Für die Universität Leipzig ist jedes Jahr am 3. Dezember der "dies academicus". Das ist der Tag, an dem die Alma mater Lipsiensis 1409 offiziell gegründet wurde. Ein Ereignis, das sich ja 2009 bekanntlich rundete und zum Festreigen geriet. Und das wieder hat bei Stadt und Universität neue Denkprozesse in Gang gesetzt. Man könnte ja kooperieren. Das taten die Stadtverwaltung und die Universität im Herzen der Stadt zwar schon vorher immer wieder. Aber immer nur sporadisch.

Es war wirklich genauso wie mit den berühmten griechischen Inseln: hier eine Insel, da eine Insel, alles sehr verstreut im Meer, eine Schinderei für die Seeleute. Die Kykladen sind zwar nicht besser. Aber wenn in den Sporaden ein paar wichtige Inseln wie Patmos, Samos und Ikaria liegen, dann kann der Skipper nicht einfach dran vorbeisegeln. Das nehmen ihm dann ein paar Leute krumm.

Und so ähnlich war es auch im Jubeljahr 2009, als Stadt wie Universität mal wieder merkten, wie sehr sie beide aufeinander angewiesen sind. Beide zehren nicht nur vom Ruhm des jeweils anderen. Und der neu entstehende Uni-Campus ist nicht nur der einzige seiner Art in einer deutschen Großstadt. Die etwas intensivere Beschäftigung mit dem Marketing für das Jubiläum und mit der Geschichte zeigte auch, wie eng Leipzigs Aufstieg zur erfolgreichen Industrie- und Messestadt mit der Existenz der Universität zusammenhing und wie sehr der Erfolg der Universität vom Erfolg der Messestadt abhing.

Dazu kommt noch der sehr moderne Effekt der Universität als Magnet: Sie lockt die jungen klugen Leute nach Leipzig, die nicht nur mit 5 Prozent Bevölkerungsanteil wesentlich zum Bevölkerungswachstum beitragen. Sie sind auch die klugen Ideenstifter für mittlerweile hunderte kreativer Neugründungen, eindrucksvoller Forschungsprojekte und nicht zu unterschätzender Modernisierungsansätze.Doch die gemeinsamen Projekte blieben sporadisch. Das soll sich ändern. Dauerhaft. Einen professionellen Strippenzieher gibt es ja schon seit Jahren im Rathaus: Prof. Ulrich Brieler, Leiter des Referats Wissenspolitik im Rathaus und seit Jahren auch Organisator der Sonntagsgespräche, bei denen hochkarätige Wissenschaftler zum Gespräch extra nach Leipzig kamen. Die Gespräche soll es auch künftig weiter geben. Doch die nächste Serie ist noch in Arbeit, verrät Brieler. Möglicherweise gelingt es, sie noch größer aufzuziehen. Interessierte Leipziger, die auch am Sonntag gern mal weiter-denken, gibt es genug.

Und darum geht es auch in der nunmehr mit Kooperationsvertrag festgezurrten künftigen Zusammenarbeit von Stadt und Universität. Am dies academicus trafen sich Prof. Dr. Beate Schücking, die Rektorin der Universität, und Oberbürgermeister Burkhard Jung, in der neuen Ausstellung der Kustodie, um den Vertrag medienwirksam zu unterschreiben. Die aktuelle Ausstellung – die erste überhaupt im neuen Raum – zeigt 200 Jahre Baugeschichte am Augustusplatz. Das passte also zum Thema. Denn auch das schweißt Stadt und Universität zusammen: die rasenden Wechsel der Veränderung. Denn so wie es in der Zeit fünf verschiedene Universitätsstadien gab, hat auch die Stadt im selben Tempo ihr Gesicht verändert.

