Ab heute ist die Kabinettausstellung "Atelier Schützengraben" im Museum der bildenden Künste zu sehen. Der Weg lohnt sich. Wenn man Muße hat, Brille und Lupe nicht vergessen und zwei mal durchatmen. Denn diese Kabinettausstellung ist einmal nicht die sonst übliche Ölschinken-Schau. Eher das Grauen im Kleinformat. Auch wenn's ganz romantisch beginnt.

Wenn das Leipziger Bildermuseum gewollt hätte, hätte es auch die erwartbare Bilderschau zum 1. Weltkrieg hinbekommen. Mit Dix im Mittelpunkt. Aber das wollte Marcus Andrew Hurtig nicht, der eher ein Spurensucher ist. Zu finden gibt es im Depot des Museums eine Menge. Darunter natürlich auch viele Bilder von Schülern der Akademie der Künste, der heutigen HGB. Und auch Bilder aus dem 1. Weltkrieg. Denn auch die angehenden Künstler der Leipziger Akademie zogen 1914 in den Krieg, zuweilen freiwillig wie Hans Alexander Müller. Auch wenn das nur zu vermuten ist, wie Hurtig erklärt, da Müller in einem vorwiegend aus sächsischen Freiwilligen bestehenden Regiment zum Einsatz kam.

Freiwillig war auch der noch junge Max Beckmann in den Krieg gezogen, wurde als Krankenpfleger eingesetzt und erlitt 1915 einen Nervenzusammenbruch. Bei Alfred Frank, Kunststudent wie Müller, ist es nicht herauszukriegen. Nur eines verraten die Einsatzorte ihrer Einheiten: Im Jahr 1915 waren sie alle drei im Vorfeld von Ypern eingesetzt und an der zweiten Flandernschlacht beteiligt.

Was kein Zufall ist, denn dort standen die sächsischen Einheiten. Weit über 100 Zeichnungen und Druckgrafiken von den drei Künstlern aus ihrer Zeit im 1. Weltkrieg besitzt das Leipziger Museum. Hurtig musste also auswählen. Und hat auch ausgewählt. Gleich beim Entrée empfängt den Besucher die Karte, die mit bunten Punkten zeigt, wo Beckmann, Müller und Frank eingesetzt waren vor Ypern. Eine Pickelhaube steht nicht nur als Symbol in einer Vitrine im Raum. Denn 1914 zog das kaiserliche Heer tatsächlich noch mit Pickelhauben in den Krieg. Erst 1916 wurde der Stahlhelm eingeführt, der die Soldaten besser gegen das moderne Maschinengewehrfeuer schützte.
Müller und Frank verzichten in ihren Zeichnungen noch weitgehend auf die Darstellung des Grauens. Sie sind noch ganz in der strengen klassischen Malerei geschult. Unzerstörte Landschaftsbilder stehen neben fast romantisch anmutenden Kirchenruinen und detailliert gezeichneten Schützengräben. Doch schon im ersten Raum sollte man vorsichtig sein und sich nicht scheuen, auch wieder zurückzugehen. Praktisch jede Zeichnung ist nicht nur datiert, sondern kann auch lokalisiert werden. Schon hier werden die Zeichnungen, von denen die meisten von Frank stammen, mit Fotografien aus dem selben Teil des Schlachtfeldes konfrontiert, sieht man in fotografischer Flachheit, was in den Zeichnungen zum Teil dramatisch überhöht wirkt.Entstanden sind die Zeichnungen nicht heimlich. Im Gegenteil. Gerade Müller und Frank sandten ihre Bilder nach Leipzig in der Hoffnung, dass sie in einer Ausstellung gezeigt oder sogar gedruckt werden würden. Auch Franks Bilder – der später überzeugter Kommunist und Pazifist wurde – wurden in der konservativen Leipziger “Illustrirten Zeitung” abgedruckt. Etliche der ausgestellten Fotomotive – auch Leichen auf dem Schlachtfeld oder ein mit Leichen gefüllter Schützengraben – wurden seinerzeit auf Feldpostkarten verbreitet. Ein Fakt, der den Kurator Marcus Andrew Hurtig nach wie vor verblüfft. So wie ihn die ganze Bilderwelt dieses Krieges verblüfft. Auch zwei große offiziöse Grafiken, die seinerzeit von zwei gestandenen Leipziger Künstlern angefertigt wurden, sind zu sehen – eine von Max Klinger, die andere von Akademie-Rektor Max Seliger. Letztere eine eindeutige Überhöhung des “Heldentodes” durch einen Engel, der dem Toten eine Krone darbringt.

