Wie viele Schulverweigerer hat Leipzig eigentlich? Und was unternimmt die Stadt, um die Kinder zur Raison zu bringen? Zumindest klang das an in den Fragen, die die SPD-Fraktion im Stadtrat zum Thema gestellt hat. Und sie bekam jetzt auch Antwort vom Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport. Nicht zu Schulverweigerern, sondern zur Zahl der angezeigten Ordnungswidrigkeiten.

Denn natürlich steckt hinter jeder von der Schulleitung angezeigten Ordnungswidrigkeit ein konkreter Schüler oder eine Schülerin – aber meist sind die Ursachen für das „unentschuldigte Fernbleiben“ von der Schule vielfältig, hat man es mit persönlichen Problemen zu tun und auch mit schlechten Erfahrungen der Kinder in der Schule, so dass hinter den 2.303 im Jahr angezeigten Ordnungswidrigkeiten natürlich deutlich weniger Schüler stecken. Aber jede Menge persönlicher Probleme.

Aber eines hat sich nicht geändert: Leipzig ist sachsenweit die Stadt mit den meisten festgestellten Schulverweigerungen geblieben. Jede dritte Ordnungswidrigkeit dieser Art wird in Leipzig registriert. 2015 hatte es zuletzt einen Rückgang auf 1.635 Fälle gegeben, schon 2016 war die Zahl wieder auf 2.186 gestiegen.

Und die meisten Fälle gab es wieder da, wo auch im Bildungssystem die sozialen Brennpunkte sind: In den Oberschulen, wo 957 Fälle gezählt wurden. In den Berufsschulen waren es 952 Fälle, in den Grundschulen 205 und in den Förderschulen 137. Nur 29 wurden an Gymnasien registriert – aber man sieht schon: Schulverweigerung hat viel mit der Schulart zu tun, höchstwahrscheinlich auch mit dem sozialen Umfeld und natürlich auch mit den Erfolgs-/Misserfolgs-Erlebnissen der Schüler an den Schulen.

Bei den verhängten Bußgeldern verfiel das auskunftsgebende Dezernat wieder mal ins Schwafeln und betete die üblichen Regularien herunter, statt einfach sachlich Auskunft zu geben.

So liest sich das dann: „Schulpflichtverletzungen sind nach dem Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SächsSchulG) mit einer Geldbuße von 5 bis 1.250 EUR bei vorsätzlichen Handlungen bewehrt, bei fahrlässigen Zuwiderhandlungen bis 625 EUR. Innerhalb dieses Rahmens ist durch die Bußgeldbehörde nach Maßgabe des jeweiligen Einzelfalles der Umfang und die Intensität der Schulpflichtverletzung zu bewerten um somit eine tat- und schuldangemessene Entscheidung zur Bußgeldhöhe zu treffen.

Ein Pauschalsatz der Geldbuße pro Fehltag kommt nicht zur Anwendung. Vielmehr ist eine sachgerechte Relation zu anderen Fällen herzustellen. Die Einkommen der Eltern finden in den Fällen der Ahndung der über 14-jährigen Schüler/innen keine Berücksichtigung. Jedoch können rechtskräftige Vorverfahren in die abschließende Entscheidung mit einbezogen und das Bußgeld entsprechend erhöht werden.“

Das ist alles amtliches Blabla. Denn die Bearbeiter wissen selbst, dass die meisten Kinder, die hier betroffen sind, aus Elternhäusern kommen, in denen es alle nicht so dicke haben. Aus einer Antwort an die Landtagsabgeordnete Petra Zais (Grüne) wissen wir, dass im Schnitt 91 Euro pro Fall verhängt wurden. Das tut in einkommensschwachen Haushalten trotzdem noch bitter weh – erst recht, wenn es häufiger vorkommt.

Und die Antwort des Leipziger Sozialdezernats zeigt auch, dass man sich amtlicherseits sogar bewusst zu sein scheint, dass Schulverweigerungen eigentlich immer nur Anzeige von persönlichen oder familiären Problemen sind, denen man mit Bußgeldern nicht beikommt. Den Kindern und ihren Familien muss meist ganz anders und wirklich geholfen werden.

Aber der Sprachgebrauch zeigt schon, dass Sachsens Gesetzgeber Schulschwänzen als Delikt begreifen und die Kinder als Schuldiggewordene. Dahinter steckt das – falsche – Denken über Schulpflicht. Denn wenn der Staat in allen Fällen, in denen er selbst seine Unterrichtsversorgungspflicht vernachlässigt, ebenso Strafgebühren an die Betroffenen zahlen müsste, würden 450.000 Euro im Jahr wohl nicht reichen. Gerade die Schultypen, in denen am häufigsten „geschwänzt“ wird, sind auch die Schultypen mit den höchsten Raten an Unterrichtsausfall. Da kann niemand erzählen, dass die Pflichtvergessenheit auf staatlicher Seite sich nicht in entsprechender Null-Bock-Stimmung auf der anderen Seite niederschlägt.

Beides erzählt von einem falschen – weil vormundschaftlichen – Denken über Bildung.

Da fällt es schon auf, dass das Thema Schulverweigerung im „Bildungsreport“ der Stadt Leipzig nicht auftaucht. Dabei sagt die Auskunft, dass man sich in Leipzig sehr wohl bewusst ist, dass man in den meisten Fällen sozialdienstlich tätig werden muss.

6.114 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verstößen gegen Schulpflicht in Sachsen 2016

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