Es hätte ein Superheft werden können, ein Knaller, ein Brummer, eins, das die Leute am Kiosk nachfragen, wenn's alle ist. 3,90 Euro sind kein Preis für ein Regionalmagazin. Wenn's macht, was es verspricht. Und diesmal versprach die Regjo-Mannschaft ganz viel: "Neben dem Titelthema 'Forschungslandschaft Mitteldeutschland' bestimmen wie immer spannende Beiträge zur regionalen Wirtschaft und Kultur die Ausgabe."

So flatterte die Verkündung am 10. Juli ins E-Mail-Postfach. Das Heft ist jetzt da und verheißt “Innovation”. Und doch macht es noch stärker als alle “Regjo”-Hefte zuvor deutlich, wie sehr auch die Medien unter dieser hinterwäldlerischen Zerstückelung Mitteldeutschlands leiden. Bei “Regjo” selbst schwankt man ja hin und her. Man will ja keinen Geldgeber verärgern, hat seine Web-Adresse auf regjo-mitteldeutschland.de gebucht, nennt sich aber lieber vorsichtig “Das Magazin für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen”. Geht eigentlich nicht. Weiß jeder, der so ein Projekt schon einmal versucht hat. Auch wenn die Fotos in diesem 120-Seiten-Heft brillant sind, können sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass die drei Bundesländer längst mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Zielen unterwegs sind. Die Klein-Klein-Politik in Magdeburg, Erfurt und Dresden schlägt voll durch. Und bremst genau das, was “Regjo” Heft für Heft versucht zu beschreiben: Die Entstehung einer schlagkräftigen und innovativen Wirtschaftsregion. Im Heft sieht alles geradezu futuristisch aus. Es glänzt und strahlt und ist, wenn man den Autoren glauben darf, allüberall spitze, einzigartig, unverwechselbar.

Darf man aber nicht. Die Hälfte der Beiträge ist von den beschriebenen Einrichtungen selbst geschrieben.

Man ahnt die Zwänge. Denn so ein Hochglanzprodukt ist nicht billig. Da muss man genügend Anzeigen hereinholen. Möglichst aus den Bereichen, über die man berichten will. Das ist schwer genug. Denn an einem Strang zieht in dieser zerfledderten Region zwischen Fichtelberg und Börde niemand. Im Bundesrat stimmt man mal mit-, mal gegeneinander. Und selbst Politikfelder, die eigentlich nur gemeinsam gehen, betreibt man in flottem Dissens: vom Verkehr bis zur Wirtschaftsförderung. Wenn man das so nennen kann. Von Bildung und Forschung gar nicht zu reden. Das beschreiben Tobias Prüwer und Franziska Reif gleich vorn im Heft, wenn sie über die noch bestehende exzellente Hochschullandschaft berichten – und auf die Probleme eingehen, die sich jetzt alle drei Bundesländer schaffen, indem sie massiv Hochschulpersonal abbauen wollen. Obwohl die Hochschulen voll sind. Obwohl ihnen jedes verständige Gutachten sagt, dass ihre einzigen wichtigen Ressourcen kluge Köpfe, Idee und Innovation sind.

Stecken die drei Bundesländer wirklich so tief in der Finanzierungsmalaise, dass sie sich soviel Bildung nicht mehr leisten können? Ist die einzige Lösung für klamme Kassen eine Senkung des Bildungsniveaus?

Wie das alles so kam, das beschreibt gleich im Einstiegsartikel Helge Heinz-Heinker – von der völlig überschätzten, auf Materialverschleiß fahrenden Schwerindustrie der letzten DDR-Jahre über die holterdipolter am 1. Juli 1990 eingeführten D-Mark und die meist vergessene Tatsache, dass der wirtschaftliche Umbruch in Ostdeutschland punktgenau zusammenfiel mit der nächsten heißen Phase der Globalisierung. Die abgebauten Arbeitsplätze wanderten aus Baden-Württemberg eher selten nach Sachsen oder Sachsen-Anhalt, sondern verschwanden erst mal nach Fernost. Wo sie heute meist noch sind, weil die Löhne da so unvergleichlich viel niedriger sind.

