Wie vermarktet man das Leipziger Neuseenland? Wie sollte man es vermarkten? Ist es ein Urlaubsziel oder doch nur das Freizeit-Hinterland für Leipzig? - Braucht es ein "übergeordnetes Konzept zur touristischen Entwicklung"? - Zumindest darf Nikolaus Job, Chef des Vergnügungsparks Belantis, das im neuen Heft "näher dran" wieder sagen.

“Leipzig per Boot erkundet” heißt denn auch der Aufmacherartikel. Carolin Fraunholz hat für das neue Heft eine Tour mit dem LeipzigBoot gemacht. Hat den Urwald am Floßgraben gesehen, Klein-Venedig und ein bisschen Amsterdam. Keine Frage. Der Reiz des Leipziger Gewässerknotens ist auch seine Vielfalt. Keine Frage auch: Ein sinnvolles Tourismuskonzept wäre nicht schlecht. Keine Frage aber auch: Dafür müsste einiges, was derzeit die Vermarktung dominiert, entrümpelt werden. Das Neuseenland ist ein Sammelsurium der Widersprüchlichkeiten. Belantis gehört dazu. Die Amphibienfahrzeuge, die den (noch längst nicht freigegebenen) Störmthaler See verlärmen, auch.

Das LeipzigBoot darf mit Ausnahmegenehmigung auch weiter durch den Floßgraben fahren. Ansonsten sind die Nutzungszeiten drastisch eingeschränkt. Der Auwald hat sich via Eisvogel vorsichtig zurückgemeldet. Und das hat einigen Leuten in der von Wachstumsvisionen besessenen Region wieder klar gemacht, dass das Meiste, was sich einige Leute erträumen, im naturgeschützten Auenwald nicht geht. Nicht jede Unternehmer-Idee oder Vision ist eine gute Idee.

Aber Recht hat Nikolaus Job natürlich mit der Forderung nach einer übergeordneten Konzeption. Nur wird die vielleicht ganz anders aussehen müssen, als es sich Mancher erträumt – rücksichtsvoller, schonender, preiswerter und nachhaltiger. Auch bei den Plänen für einen Elster-Saale-Kanal.

Natürlich macht man solche touristischen Hefte, um Touristen für die Region zu begeistern. Das ist ihr Sinn und ihr Manko. Vielleicht ist es auch kein Manko, muss keins sein. Denn wo steht geschrieben, dass solche Magazine nur Hosianna singen dürfen? – Vielleicht steht’s irgendwo geschrieben in Lehrbüchern für PR-Leute. Kann sein. Aber dann braucht man sie eigentlich nicht. Die Welt ist voller Hosianna. Und es fehlen immer öfter die Medien, die sich ernsthaft mit den Themen beschäftigen. Auch Tourismus ist ein ernstes Thema. Selbst die Diskussion um die Millionen-Pläne für den Elster-Saale-Kanal haben gezeigt: Wegen des Kanals wird kaum jemand sein Boot zu Wasser lassen. Selbst Fließgewässer sind nur interessant, wenn das Ziel reizvoll ist. Und bei jeder touristischen Analyse für den Kanal taucht die Erkenntnis auf: Das ganze Projekt funktioniert nur mit der reichen Kulturstadt Leipzig als Ziel.

Wo man auf andere Weise viel schneller hinkommt.Was bis heute fehlt ist eine echte Analyse: Wen lockt es wie ins Neuseenland? – Sie fehlt auch hier. Da kann Nikolaus Job so oft zitiert werden, wie er will. Es gibt keine ernsthafte Diskussion über den Tourismus im Neuseenland, keine belastbaren Zahlen, keine Varianten-Überlegungen. Wohin soll die Reise gehen? – Ein solches Heft wie “näher dran” könnte die Diskussion aufzeigen. Wenn es eine gäbe. Es gibt keine.

Es gibt nur eine Menge Hosianna. Auch weiter hinten im Heft. Das Phrasenschwein freut sich. Es ist danach kugelrund. Aber wer liest das? Wem nutzt das? Soll nicht mehr diskutiert werden über das Reiseziel Leipzig? Ist alles selbstverständlich? Oder glaubt da jemand, man müsse auch den Tourismus-Experten andernorts nur immer schönen Honig aufs Brot schmieren? – Solche Oberbürgermeisterworte etwa: “Darum werden uns die meisten Städte beneiden.” Hat Burkhard Jung wohl zur Kongresshalle gesagt als neuen Veranstaltungsort. Er sagt öfter solche Dinge. Man kann’s eigentlich nicht mehr hören. Weil es Mumpitz ist. Als wenn da draußen irgendwelche Städte neidisch auf Leipzig gucken. Die meisten sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt (was sie eigentlich auch alle mit Leipzig gemeinsam haben) und Leipzig interessiert die Leute dort nur, wenn in Leipzig mal was Spannendes passiert. Wenn zum Beispiel mal einer anfangen würde, das Neuseenland anders und spannender zu denken als all die anderen Wasserregionen Deutschlands. Nicht vom Motorboot her, sondern beispielsweise – von der Stille. Die es in Leipzig schon längst nicht mehr gibt.

“Jede wassertouristische Trendsportart wird … angeboten”, schreibt Carolin Fraunholz. Und hat Recht. Das Neuseenland ist ein Gemischtwarenladen.

Leipzig, wie es auf den ersten Blick scheint, wohl auch. Wie viele Artikel haben wir jetzt gelesen, in denen mit fröhlicher Unkenntnis Goethe missbraucht wurde? – “Leipzig ist ein klein Paris …” – Diesmal auf die “WorldSkills” gemünzt, die vom 2. bis 7. Juli in Leipzig stattfinden. Ein bisschen Bachfest, ein netter Text zu Asisis Völkerschlacht-Leipzig-Panorama. Ein Ausflug in die Biotechnologie, den man aus touristischer Sicht nicht wirklich verstehen muss. Alles ist schön, exzellent, außergewöhnlich. Was für eine Stadt. – Man könnte einschlafen darüber.

Scheinbar streitet sich hier niemand, alles ist klar. Und selbst in Sachen Transparenz “geht Leipzig einen Schritt voran.” Weil die Stadtratssitzungen künftig per Video-Stream übertragen werden. Wenn das ausreicht an Transparenz, ist ja alles paletti.

Es gibt Publikationen, bei denen hat man das seltsame Gefühl, in einer völlig anderen Stadt zu leben als der beschriebenen. Das hier ist eine davon.

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