Mit starrem, fast dämonischem Blick steht er da: der Schiller. Er schaut hinüber zur Deutschen Bank als wäre er immer noch sauer, dass Dichter in deutschen Landen so mies honoriert werden. Am Freitag, 9. Mai, hat er Geburtstag. Zumindest dieser Schiller in der Lenné-Anlage an der Schillerstraße. Der andere, der echte, hat seinen Todestag, den 209. - aber gefeiert wird der Geburtstag.

Oder der Einweihungstag. Zum 100. Jahrestag seiner Einweihung erinnert das Stadtgeschichtliche Museum am Freitag, 9. Mai, um 17 Uhr an das Schillerdenkmal. Dietmar Schulze, Mitarbeiter des Schillermuseums, spricht direkt an der Skulptur des berühmten deutschen Dichters über die Entstehungsgeschichte.

Man läuft ja einfach dran vorbei, sieht die Herme des Dichters da stehen. Und läuft doch durch lauter Nebel. Der sich nicht auflöst, wenn man im Internet auf Spurensuche geht. Das beginnt schon mit dem Park, der Lenné-Anlage, die immer wieder von Leuten, die glaubten es zu wissen, als “Schillerpark” bezeichnet wird. Und weil sie es selbst nicht wissen, schreiben sie auch im Internet gern forsch drauflos: “Die Leipziger sagen so …”

Das entschuldigt nichts. Die Leipziger sagen Vieles. Gerade dann, wenn ihnen Leute, die so tun, als wüssten sie es, derlei Dinge aufschwatzen.Mit dem Denkmal geht es weiter. Das Einweihungsdatum stimmt: 9. Mai 1914. Da ist man mittendrin im Jahr, in dem der 1. Weltkrieg ausgebrochen wurde von ein paar alten Männern, die sich selbst in lauter Sackgassen von Aufmarschplänen, Bedrohungszenarien und Ultimaten manövriert hatten. Je älter das jetzige Jahr 2014 wird, umso mehr fühlt man sich an dieses seltsame Jahr 1914 erinnert. Wieder schaukeln sich Generäle und Staatsmänner hoch an einem brisanten Vorgang da draußen – diesmal nicht in Serbien, sondern in der Ukraine. Noch ein paar Runden der Eskalation – und sie werden alle wieder nicht gewusst haben wollen, wer eigentlich schuld dran war. Deeskalation haben sie alle nicht gelernt. Wie schreibt doch Schiller selbst so schön in seiner “Geschichte des dreißigjährigen Kriegs”: “Wenn das Recht nicht entscheiden kann, so thut es die Stärke, und so geschah es hier. Der eine Theil behielt, was ihm nicht mehr zu nehmen war; der andere verteidigte, was er noch hatte.”

Oder umgekehrt. Man kann an Stelle von Recht auch Vernunft schreiben. Es kommt aufs Selbe heraus.
Das Schillerdenkmal in Leipzig ist etwas Besonderes. Eindeutig nicht in klassizistischen oder romantischen Bildwelten geboren. Hier treffen sich schon Jugendstil und Expressionismus. Und die beiden nackten Gestalten an der Seite deuten auf einen Leipziger Bildhauer hin, dem man das Denkmal gern zuschreiben würde: Max Klinger. Aber der war’s nicht.

“Der Entwurf für das 4,5 Meter hohe Denkmal aus weißem Laaser Marmor stammt von dem Leipziger Bildhauer Johannes Hartmann, die Ausführung erfolgte durch August Schmiemann”, weiß Dietmar Schulze zu erzählen. Und erzählt damit mehr als die meisten Leute im Internet, die so tun als wüssten sie. Und nicht nur dort. Sie lassen Schmiemann meistens weg und sagen: Hartmann war’s.

Johannes Hartmann ist ein klein wenig bekannter. Auch wenn der aktuelle Wikipedia-Artikel über ihn eher eine Katastrophe ist. Er erzählt nur von Hartmann in seiner Rolle nach Max Klingers Tod. Als gäbe es über den Bildhauer sonst nichts zu erzählen. Erst in der Werkliste unterm Artikel erfährt der Leser, dass Hartmann in Leipzig seit 1896 emsig tätig war. Der Brunnen “Badendes Mädchen” unter den Arkaden am Alten Rathaus stammt von ihm, etliche wichtige Skulpturen auf dem Südfriedhof, den Sockel zum Wagner-Denkmal hat er nach einem Entwurf von Klinger gestaltet. Beim Schiller war es andersherum. Da hat Hartmann die Vorlage geliefert und August Schmiemann die Arbeit gemacht. Wer ihn im Internet sucht, stolpert über seinen Vater, den Bildhauer August Schmiemann in Münster. Der hatte immerhin zehn Kinder, drei davon wurden Bildhauer. Wie der Leipziger August Schmiemann, der zusammen mit Steinmetzmeister Carl Laux auch die Replik des Gellert-Denkmals, das man 50 Meter weiter in der Lenné-Anlage findet, ausführte.

Mit Hartmann traf Schmiemann bei Max Klinger zusammen, deren Schüler sie beide waren. Ein Autograph im Stadtgeschichtlichen Museum, das wahrscheinlich von Max Klinger (“M.K.”) stammt, weist darauf hin: “Schmiemann und ich freuen uns jeden Tag.” Über einen angelieferten Marmorblock.

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“Auf dem quadratischen Podest ruht die Büste mit dem Abbild Friedrich Schillers, flankiert von zwei lebensgroßen Figuren, die Trauer und Erhabenheit darstellen”, erzählt Dietmar Schulze. Der Betrachter darf natürlich irritiert sein: Ist das noch Schiller? Oder ist das schon dieser schwermütige Vorkriegs-Expressionismus, der dann als Feldpostausgabe mit in die Schützengräben wanderte?

Die “Erhabenheit” wird hier als nackter Mann dargestellt, die “Tragik” als nackte Frau. War es bei Schiller nicht genau umgekehrt? – Seine tragischsten Gestalten waren allesamt männlich: Karl Moor, Don Carlos, Fiesco … die erhabenste Gestalt aber ist eindeutig eine Frau: Johanna von Orleans.

Es ist also sozusagen ein umgekrempeltes Schillerdenkmal, das auch irgendwie passt in dieses Jahr 1914 mit all seinen staatsmännlichen Illusionen.

Musikalisch umrahmt wird die kleine Gedenkfeier “100 Jahre Schillerdenkmal” am 9. Mai von Johannes Hartmuth und Jonathan Müller, Schüler der Fachrichtung Blechblasinstrumente an der Musikschule Leipzig “Johann Sebastian Bach”. Der Eintritt ist natürlich frei – so wie der ruhige Platz an der Schillerstraße.

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