Den Spagat, unter dem nun alles steht, was im Dreiland irgendwie versucht, Weltniveau zu erreichen, fassen Prüwer und Reif in der Überschrift “Solide trotz Unterfinanzierung” zusammen. Sie meinen damit zwar die Hochschulen und Forschungseinrichtungen und die klammen Geldgeber. Aber da die Unterfinanzierung auch mit einer Wirtschaft zu tun hat, die eben nicht die 17 Milliarden Euro aufbringen kann, mit denen in Baden-Württemberg geforscht wird, ist es auch ein Schlaglicht auf die Kleinteiligkeit der Unternehmen, die auch in Mitteldeutschland gern Weltspitze wären, weil sie auf den Weltmärkten mithalten wollen und müssen.

Aber wie schafft man das, wenn die Innovationspotentiale fehlen?

Drei Länder, drei Antworten. Alle drei ungenügend, auch wenn im Heft einige der Fördereinrichtungen zu Wort kommen. Auch einige der Hochschulen und Forschungsinstitute vorgestellt werden, die sich die öffentliche Hand viel Geld hat kosten lässt. Auch die praxisnahe Forschung wird in Mitteldeutschland fast komplett von öffentlichen Trägern finanziert.

Das bestimmt dann auch das Bild dessen, was projektiert und geforscht wird. Es fehlt die große Strategie. Jeder macht Seins. Jeder bemüht sich um einen Teil aus den Fördertöpfen. Man holt nicht die Projektgelder herein, die man eigentlich bräuchte, um diese Nicht-Metropolregion Mitteldeutschland gebündelt und zielstrebig auf Weltniveau zu bringen, sondern passt lieber die regionale Arbeit den gerade verfügbaren Fördertöpfen an. So zerläppert es sich im Kleinklein. Auch im Heft, dem eindeutig der große Überschau-Artikel fehlt: Welche Forschungscluster gibt es in Mitteldeutschland? Wo stehen sie? Mit welchen thematischen Schwerpunkten? Mit welcher Finanzierung und welchen Synergien?

Klar weiß unsereins, dass es dafür keine Datenbank gibt. Nicht mal das. Die kleinliche, provinzielle Politik in den drei Hauptstädtchen zeigt sich überall. Jeder tut so, als wäre er Weltmarktführer, auch wenn sie alle drei nur auf den vorletzten Plätzen im Bundesländervergleich herumhumpeln. Mecklenburg-Vorpommern immer mit heißem Atem im Nacken. Denn aus seinen industriellen und den Innovationspotenzialen und der idealen Lage an den Transportschnittstellen Mitteleuropas machen alle drei Bundesländer nichts, verzetteln sich lieber, um auch noch die abgelegenste Region mit einer Autobahn anzubinden.

Dabei war schon 1990 klar: Selbst mit Milliardenhilfen aus dem Westen muss hier gehaushaltet werden, braucht es schlanke und konzentrierte Strukturen, an denen dann alles andere andocken kann. Aber man hat lieber mit “allem anderen” angefangen. Jedem Dorf einen Autobahnanschluss.

Dutzende kleiner und größerer Unternehmen sind im Heft wieder porträtiert. Aber fast alle mit eigenproduzierten Beiträgen. Das nimmt dem Ganzen natürlich die kritische Reflexion. In ihrer Eigenwerbung sind sie alle Marktführer und Spitzenreiter. Aber das ist nicht die kritisch zu betrachtende Realität, die auch darunter leidet, dass die Innnovation von gestern heute schon ein Fall für den Insolvenzverwalter ist, weil die hohe Politik lieber die Innovation von vorgestern subventioniert.Also steht natürlich die politische Frage. Unausgesprochen. Also auch nicht im Heft. Was schade ist, weil ziemlich sicher ist, dass die Unternehmen, die hier schalten, das Heft wenigstens kritisch durchlesen werden. Und so die notwendigen An- und Aufregungen nicht bekommen. So bleibt ihnen wieder nur das Gemurmel aus den Parteizentralen und Staatsregierungen, das meist so verstörend fern aller Visionen ist. Und zur Selbstverstümmelung neigt. Magdeburg und Halle werden im Heft diesmal besonders als Wissenschafts- und Hochschulstandorte gepriesen. Die exzellente Hochschullandschaft ist eines der besten Pfunde, mit denen die drei Ländern wuchern könnten, wenn sie denn wüssten, wie das geht. Aber sie greifen lieber zu Heckenschere und Rasenmäher.

Ist das Angst vor der eigenen Courage oder Angst vor den Folgen, die auch heißen könnten: Diese Region verändert sich tatsächlich zu dem, was alle drei Landesregierungen immer nur behaupten? Einer echten innovativen, internationalen und gut vernetzten Region?