Sieben Handlungskomplexe haben Stadt und Universität definiert, in denen sie ihre Kooperation nicht nur verstetigen wollen. Das Ganze ist schon ernst gemeint. Auf beiden Seiten gibt es jetzt für jedes Themenfeld – Politik, Wirtschaft und Arbeit, Bildung, Kultur und Wissen, Sport, Öffentlichkeitsarbeit und Marketing sowie internationale Beziehungen – einen oder mehrere Ansprechpartner. Auch in der Stadtverwaltung. Aus allen jeweils verantwortlichen Referaten gibt es einen Entsandten in der Arbeitsgruppe, die die Aktivitäten bündelt.Eine Aktivität ist zum Beispiel die Arbeit an der geplanten vierbändigen Stadtgeschichte, die zum 1.000jährigen Jubiläum der Ersterwähnung 2015 erscheinen soll. Das wird noch zur Genüge rumpeln. Aber die Latte liegt hoch: Leipzig will sich mit dieser wissenschaftlichen Gesamtschau mit den großen Vorlagen anderer Städte messen. Und es kann passieren, dass sie dabei – mit aller wissenschaftlichen Akribie – nur einen langweiligen Abklatsch liefert. Oder dass das Autorenteam die Chance ergreift, Stadtgeschichte tatsächlich als komplexe Entwicklungsgeschichte zu beschreiben. Leipzig würde sich dazu geradezu anbieten.

Ein zweites aktuelles Thema, das der Stadt besonders wichtig ist, ist die Reform der Stadtverwaltung. Sie leidet nicht unter Übergewicht, wie es gern von Kritikern beschrieben wird. Für eine deutsche Großstadt ist sie sogar sehr schlank. Aber sie leidet an Konflikten, Mangelerscheinungen, spürbarer Ineffizienz an einigen Stellen. Die Forderungen nach einer modernen, schlanken und trotzdem funktionsfähigen Verwaltung liegen auf dem Tisch. Aber wie kann man das organisieren? – Schon die Aufgabenstellung lässt ahnen, dass man hier eine ganze Reihe wissenschaftlicher Institute braucht, die neue Konstruktionsschemata für die Verwaltung entwickeln.

Ein Informations- und Wissenstransfer von beiden Seiten ist beabsichtigt. Handlungsstrategien sollen entwickelt und vereint Problemlösungen angegangen werden – auch mit anderen Leipziger Wissenschaftseinrichtungen, Unternehmen, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren als Partner. Stadt und Universität stellen jeweils die notwendigen Personal- und Sachleistungen zur Verfügung und tragen die ihnen im Rahmen des Vertrages entstehenden Kosten selbst.

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Die Vereinbarung wird durch einen konkreten Maßnahmeplan untersetzt, der jeweils nach zwei Jahren durch die Partner aktualisiert werden soll. So wollen Stadt und Universität beispielsweise neue, gemeinsame Weiterbildungsformate entwickeln und einen Katalog über Praktikaplätze und projektbezogene Einsätze erstellen. Und vielleicht nehmen künftig auch Forschungsarbeiten der Universität die Stadt selbst stärker in den Fokus – die Themen werden ja alle längst diskutiert und können wissenschaftlichen Input gut vertragen: eine moderne, stadtverträgliche Verkehrsstruktur, der energetische Umbau der Stadt, die Entwicklung belastbarer Wirtschaftscluster, eine nachhaltige Bildungslandschaft, moderne Formen der politischen Teilhabe usw.

Ein Projektbaustein ist zum Beispiel der “Aufbau eines Welcome Centers für (inter)nationale Fachkräfte und Wissenschaftler”. Das klingt schon fast, als könnte man das mit einem Projekt des Wirtschaftsdezernats koppeln: “Netzwerke im Bereich Wirtschaftsförderung, Technologie- und Wissenstransfer”. Netzwerke mit Andock-Möglichkeit wäre das große Thema. Arbeitstitel “Gründertresen”, wie vor fünf Jahren mal in der L-IZ angedacht.

Denn das Problem der Leipziger Wissensgesellschaft ist dasselbe wie das der Kooperationen von Uni und Stadt: ihr sporadischer Charakter. Nichts fließt wirklich irgendwo konsistent zusammen. Oder auf sächsisch: Jeder wurschtelt so vor sich hin.

Zu viel Hoffnung auf einen einzigen Kooperationsvertrag?

Es steht auch der Baustein drin “Entwicklung einer alltagsklugen und kritischen Wissenskultur in Leipzig”, verantwortlich dafür auf Stadtseite das Kulturdezernat. Aber zum Glück konkret die Leipziger Städtischen Bibliotheken und Volkshochschule und Brielers Referat. Das könnte also besser werden als nur sporadisch.

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