Der medienwirksamen Präsenz des Themas Sucht und Internet stünden nur wenige handfeste Untersuchungen gegenüber, sagt der Leipziger Neurologe Dr. Christian Michalski im l-IZ-Interview. So lange sich die Nutzung digitaler Medien in das soziale Leben einfüge, könne von einem verantwortungsvollen Umgang ausgegangen werden, so Michalski.

Herr Dr. Michalski, Suchtverhalten und Computer ist eines Ihrer Themen. Wie PC- und online-affin sind Sie eigentlich selbst?

Ich habe persönlich schon früh Zugang zu Computern gehabt und nutze auch das Internet schon lange. Viele tägliche Arbeiten wären ohne PC und Internet nicht mehr in dieser Form möglich. Von daher muss ich mich schon als PC- und online-affin bezeichnen.

Wie würden Sie das Suchtpotenzial, das von Computern und seine handlicheren Nachfolgegeräten ausgeht, denn beschreiben?

Wie ich in meinen Vorträgen versuche zu verdeutlichen, lässt sich diese Frage nicht so einfach und pauschal beantworten. Computer, Smartphones und Internet gehören zu unserer modernen Kultur dazu und haben nicht per se ein Suchtpotenzial.

Der entsprechende Umgang und das unreflektierte und unkontrollierte Nutzen machen dabei das Suchtpotenzial aus. Und hier bringt jeder Nutzer seine eigenen Voraussetzungen mit.

Der medienwirksamen Präsenz des Themas stehen oft nur wenige handfeste Untersuchungen gegenüber, oft wird der Begriff der Sucht dabei sehr unscharf benutzt, so dass in der Diskussion eine klare Abgrenzung oft nicht sicher möglich ist. Legt man den medizinischen Definitionsbegriff von Abhängigkeit zugrunde, so sehen diese Einschätzungen in Bezug auf eine Suchtentwicklung im medizinischen Sinn weniger dramatisch aus, als es auf den ersten Blick erscheint. Nichts desto trotz muss auch für den Gebrauch von Computern und Internet ein Risiko zu süchtigem Verhalten bejaht werden.
Sehen Sie dabei Auffälligkeiten oder besondere Gefährdungen bei bestimmten Gruppen?

Eine große Anzahl von Menschen in Deutschland nutzt jeden Tag Computer und Internet – vernünftig und ohne Tendenzen zu einer Suchtentwicklung. Auch wenn in der Medienpräsenz immer häufiger der Jugendschutz eine Rolle spielt, so sind als Hochrisikogruppen insbesondere solche Menschen zu benennen, die bereits eine stofflich oder nicht stofflich gebundene Sucht entwickelt haben, Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Persönlichkeits- oder affektiven Störungen oder auch einfach der notwendigen Zeit für eine exzessive Nutzung von Computer und Internet.

Sie wenden sich mit Ihren Informationsangeboten an Lehrer und Eltern. Welche Wissenslücken müssen Sie da schließen?

Lehrer und Eltern wissen meist schon sehr viel über Computer, Internet und die damit verbundenen Risiken. Ich werde immer wieder gebeten, den ärztlichen Blickwinkel darzustellen und nutze diese Gelegenheiten, um auch den Unterschied zwischen problematischem Konsumverhalten und einer Störung im Sinne einer Krankheit zu verdeutlichen.

Darüber hinaus versuche ich aufzuzeigen, dass die Ursachen vielfältig und individuell sind, das pauschale Urteile weder den Betroffenen noch Schülern und Eltern helfen und ein Problematisieren des Nutzungsverhaltens ohne differenzierte Betrachtung der Ursachen oft keine Lösung bietet. Oft liegen der unkritische Umgang mit Computer und Internet, so wie das auch bei anderen “Suchtmitteln” ist, viel weiter zurück, als die reinen Auffälligkeiten, entscheidend bleibt auch, welchen Umgang Kinder und Jugendliche auch in Bezug auf Computer und Internet vorgelebt bekommen.

Wie können Freunde und Angehörigen einem Computersüchtigen denn helfen?

Generell ist das Ansprechen der Auffälligkeiten entscheidend. Suchtverhalten lässt sich nur ändern, wenn der Betroffene selber eine Veränderung will. Dafür ist Einsicht nötig, manch einer muss diese hart erarbeiten. Suchtberatungsstellen bieten hier niedrigschwellige Angebote, bei einer echten Suchtentwicklung sollte der Betroffene ärztliche Hilfe eines Psychiaters in Anspruch nehmen. Entscheidend ist also, Motivationen aufzubauen, das Verhalten zu ändern. Die Hilflosigkeit der Angehörigen ist oft gut nachzuvollziehen, jedoch nützen viele, auch drängende Aktivitäten aus dem Umfeld nichts, so lange der Betroffene selber keine Veränderung zulässt. Hilfe zur Selbsthilfe ist hier also das Schlagwort.

Wie sieht denn aus Ihrer Sicht an verantwortungsbewusster Umgang mit den digitalen Möglichkeiten aus?

Auch hier sind pauschale Antworten und schnelle Lösungen sicher nicht möglich. Frühere Versuche, Computer- oder Internetnutzung nach Zeiteinheiten analog der Volumenangaben für Alkohol in Bezug auf “sicher – kritisch – gefährlich” einzuteilen, erscheint meiner Meinung nach nicht sinnvoll.

Auch hier bewahrheiten sich alte Weisheiten: Die Dosis macht das Gift. Und hier muss differenziert werden. Viele Menschen arbeiten inzwischen mit Computer und Internet, zum Teil in Vollzeit, so dass alleine das Zeitkriterium hier keine Abhilfe schaffen kann. Viel wichtiger erscheint mir, soziale und persönliche Aktivitäten, Hobbys und Familie in den Kontrast zur Internet- und Computernutzung zu sehen. Ergeben sich hier Defizite, so muss kritisch hinterfragt werden, ob dann nicht ein schädlicher Konsum vorliegt.

Um auf die Frage zurückzukommen – so lange sich Computer und Internet in das soziale Leben einfügen und die wesentlichen Bereiche des menschlichen Lebens und der sozialen Strukturen nicht beeinträchtigen, kann von einem verantwortungsvollen Umgang ausgegangen werden. So einfach und auch so schwierig.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. med. Christian Michalski ist Facharzt für Neurologie sowie für Psychiatrie, Psychotherapie und Forensische Psychiatrie. Er beschäftigt sich unter anderem mit dem Suchtpotenzial des Internet und tritt hierzu im Rahmen der Lehrerfortbildung auf.

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