Schon beim Schreiben der Frage ahnt man, wie Staatssekretäre, Minister und ganze Bankreihen von Landtagsabgeordneten der Angstschweiß ausbricht. Nur ja nicht. Davor, so scheint es, haben sie alle gewaltig Schiss.

Die politische Frage steht. Gerade weil die Angst umgeht in den politischen Kabinetten, dass das Geld knapp werden könnte. Gerade dann zu kneifen, nachdem man 20 Jahre lang unentwegt investiert hat – das ist dumm.

Darüber täuschen auch die hübschen kleinen Erfolgsgeschichten im Heft nicht hinweg. Einige davon erzählen von den Wegen, die diese Region einschlagen wird und einschlagen muss. Etwa beim Umgang mit Zivilisationskrankheiten, bei der Organisation eines nachhaltig gesunden Lebens in modernen Umgebungen. Leipzig ist da längst ein Forschungsleuchtturm. Und ein Konfliktherd ersten Ranges, denn auch hier tobt sich das sture Alte aus im verbissenen Kampf gegen das Neue. Zum wiederholten Mal ist das Leipziger Neuseenland mit reich bebilderten Beiträgen im Heft. Aber auch diesmal nicht in ausgewogener und kritischer Analyse. Denn auch Franziska Reif verlässt nicht die Vermarktungslinie, die sich nun seit Jahren als eindimensionale Erfolgsgeschichte darstellt: von der Bergbaufolgelandschaft zum Seenparadies. Punkt. Fertig.

Aber wie ordnet sich das Neuseenland eigentlich ein in die ganzen Prozesse von Arbeit, Erholung, Freizeit? Punkt. Tourismus? Den Letzteren wollen einige Leute mit aller Macht ins Neuseenland bringen, auch wenn die berechtigte Sehnsucht der Bewohner der Region nach echter Erholung dabei flöten geht.

Immer dieselben bunten Geschichten machen das Thema nicht interessanter. Und vermeiden natürlich auch, die wichtigen Fragen zu stellen. Alles ist schön. Ist doch ein Magazin. Aber wer sagt, dass ein Magazin keine Diskussionen verträgt? Keine kritischen Töne? Auch die Beiträge über den 250. Geburtstag der beiden sächsischen Kunsthochschulen hätten im mitteldeutschen Rahmen mehr Einordnung und Vergleich erfordert. Die Selbstsicht auf die eigene Hochschulgeschichte ist da – achja – Es geht den Kunsthochschulen ja nicht anders als den anderen Bildungseinrichtungen.

Und wo bleibt der Mut, einen einzigen Vorgang in diesem Mitteldeutschland auch mit kritisch zu betrachten? – Auf Seite 100. Da beschäftigt sich Michael Ernst mit dem Knatsch an der Dresdner Semperoper, wo Sabine von Schorlemer es fertig brachte, den gerade teuer mit Vertrag gebundenen Serge Dorny zu feuern. Der natürlich was ändern wollte, wie das jeder neue Intendant will. Nur in Sachsen schreibt man in die Stellenausschreibungen nie hinein, was man alles nicht geändert haben will. Sonst würden sich einige Leute nämlich gar nicht erst bewerben. Denn nach außen tritt Sachsen so auf, als wäre hier alles möglich, als wäre das ein Land für Macher, Ärmelhochkrempler und Veränderer. Die dann sehr erstaunt sind, wenn vor Ort das Gegenteil der Fall ist. Und einem das niemand offen sagt. Nur so hintenherum. Übers Orchester oder so.

Der Beitrag, der leider nur zwei Seiten umfasst, wirkt nach all dem bunten Jubel wie eine gute Medizin. Es ist noch alles beim Alten. Man hat nicht verpasst, dass die drei Bundesländer vielleicht doch heimlich im 21. Jahrhundert angekommen wären, während man selbst die ganze Zeit nur auf zugeknöpfte Bedenkenträger aus dem 20. Jahrhundert gestoßen ist.

Und da so ein Heft, das sich mit “Innovationen” betitelt, natürlich auch durch das spricht, was es weglässt, ist eigentlich die Bilanz ziemlich klar: Hier in “Mitteldeutschland” hat sich seit 14 Jahren nichts geändert. Und in den drei Ländern denkt kein einziger Verantwortlicher daran, auch nur ein bisschen zu ändern. Auf 100 Jahre nicht.

Ab jetzt warten wir einfach auf den Tag, an dem – nach Berlin und Brandenburg – auch Mecklenburg-Vorpommern vorbeizieht. Wäre ja gelacht, wenn wir das nicht hinbekommen.

www.regjo-mitteldeutschland.de

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