Seit über einem Jahr schwelt der Streit um das neue sächsische Schulgesetz. Schon zwei Mal ist Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) damit aufgelaufen. Und am Dienstag, 10. Januar, zeigte sie via LVZ-Interview, wie man es fertigbringt, so ein Projekt wirklich gründlich zu torpedieren und sogar den einzigen Gesprächspartner, den man hat, vor den Kopf zu stoßen.

Schon zuvor war sie mit ihren Gesetzentwürfen auf heftige Kritik bei Lehrerverbänden, Gewerkschaften, Eltern und Schülern geprallt. Es geht nicht nur um Gemeinschaftsschule und längeres gemeinsames Lernen, wie sie im LVZ-Interview behauptet: „Das längere gemeinsame Lernen und die Gemeinschaftsschule, was immer wieder von der SPD gefordert wird, sind für die CDU aber kein Thema – weil der Koalitionsvertrag solche Änderungen ausdrücklich ausschließt. Insofern ist das aus meiner Sicht kein Verhandlungsgrund mehr. Die Zeit der Diskussionen muss vorbei sein. Wir müssen dringend zu Ergebnissen kommen. Das sind wir den Schülern, Eltern und Lehrern schuldig. Um vor dem neuen Schuljahr die entsprechenden Weichen stellen zu können, muss das Gesetz spätestens im April beschlossen werden.“

Aber dazu wird es nicht kommen, wenn sie dem Koalitionspartner SPD nicht deutlich entgegenkommt.

„Über viele Punkte reden“ ist nun einmal noch keine Lösung.

Und schon im Sommer, als sie das erste Mal Druck machte und meinte, der Gesetzentwurf sei jetzt fertig und beschlussreif, bekam sie heftiges Kontra aus der SPD. Denn all das, was auch die involvierten Verbände gefordert hatten, stand einfach nicht drin. Von einem modernen Gesetz konnte keine Rede sein.

Und daran hat sich auch nach all den Gesprächen nichts geändert.

„Es ist schade, dass nicht einmal mehr die fachlich zuständige Ministerin an Fachfragen interessiert zu sein scheint“, erklärt deshalb Sabine Friedel, die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, zu den Vorwürfen der Ministerin, die SPD blockiere ein neues Schulgesetz aus ideologischen Gründen. „Ruft man sich das Echo auf den von der Ministerin vor einem knappen Jahr vorgelegten Gesetzentwurf in Erinnerung, dann sollte klar sein, warum es so lange dauert, diesen zu verbessern. Vom Landesbildungsrat über Gewerkschaften und kommunale Spitzenverbände bis hin zum Landeselternrat – es gab von vielen Seiten fachliche Kritik. Dem dürfen wir uns nicht verschließen.“

Das, was Brunhild Kurth aber vorgelegt hat, ist ein Paket, das noch mehr Unsicherheiten in ein sowieso schon auf Sparen gesetztes Bildungssystem bringt.

„So ebnet der Gesetzentwurf der Kultusministerin den Weg für Schulschließungen. Das Moratorium ist nicht umgesetzt, Grund- und Oberschulen im ländlichen Raum werden nicht mehr in dem Umfang wie heute geschützt“, nannte Friedel als ein Beispiel. „Der Gesetzentwurf der Kultusministerin gefährdet die Struktur der Beruflichen Bildung in Sachsen: Mit einer Mindestschülerzahl von 750 droht die Schließung von Berufsschulen. Der Gesetzentwurf der Kultusministerin mache Inklusion zur Mogelpackung. Er gewährt kein Recht auf inklusive Beschulung. Und er überfordert die Grundschulen, weil im Gegensatz zu früher auf die Diagnose des Förderbedarfs von Kindern verzichtet wird, ohne zusätzliche Lehrer bereitzustellen. Zudem trägt der Gesetzentwurf an keiner Stelle dazu bei, die Schulen stärker zu unterstützen und die Position der Lehrkräfte zu verbessern. Für den Umgang mit Integration, Inklusion, digitaler Bildung und vielen weiteren Herausforderungen der Zukunft brauchen wir aber Antworten, die ein modernes Gesetz geben muss.“

Da ist mit einem Beschluss im April ganz bestimmt nicht zu rechnen, wenn die Ministerin die Korrekturforderungen nicht umsetzt.

„Wir als SPD-Fraktion haben in den vergangenen Monaten hart daran gearbeitet, die Unterlassungen des Kultusressorts zu reparieren: Beim Schulgesetz und auch beim Lehrermaßnahmenpaket“, sagt Friedel. „Wir werden das auch weiterhin tun, denn wir nehmen unsere Aufgabe ernst. Qualität geht vor Schnelligkeit und die Lösung von Problemen vor Profilierung.“

Ein anderes Zitat aus dem Interview brachte dann Friedels bildungspolitische Kollegin aus der Linksfraktion, Cornelia Falken, so einen Oha-Moment: Da rennt man mit berechtigten Anträgen der Regierung die Bude ein, die lehnt ab – und dann auf einmal – nach den erschreckenden Ergebnissen des „Sachsen Monitor“ – findet auch die Kultusministerin politische Bildung in der Schule wieder gut.

„Die politische Bildung können oder wollen viele Familien heutzutage, aus ganz unterschiedlichen Gründen, nicht mehr leisten. Wir dürfen Jugendliche, die zu Hause nicht mehr diskutieren können und demokratische Werte vorgelebt bekommen, nicht allein lassen“, meinte Kurth im Interview. „Deshalb soll Schule hier deutlich engagierter sein als bislang. Gleichzeitig muss aber auch klar sein: Schule kann nicht die Reparaturwerkstatt für alle gesellschaftlichen Probleme sein.“

Eine doppelt vertrackte Aussage.

