderswo auf der Welt.“

Klar war bereits vorher, dass die Inseln Südostasiens und Neuguinea besondere Orte waren, da sich bei den heute dort lebenden Menschen mehr Urmenschen-DNA im Genom findet als anderswo auf der Erde. Die Region wird auch als besonders wichtig für die frühe Entwicklung des Homo sapiens außerhalb Afrikas betrachtet. Doch die Geschichte blieb bisher lückenhaft.

Getrennte Denisovaner-Linien

Um diese Lücken zu schließen, hat das Team Abschnitte archaischer DNA aus 161 neu sequenzierten Genomen identifiziert, die 14 Inselgruppen im südostasiatischen Raum und Neuguinea umfassen. Die Analyse zeigt, dass große Teile des Erbguts nicht für eine einzige Vermischung von Denosivaner-Genen mit dem Erbgut der damals in der Region lebenden Menschen sprechen. Stattdessen besitzen heute lebende Papua hunderte von Genvarianten aus zwei Denisovaner-Linien, die sich stark voneinander unterscheiden. Die Forscher schätzen, dass sich die beiden dafür verantwortlichen Gruppen von Denisova-Menschen bereits seit etwa 350.000 Jahren getrennt voneinander entwickelt hatten.

Die neuen Ergebnisse zeigen, wie wenig erforscht dieser Teil der Welt bisher war. Viele der Studienteilnehmer leben in Indonesien, einem Land von der Größe Europas, das gemessen an der Bevölkerungszahl das viertgrößte Land der Welt ist. Und doch wird erst in der aktuellen Studie über die ersten indonesischen Genomsequenzen berichtet – abgesehen von einer Handvoll Genomsequenzen, die 2016 im Rahmen einer globalen Studie zur genomischen Vielfalt erhoben wurden. Generell fokussieren sich die meisten Studien über frühe Urmenschen auf Europa und das nördliche Eurasien, da Erbgut aus alten Knochen bei kalten Temperaturen am besten überdauert.

Fehlende Daten verzerren wissenschaftliche Erkenntnisse

Diese fehlende globale Präsenz in alten und modernen Genomdaten ist bekannt.

„Wie stark diese Verzerrung wissenschaftliche Interpretationen – wie etwa hier die geografische Verteilung früher Urmenschenpopulationen – beeinflussen kann, ist vielen Menschen möglicherweise nicht klar“, sagt Cox.

So faszinierend die neuen Erkenntnisse auch sein mögen, so besteht ihr Hauptziel darin, diese neuen Genomdaten zu nutzen, um die Gesundheitsversorgung der Menschen auf den Inseln Südostasiens zu verbessern. Diese erste Erhebung von Genomdaten in der Region liefert grundlegende Informationen, die notwendig waren, um diese Arbeit in Gang zu setzen.

 

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