So langsam gewöhnt man sich an diese seltsame Bettelbesuche beim Finanzminister. Es gibt zwar auch so etwas wie Kabinettsitzungen, bei denen Ministerpräsident Stanislaw Tilich (CDU) mit seinen Ministerialen Kaffee trinkt und hinterher verkündet, man habe große Entscheidungen getroffen. Doch in Sachsen regiert seit fünf Jahren nur ein Mann: Georg Unland (CDU). Finanzminister steht an seiner Tür. Am Freitag, 6. Juni, gab es wieder so ein Bettelgespräch.

Der Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) war am Vortag ihre eigene Politik um die Ohren geflogen. Als erste sächsische Kultusministerin musste sie verkünden, dass ihr Ministerium nicht in der Lage ist, die Eltern der Schulkinder rechtzeitig vor Schulende darüber zu informieren, wo die Fünftklässler ab September zur Schule gehen sollen. Es liegt nicht an fehlenden Schulgebäuden, die würden schon noch ausreichen, um 4.400 zusätzliche Schüler im Land aufzunehmen. Aber nachdem Brunhild Kurth nun seit 2012 in Nachfolge von Roland Wöller (CDU), der aus dem zunehmenden Mangel an Lehrern vom Amt des Kultusminister zurückgetreten war, den Mangel nicht nur verwaltet, sondern auch noch verschärft hat, ist im Jahr 2014 nun eine Grenze erreicht. Das schlichte Einplanen von Fehlstunden und das Auffüllen der Schulklassen bis zur Schmerzgrenze von 28 Schülern reichen nicht mehr, um das Problem zu kaschieren.

Mitten in der Planung musste jetzt selbst die Bildungsagentur Sachsen einsehen, dass all das, was Brunhild Kurth als Fortschritt und gnadenvolle Lehrereinstellung gefeiert hat, nicht einmal ausreicht, den Schulbetrieb ab Herbst zu sichern. Am 12. Juni will man nun die Eltern benachrichtigen, wo ihre Kinder ab September lernen sollen.

Aber die Nachricht reichte man aus, bevor man noch die Mindestzahl der Lehrer beisammen hatte. Denn die 590 Lehrer, die Brunhild Kurth jetzt zähneknirschend eingestellt hat, reichen nicht. Der Gang zum Finanzminister war überfällig. Und dass auch Stanislaw Tillich dabei sein musste, lässt ahnen, dass die wackere Kultusministerin vorher schon mindestens einen solchen Bettelgang absolviert hat. Mit abschlägiger Antwort. Ein Finanzminister muss sich ja keinen Gedanken machen über die Funktionsfähigkeit der Schulen im Land. Das ist der Job der Kultusminister. Und auch ein bisschen der des Ministerpräsidenten. Aber der lässt seinen Finanzminister seit fünf Jahren die politischen Leitlinien bestimmen. Mit desaströsen Folgen nicht nur in den Schulen, sondern auch in Hochschulen, Justiz und Polizei.

Aber auch die Lösung, die das Kultusministerium nach der Alarmrunde am Freitag präsentierte, klingt in der Ministeriumsmeldung besser, als sie ist: “In Vorbereitung des kommenden Schuljahres können weitere Lehrer eingestellt werden. Darüber haben sich Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Finanzminister Georg Unland und Kultusministerin Brunhild Kurth heute verständigt”, hieß es da.

“Ich bin sehr froh über die Lösung. Das gibt uns die Möglichkeit, das nächste Schuljahr wie auch in den Vorjahren geordnet vorzubereiten. Das Kultusministerium hat zudem die Möglichkeit, flexibel auf wachsende Schülerzahlen und damit einhergehende zusätzliche Lehrerbedarfe reagieren zu können”, sagte Kultusministerin Brunhild Kurth.
Und in der CDU-Fraktion wurden gleich mal bunte Luftballons verteilt.

So jedenfalls klingt Lothar Bienst, der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, der seit 2012 mehr schlecht als recht den zurückgetretenen Thomas Colditz zu ersetzen versucht. Colditz war an der Unfähigkeit seiner Fraktionskollegen verzweifelt, eine strukturierte und zukunftssichere Schulpolitik in Sachsen zu sichern. Was Bienst jetzt erst mal ankündigt, hatte Colditz 2012 gefordert.

