Eine besondere Ausstellung wird ab dem heutigen Donnerstag, 10. Mai, in der Schatzkammer des Bachmuseums gezeigt: "Bach - Bibel - Gesangbuch". Sie gibt einen kleinen Einblick in das, was im Hause Bach an Lesefutter zu finden war. Stars sind zwei Bibeln.

Nur wenige Gegenstände aus Johann Sebastian Bachs Privatbesitz sind bekannt. Neben einer 2009 wiederentdeckten Schatztruhe mit dem Bach-Siegel, die seit 2010 im Bach-Museum Leipzig gezeigt wird, und einem gravierten Glaspokal galt die in den 1960er Jahren in Amerika wiederentdeckte und mit Randbemerkungen Bachs versehene Bibelausgabe von 1681, kommentiert durch den Wittenberger Theologen Abraham Calov, seinerzeit als Sensationsfund.

Wobei es damals schon eine Weile brauchte, bis die Eigentümer des dreibändigen Schwergewichts überhaupt mitbekamen, dass die so genannte Calov-Bibel aus dem Besitz Johann Sebastian Bachs stammte. Auf die Spur kam erst 1934 ein pfiffiger Pfarrer. Und hätten in Deutschland seinerzeit nicht die Kulturbanausen regiert, wäre die Bibel wohl damals ans Bachhaus in Eisenach gegangen. So beschlossen die Amerikaner: Nö. Wer so eine Bande zur Regierung wählt, bekommt das Schmuckstück nicht. Die Bibel fand im Concordia Seminary in St. Louis (Missouri) eine neue Heimat, verschwand dort erst einmal ein paar Jahrzehnte in den Archiven, bevor sie 1961 wiedergefunden wurde und 1969 erstmals wieder in Deutschland – damals in Heidelberg – ausgestellt wurde.

Nach Leipzig ist sie nun wohl erstmals wieder seit Bachs Tod 1750 zurückgekehrt. Was nicht ganz ohne Unterstützung ging. Denn das Bacharchiv hätte den Überseetransport gar nicht finanzieren und versichern können. Der Versicherer AON sprang ein und half, nennt aber auch keine Zahlen. “Das ist schwierig”, sagt Tobias Noack, Leiter der Region Ost bei AON. Immerhin ginge es um ideelle Werte. Wäre es eine “simple” Calov-Bibel – die hätte auch jeder Privatmann bezahlen und verschicken können. Es ist aber das kleine Bach-Monogramm auf dem Titel, das der Bibel einen besonderen Wert gibt. Und es sind die vielen, sauber mit Feder eingetragenen Randkommentare Bachs in den drei Bänden, die sie zur Sensation machen.Insbesondere hat Bach Stellen kommentiert, in denen die Musik in religiösem Rahmen thematisiert wird. Es ging ihm um Selbstvergewisserung. Immerhin war er selbst in heftige Diskussionen seiner Zeit involviert, in denen die Kirchenmusik in protestantischen Kirchen in Frage gestellt wurde. Es war wohl ein bisschen wie heute: Wenn das Geld knapp ist, findet sich immer einer, der die öffentlich geförderte Kultur in Frage stellt und wegrationalisieren will. Das empfand Bach wohl als gezielten Angriff, denn es hätte nicht nur sein Amt als Thomaskantor betroffen, sondern auch die Auftritte der Thomaner. Wenn sich ein geiziger Purist erst einmal darauf versteift, die Kirchenmusik als störend im Gottesdienst zu bezeichnen, dann sollten die Alarmglocken läuten.

Und so fand Bach in der wohl 1733 erworbenen Calov-Bibel auch die Stelle am Schluss des 28. Kapitels, neben die er fein säuberlich schreiben konnte: “Ein herrlicher Beweiß, daß neben anderen Anstalten des Gottesdienstes besonders auch die Musica von Gottes Geist durch David mit angeordnet worden.” Wer sich auf König David und die Bibel berufen kann, der braucht sich in den Zänkereien der Gegenwart nicht wegzuducken. Hat Bach ja bekanntlich auch nicht getan.

Die Eintragungen passen recht gut in den Streit der 1740er Jahre, meint Dr. Peter Wollny, Leiter des Forschungsreferats I im Bach-Archiv Leipzig. In Bachs Nachlass ist die Calov-Bibel verzeichnet. Wie sie im frühen 19. Jahrhundert nach Amerika kam, ist noch nicht so recht geklärt.Ähnlich mysteriös der Weg jener kürzlich erst bei einer Internet-Auktion aufgetauchten Merian-Bibel, die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird. Der Sammler, der sie im Web ersteigert hat, hat kurzerhand den kurzen Draht nach Leipzig gesucht und sich die Herkunft des Monogramms auf dem Titelbild bestätigen lassen. Er war es auch, der vorschlug, diese Bibel für die zehnwöchige Ausstellung nach Leipzig zu geben. “Und danach werden wir uns ganz sicher zusammensetzen, um einen Depositionsvertrag auszuhandeln”, sagt Dr. Dettloff Schwerdtfeger, Geschäftsführer des Bach-Archivs.

Das Monogramm verrät auch, dass Bach die Bibel – wohl aufgrund der eindrucksvollen Kupferstiche – 1744 erwarb. Vielleicht bei einer der Bücherauktionen im Roten Kolleg. In diesem Buch hat er freilich keine Notizen hinterlassen. Peter Wollny vermutet, dass diese Bibel 1749 mit der Heirat von Elisabeth Juliana Friederica, genannt “Liesgen” (1726-1781), aus dem Haushalt ging. Sie heiratete 1749 den Naumburger Organisten Johann Christoph Altnikol.

Alle Bach-Kinder scheinen mit einem derartigen wertvollen Buchgeschenk das Haus verlassen zu haben. Auch von Anna Magdalena Bach gibt es in der Ausstellung zwei Bücher zu sehen, in denen sie mit einer Widmung die Herkunft deutlich machte. Hier war Johann Christoph Friedrich, der Bückeburger Bach (1732-1795), der Beschenkte. Die Bücher geben also einen kleinen Einblick in die Gepflogenheiten des Hauses Bach – verraten auch Bachs kleines Hobby: die Liebe zu schönen Büchern, die in seiner Zeit – man kann es nicht übersehen – noch gewaltige Maße hatten.

52 Titel sind in seinem Nachlass verzeichnet. Alles theologische Literatur. “Vieles wird schon vorher den Haushalt verlassen haben”, ist sich Kerstin Wiese, Leiterin des Bach-Museums, sicher. “Immerhin war auch nur ein einziges Gesangbuch in seinem Nachlass verzeichnet. Das ist schon erstaunlich.”

Es ist also gut möglich, dass noch etliche Bücher aus Bachs Bibliothek in der Welt unterwegs sind, unerkannt, weil ihre Besitzer nicht einmal ahnen, woher das Monogramm auf dem Titel stammen könnte.

Für alle, die die Calov-Bibel sehen wollen, ist die Ausstellung in der “Schatzkammer” wohl auf lange Zeit die einzige Gelegenheit, die Bücher im Original zu sehen. Sie werden nach der zehnwöchigen Ausstellung bestimmt wieder ihre Reise zurück nach Missouri antreten.

Für die Forschung ist das kein Problem, betont Wollny. “Die Calov-Bibel liegt schon seit Jahren als Reprint vor.” Auch sei wohl das Wesentlichste erforscht. Für Besucher der Ausstellung ist es zumindest ein kleiner Blick in die Bücherwelt der Bachs, zu der auch Schemellis Gesangsbuch gehört und etliche Schriften des Theologen Heinrich Müller.

www.bach-leipzig.de

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