Im Dezember 2015 erst, als Sachsen überregional wegen mangelnder politischer Bildung in die Kritik geraten war, hatten die Koalitionsfraktionen einen Antrag der Linken abgelehnt, die „Schule (zu) demokratisieren und politische Bildung (zu) stärken“ (Parlaments-Drucksache 6/ 889).

„Nun vollzieht die Kultusministerin einen ihrer häufigen Kurswechsel und kündigt ‚eine demokratische Erziehung, die jeder Staatsbürger haben sollte‘, an“, wundert sich Falken. „Nötig sei eine verstärkte ‚Demokratieerziehung‘, weil in den Familien politische Bildung kaum oder gar nicht gewollt und die Lehrerschaft zu feige sei, sich ‚widerstreitenden Meinungen‘ zu stellen. Woher Frau Kurth ihre Weisheiten hat, bleibt ihr Geheimnis. Eine empirische Studie dazu mit objektiven Ergebnissen fehlt jedenfalls in Sachsen bislang. Dass die Politik der CDU, die immerhin sämtliche Kultusminister stellte, für die politische Misere in Sachsen Verantwortung trägt, scheint ein Gedanke zu sein, der der Ministerin nicht in den Sinn kommt. Und so läuft ihre ‚Demokratieerziehung‘ auf eine Staatsbürgerkunde hinaus. Diese beruht auf dem einfachen Gedanken einer Vermittlung der Regierungspolitik. Wenn der Bevölkerung die Politik der Staatsregierung richtig vermittelt werde, dann wachse auch das Vertrauen wieder in die Demokratie. Eine lediglich ‚neutrale Haltung gegenüber unserer bestehenden Ordnung‘ oder gar eine kritische Haltung schließt die CDU aus. ‚Vielmehr‘, so heißt es in einem CDU-Antrag vom September 2000, ‚sollte ein positives Einstehen erzeugt werden, das ein aktives Entgegenwirken gegen Gegner der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt.‘“

Eine solche „Demokratieerziehung“ lehnte Die Linke ab, betont Falken. „Eine freiheitliche demokratische Grundordnung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie Kritik nicht bloß zulässt, sondern sie institutionalisiert. Und das erfordert eine andere, eine ‚demokratische Schule‘, in der Heranwachsende in einem überschaubaren und institutionell geschützten Rahmen die Erfahrung des Bürgerhandelns machen können, das auf Selbstbestimmung, Verantwortungsübernahme und Verständigung beruht. Schülerinnen und Schüler lernen Unterschiede kennen und bejahen, und sie lernen Formen von unverschuldeter Benachteiligung wahrzunehmen und aufzuheben. Weniger um ein funktionales Wissen geht es in der demokratischen Schule als um die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst, mit den anderen und mit dem gesellschaftlichen Umfeld. Kritische Aufnahmefähigkeit hat Vorrang vor dem Erwerb von Sachwissen, das sich ohnehin ständig verändert.“

Aber Brunhild Kurth stellte im Interview selbst fest, dass man in Sachsen seit den 1990er Jahren auf eine entpolitisierte Schule gesetzt habe. Da, wo Gesellschaftsbildung eigentlich hätte passieren können, fiel sie einfach aus. Nun soll das irgendwie wieder implementiert werden – gar noch ohne zusätzliche Belastung für die Lehrer – das kann spannend werden. Brunhild Kurth: „Es geht nicht darum, eine bestimmte Parteipolitik zu transportieren, sondern eine Diskussionskultur zu entwickeln. Das mag sicherlich für manche Lehrer eine Herausforderung sein. Dazu gehört auch, die Spannung einer intensiven Schülerdiskussion auszuhalten, zu lenken und zu einem Ergebnis zu führen.“

Man ahnt, wie Recht Cornelia Falken hat. Es geht eben nicht – wie Kurth glaubt – darum, „die Spannung einer intensiven Schülerdiskussion“ auszuhalten, sondern Demokratie als politische Grundhaltung zu vermitteln. Aber darüber soll ja erst gesprochen werden, wenn das Schulgesetz beschlossen ist. Doch die Botschaft von Sabine Friedel war deutlich: Die Kultusministerin muss nachbessern. Und die SPD weiß dabei die wichtigsten Fachgremien hinter sich.

Der Landesbildungsrat befand den Gesetzentwurf des Kultusministeriums für „defensiv, er passt sich der Vergangenheit an“, die GEW nannte ihn „enttäuschend“, der Sächsische Lehrerverband sah „in vielen Punkten erheblichen Nachbesserungsbedarf“. Der Sächsische Landkreistag erklärte, der Entwurf könne „in weiten Teilen nicht mitgetragen“ werden, der Sächsische Städte- und Gemeindetag sah „nur wenige Anregungen aufgegriffen und auch diese nur teilweise umgesetzt“ und der Landeselternrat empfand den Umgang mit den Hinweisen aus dem Dialogprozess als „nicht hinnehmbares Ergebnis“.

So verprellt man Bürger und Betroffene. Das kann nicht gutgehen. Und die Botschaft der SPD ist deutlich: Sie stimmt erst zu, wenn die Schulministerin ihre Hausaufgaben gemacht hat.

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Die Familien, die heute die politische Bildung nicht mehr leisten wollen oder leisten können, sind die Schüler gewesen, die die entpoltisierte Schule der Sachsen-CDU seit den 90er Jahren durchlaufen haben und deshalb deren Ergebnis.

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