“Ich freue mich, dass sich die Staatsregierung so kurzfristig auf die Einstellung weiterer Lehrer einigen konnte”, jubelt Bienst. “Das ist eine gute Lösung für Sachsens Schüler, Eltern und die jungen Lehramtsabsolventen gleichermaßen. In den nächsten Monaten werde ich darauf drängen, dass die Staatsregierung das Personalkonzept für Lehrer evaluiert und weiter qualifiziert. Das gilt insbesondere für die künftige Planungssicherheit der Schulen und den Pädagogennachwuchs im Freistaat.”

Aber was Kurth dem Finanzminister jetzt abgetrotzt hat, ist geradezu lächerlich. Nach Angaben des Kultusministeriums will Kurth zum neuen Schuljahr über 160 Lehrer mehr einstellen als ursprünglich mit 590 Stellen geplant.

“Ich freue mich, dass das Kultusministerium kurzfristig über 160 Lehrer mehr einstellen wird”, jubelt auch Norbert Bläsner, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, noch ein bisschen. Noch regiert man ja zusammen mit der CDU und zeigt deswegen mit dem Finger auch nicht auf die Kaffeerunde im Tillich-Kabinett, sondern irgendwie lieber auf die graue Behörde.

Bläsner: “Es war für die Familien unzumutbar, dass die Kultusbürokratie nicht in der Lage war, rechtzeitig über die künftigen Schulen der Kinder zu informieren. Ich verstehe aber weiterhin nicht, warum das Problem fehlender Lehrer im kommenden Schuljahr nicht bereits eher gesehen und gelöst wurde. Es kann jetzt nur eine Schlussfolgerung geben: Das ganze Ausmaß des Lehrermangels muss endlich auf den Tisch; es müssen mehr Lehrer eingestellt werden. Allein nur der Ersatz der aus Altersgründen ausscheidenden Lehrer genügt nicht; wir brauchen in den kommenden Jahren einen Korridor von 200 bis 400 zusätzlichen jungen Lehrern pro Jahr. Kurzfristiges Krisenmanagement von Schuljahr zu Schuljahr reicht nicht aus. Es darf nie wieder passieren, dass die Planung eines neuen Schuljahres praktisch in letzter Sekunde implodiert und die Eltern und Schüler derart im Regen stehen gelassen werden.”

Nur dass auch die FDP ihre Mahnerrolle eben um mindestens zwei Jahre zu spät einnimmt. Als Wöller und Colditz zurücktraten, lagen schon alle Probleme auf dem Tisch. Das Ministerium hatte alle Zahlen zu den Lehrerabgängen, zu den steigenden Schülerzahlen, zu schon spürbar gestiegenen Stundenausfällen.

Gemahnt haben andere.

“Die verspäteten Schulzuweisungen sind ein Skandal. Dieses Chaos ist aber nur das Symptom einer völlig verfehlten Schulpolitik im Freistaat”, sagt dazu der SPD-Landesvorsitzende Martin Dulig. “Grundübel ist der seit Jahren bekannte Lehrermangel. Die schwarz-gelbe Staatsregierung ist aber nicht bereit, dagegen etwas zu tun. Dabei ist genug Geld für neue Lehrkräfte vorhanden. Sachsens Steuereinnahmen sind gestiegen, was den Spielraum nochmal erhöht hat. Es fehlt einfach der politische Wille, die Situation zu verbessern. Die SPD fordert, bis 2020 mindestens 2.500 Lehrkräfte zusätzlich einzustellen. Das ist finanzierbar. Statt in die Bildung und damit in die Zukunft zu investieren macht aber der Finanzminister auf dem Rücken unserer Kinder rigorose Sparpolitik.”

Und für ganz so unschuldig, wie er immer tut, hält er Ministerpräsident Stanislaw Tillich auch nicht mehr: “Bildung muss in Sachsen endlich wieder zur Chefsache werden. Dafür müssen alle an einem Strang ziehen. Aber der Ministerpräsident mischt sich nicht ein, die Kultusministerin gibt klein bei und der Finanzminister kann weiter ungehindert seine Spardosen füllen.”

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