Wenn Susanne Metz, Leiterin der Leipziger Stadtbibliothek, und Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke zum Termin einladen, um die neuen Jahresausleihzahlen der Bibo vorzustellen, geht man ja mit gewissen Befürchtungen zu dem Termin. Dann erwartet man beinah, dass sie mit trauriger Miene verkünden, dass die Ausleihzahlen eingebrochen sind. Die Leute lesen ja nicht mehr. Jedenfalls nichts, was länger als 140 Zeichen ist.

Und die Gefahr besteht tatsächlich, dass die Smartphone-Kultur die Lesekompetenzen der Menschen zerstören wird. Oder das Fernsehen und was der Unterhaltungsmedien mehr sind. Aber noch ist es nicht so weit, beruhigt Susanne Metz, auch wenn mit 4,88 Millionen Entleihungen das Spitzenergebnis von 2015 (4,92 Millionen) nicht erreicht wurde. Der Grund hat mehrere Namen. Einer heißt Georg Maurer. Das ist der Leipziger Lyriker, den die Stadt mit der Benennung einer der beliebtesten Stadtteilbibliotheken geehrt hat. Das Gebäude der Bibliothek in der Zschocherschen Straße wurde für 2,4 Millionen Euro umfassend saniert. Ende April 2017 ging diese beliebte Stadtteilbibliothek mit ihren vollkommen neu gestalteten Räumen erst wieder ans Netz.

„Hätte sie schon am 1. Januar wieder eröffnet, hätten wir die Ausleihzahlen von 2015 locker übertroffen“, sagt Metz.

Die Statteilbibliothek „Georg Maurer“ ist die Spitzenbibliothek unter Leipzigs Stadtteilbibliotheken (sogar noch vor der in der Südvorstadt) und steht für einen Effekt, den jeder kennt: Wenn so eine Einrichtung in der Nähe liegt und zu Fuß leicht zu erreichen ist, dann nutzt man sie auch. Auch öfter. Susanne Metz wäre ja schon froh gewesen, wenn alle eingeschriebenen Dauernutzer, die für zwei Jahre auf andere Standorte ausweichen mussten, wiedergekommen wären.

Aber was ist passiert?

Die Nutzerzahlen sind sofort um 30 Prozent angestiegen.

Die Plagwitzer und Lindenauer haben regelrecht darauf gelauert, dass die Bibo wieder öffnet. Und seit zehn Jahren sind das ja alles wachsende Ortsteile – also gibt es auch mehr Familien mit Kindern. Und ein Effekt wird immer deutlicher: Leipzigs Bibliotheken entwickeln sich immer mehr zum Treffpunkt junger Familien. Was auch die Bürgerumfrage 2016 bestätigte, an der sich die Stadtbibliothek erstmals mit einem umfassenden Fragekatalog beteiligte.

Das Ergebnis bestätigte die Ausrichtung der Bibliothek: 29 Prozent der Leipziger nutzen die Angebote der Bibliotheken. Was ja nicht heißt, dass die anderen nicht lesen. Vielleicht kaufen die sich ja alle Bücher, die sie haben wollen.

Aber Bibliotheken haben etwas, was man fast vergessen hatte: Sie sind soziale Orte, offen für alle. „Eigentlich haben wir ja die Share-Economy erfunden“, sagt Susanne Metz. Denn die Bücher und CDs und Spiele und Zeitschriften und was man sich hier noch alles ausleihen kann (763.252 Stück, wenn man alles nachzählt), hat ja die Stadt – also die Gemeinschaft – erworben und stellt sie zum Teilen für alle bereit.

Seit geraumer Zeit auch elektronisch, wie man weiß. Und auch dieses Angebot kommt an: 10 bis 15 Prozent der Buchausleihen sind inzwischen E-Books. Das ist mehr als der E-Book-Anteil am Büchermarkt. Was verständlich ist. Denn E-Book-Ausleihe ist ja das einfachste Ding der Welt: Man meldet sich einfach elektronisch an, egal, wie lang die Vormerk-Liste ist – und wenn der Buchtitel verfügbar ist, lädt man ihn sich auf sein Gerät und liest. Und wenn man fertig ist, wird der nächste Leser freigeschaltet.

Wobei das mit der Elektronik noch ein bisschen klemmt, stellt Susanne Metz fest. Was nicht an der Bibo liegt, sondern eher an der Stadt und ihrem schwerfälligen Tempo, wenn es darum geht, für ihre Bürger einen einfach handhabbaren Zugang für alle städtischen Dienstleistungen zu schaffen – ein Passwort für alle städtischen Dienstleistungen. Jetzt muss man sich für alles immer extra anmelden. Und kann kaum irgendwo die bequemeren Online-Zahlungsmöglichkeiten nutzen. Auch nicht in der Stadtbibliothek. Was ärgerlich ist, wenn man zu Beispiel im Urlaub auf den Balearen die Versäumnisgebühr für die Bücher bezahlen möchte, die noch zu Hause auf dem Nachtschränkchen liegen.

Zum Beispiel.

Aber, so Susanne Metz: „Das möchten wir 2018 angehen und ändern. Das geht so nicht.“

Das Ganze heißt: Die Leipziger lesen noch. Auf jeden Fall die 208.000, die jedes Jahr den Weg in die Bibliothek finden (oder eine ihrer Außenstellen). 77 Prozent von ihnen leihen Bücher und andere Medien aus. Punkt. Dabei hätte man es belassen müssen, wenn die Bibo tatsächlich nur zur Buchausleihe da wäre.

Aber das ändert sich schon lange. Und nicht nur in Leipzig. Auch in Boston, wo Skadi Jennicke jüngst mit der Leipziger Delegation zur Leipzig-Woche war.

Aber bevor wir das erzählen, schlafen wir noch mal drüber. Denn das erzählt etwas darüber, wie Menschen sich in den Städten der Welt neue Orte schaffen, an denen sie sich richtig leibhaftig begegnen können. Das muss ja wohl wichtig sein. Ist es auch.

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