Parallel zum Sonderheft "25 Jahre Friedliche Revolution" hat die Regjo-Mannschaft auch das anstehende Heft Nummer 3 / 2014 produziert. Noch einmal 100 Seiten, auf denen man der Region Mitteldeutschland ein Bild geben und herausbekommen will, was diese Region eint und stark macht. Ein schwieriges Unterfangen in einem Raum, in dem Vieles nicht zusammenpasst. Was liegt näher, als einmal über "Räume" nachzudenken?

Und was ist schwerer? – Denn wenn man damit erst einmal anfängt, dann geht es ans Eingemachte. Dann geht es um die Fragen von Wirtschaftsräumen, Verkehrsräumen, Kulturräumen … Da bremsen wir lieber, das würde auch Regjo-Hefte sprengen, die sehr darauf angewiesen sind, dass aus den drei Bundesländern Anzeigen hereinkommen, die das Projekt tragen. Was Zwänge mit sich bringt. Wem darf man nicht auf die Füße treten? Wie reagieren die Wirtschaftsförderer (für die es in jedem Heft eine doppelte Adressen-Seite gibt), wie die zuständigen Kommunalverwaltungen und Landesregierungen? Man ahnt den Spagat: Über ein großes Projekt reden wollen, das aber in drei Landesregierungen bislang nicht opportun ist.

So gibt es nur einen zaghaften Ansatz, zumindest über den politischen Raum sprechen zu wollen: Helge-Heinz Heinker referiert über die gerade absolvierten Landtagswahlen in Sachsen: “Valium zum Beispiel”. Und er versucht auch eine Antwort auf die Frage zu finden, warum immer weniger Sachsen zur Wahl gehen: “Vielleicht sind am Wahltag ja nicht nur die politikfernen und oberflächlich wertenden Bürger den Wahlurnen ferngeblieben, sondern viele der am intensivsten an Politik Interessierten, die es jedoch satt haben, mit einer Endlosschleife an Placebo-Veranstaltungen abgespeist zu werden.” Harter Tobak – und ein Ansatz, mit dem sich Dutzende Regjo-Hefte bestreiten ließen.

Diesmal ist es noch nicht so weit. Wahrscheinlich ist es beim Blick ins Lexikon passiert, als man sich über den Begriff Räume Gedanken machte und merkte: Am häufigsten benutzt man den Begriff in der Architektur. Und siehe da: Das Heft präsentiert diesmal eine ganze Serie von Porträts der großen Leipziger Stadtentwickler, die mit diversen Architekturprojekten in Leipzig Flagge zeigen. Das geht los mit einem großen Einstiegsartikel “Schöner investieren, schöner wohnen”, der versucht, so eine Art Übersicht über die Immobilien(preis)entwicklung in Mitteldeutschland zu geben. Dem folgt ein Beitrag zum längst praktizierten Thema zum barrierefreien Umbau und altersgerechten Wohnen. Und auf Seite 36 deutet sich im Artikel “Die Muskeln spielen lassen” ganz vorsichtig an, dass Immobilienentwicklung keine einseitige Sache ist, sondern ebenfalls im politischen (Streit-)Raum passiert, wenn Michael Rücker von W & R Immocom beiläufig sagt: “Große Projekte wie die Eichplatzbebauung in Jena oder die Hafencity in Dresden wurden zu Fall gebracht bzw. stehen zur Diskussion, weil Politiker nicht klar Stellung beziehen. Das kann sich der Standort Mitteldeutschland nicht leisten.”Die Politiker haben in beiden Fällen sehr wohl Stellung bezogen, genauso, wie es auch Leipziger Politiker gern tun – man denke nur an den ungefügen Klotz von Einkaufspassage “Höfe am Brühl”. Nur taucht da nach 25 Jahren Valium so langsam ein Unmut auf, den man auch mit gutem Recht bürgerschaftliches Engagement nennen darf. Und es sind Bürgerinitiativen in Jena und Dresden, die der eigenen, valiumgetränkten Stadtpolitik signalisieren: So nicht. Raus aus den Hinterzimmern. Transparenz herstellen und Bürgerbeteiligung zulassen.

Ein hochaktuelles Thema, das die immer neuen Erhebungen der Leipziger Unternehmensberatung Hitschfeld mit satten Zahlen unterlegen. Spätestens seit den Ereignissen rund um “Stuttgart 21” sind auch die Bürger in Mitteldeutschland hellhörig geworden: Wer baut denn da? Mit welchen Ressourcen? Und was bringt es unserer Stadt? Nur so beiläufig genannt: das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal.

Tatsächlich deutet Vieles darauf hin, dass sich Politik verändern muss, weil sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen geändert haben. Insofern ist es erstaunlich, dass die mahnenden Stimmen – man denke nur an ein Projekt wie das Stadtforum – im Heft nicht auftauchen. Das tut auch dem gewählten Thema nicht gut, wenn die folgenden Seiten sich wie Ruhmesblätter der großen Immobilienentwickler lesen: Stadtbau AG, Fuchshuber Architekten, CG Gruppe, RKW, Vollack Radefeld. Der Titel “Räume” erzwingt es geradezu, dass Stadtraum eben nicht nur als durchaus faszinierende Spielwiese der Immobilienentwickler und Architekten gesehen wird, sondern auch als Bühne öffentlichen Lebens.

In einigen Geschichten deutet sich ja an, dass heutige Städte in einem tiefen Wandel stecken – sie müssen energieautarker werden, altersgerecht, müssen zugleich als Lebens-, Freizeit- und Arbeitsort funktionieren – was gewaltige Ansprüche an die Gestaltung von Raum und Architektur in der Stadt stellt. Neue Baustoffe kommen zum Einsatz. Und – ein Beitrag der Stadt Leipzig bringt das aufs Tapet: Die modernisierten mitteldeutschen Großstädte werden für umzugswillige Unternehmer aus Westdeutschland attraktiv, weil dort Städte wie München oder Frankfurt aus allen Nähten platzen und ein Wachsen kaum noch möglich ist. Ein Plus für Leipzig – aber auch für Städte wie Halle, Magdeburg und Jena. Man ahnt, warum die Wirtschaftsförderer mit der unverwechselbaren Bausubstanz dieser Städte auf Werbetour gehen. Und warum zwei große Messegeschichten ins Heft gehoben wurden: die “Designer’s open”, die der Kreativbranche in Leipzig einen Auftritt verschafft, und – indirekt über das Thema E-Mobilität – auch jene Messen, die sich mit moderner Mobilität beschäftigen.

Was natürlich das Thema Raum auf wieder andere Weise greift und eigentlich ein eigenes Themenheft bedingt: Wie mit wirklich modernen Verkehrsstrukturen ein solcher Raum wie Mitteldeutschland tatsächlich klug, nachhaltig, effizient und einladend erschlossen werden kann. Das sind Themen, auf denen sie alle festzunageln wären, all die schicken Politiker, die so gern über moderne Mobilität reden – aber nicht in der Lage sind, einen verkehrlich gut vernetzten Raum auch nur zu denken.

So gesehen ein Heft mit Ansätzen. Die eigentliche Arbeit beginnt erst – auch mit der Hoffnung, dass die Sachsen sich diesmal keine Valium-Regierung zusammengewählt haben.

www.regjo-mitteldeutschland.de

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