Womit man dem Zeitverständnis für dieses Kriegsgemetzel vielleicht auf seltsame Weise nahe kommt, denn der Heldentod wurde schon vorher glorifiziert und romantisiert. Und während Künstler wie die drei Ausgestellten in den Schützengräben versuchten, darzustellen, was sie erlebten, wurden in Leipzig berühmte Bilder der Malerei druckgrafisch reproduziert, um sie in die Schützengräben zu senden. Was der biedere Kleinbürger daheim an Reproduktionen an der Wand hängen hatte, sollte auch in den Unterständen hängen, wo die Soldaten – verlaust und dreckig – Schutz suchten. Die Sixtinische Madonna zwischen nassen Uniformen und Gewehren. Verlage wie Reclam produzierten in Millionenauflage Feldausgaben der Klassiker. Da steckt das ganze falsche Märchen vom Land der Dichter und Denker und sein seltsam morbides Verhältnis zu Vaterland und Heldentum.Müller und Frank haben die tatsächlichen Leiden der sterbenden und toten Soldaten nicht festgehalten. Sie lassen – in klassischer Bildsprache – die zerstörten Landschaften sprechen. Auch wenn ihre Sprache irgendwann verstummt, wie Hurtig feststellt, dann nämlich, als sich die eben noch scheinbar romantischen Ruinen endgültig in Steinmehl und eine tote, leere Ebene verwandelt haben. Einige Luftaufnahmen der Grabensysteme aus dem Institut für Länderkunde machen sichtbar, was für ein Maulwurfsystem da in Jahren vor Ypern entstanden ist.

Die Leiden der Soldaten selbst reißt dann Max Beckmann, vier Jahre älter als Frank und Müller, auf seine Skizzenblöcke. Man sieht den Skizzen an, dass Beckmann hier keine fertigen Arbeiten liefern will, dass er sich nur mit wildem Bleistift die Eindrücke notiert, die später in seinen großen Gemälden in Farbe umgesetzt werden. “Hier sieht man schon den Expressionismus am Werk”, sagt Hurtig. In diesem dritten Raum zeigt auch ein Stahlhelm den harten Übergang, die Zäsur, die der 1. Weltkrieg als “Ende des langen 19. Jahrhunderts” ja bildet. Das Töten wurde jetzt industriell. Die alte Pickelhaube, die gegen Schwerthiebe schützen sollte, war kein Schutz mehr gegen fliegende Eisensplitter. Und der Krieg bedeutete auch für die Kunst eine Zäsur. Danach würde selbst der eben noch moderne Impressionismus alt wirken. Und Expressionismus und Kubismus, die das Zerrissene der Zeit sichtbar machten, würden jetzt die Entwicklung dominieren.

In Beckmanns Skizzen sind die leidenden, müden, auch toten Soldaten zu sehen. Er hat seine Skizzen auch nicht nach Hause geschickt, damit sie veröffentlicht wurden. In ihnen steckt der andere, der unromantische Blick der Nachkriegszeit. Er macht das Leiden sichtbar in Bildern, wie sie auch die kriegsbesoffenen Illustrierten der Zeit nie gezeigt hätten. Als Bruch – auch als Punkt zum Nachdenken – hat Hurtig noch zwei Fotos von einem Berliner Schau-Schützengraben in die Kabinettausstellung gehängt: Menschen in Sonntagsstaat und gestärkten weißen Blusen schieben sich durch die Gräben. Ein unüberbrückbarer Widerspruch zum gleich daneben sichtbaren Sterben in den richtigen Schützengräben Flanderns.

Es lohnt sich, diese kleinformatigen Bilder langsam und immer wieder im Vergleich zu betrachten.

Ein Katalog zur Ausstellung ist auch erschienen.
Vom 4. September bis zum 9. November kann man die Kabinettausstellung im Museum der bildenden Künste sehen. Das Plakat dazu zeigt ein Foto aus dem Stadtgeschichtlichen Museum, das Soldaten mit Gasmaske im Schützengraben zeigt – schon ohne Pickelhauben, mit der einfachen Mannschaftsmütze. In der 2. Flandernschlacht wurde zum ersten Mal Giftgas eingesetzt. Max Beckmann berichtet davon.

Am Mittwoch, 12. Oktober, um 18 Uhr stellt das Leibniz-Institut für Länderkunde das soeben erschienene Buch “Die Feder versagt …” mit Feldpostbriefen aus dem Ersten Weltkrieg an den Leipziger Geografie-Professor Joseph Partsch vor.

Am Mittwoch, 29. Oktober, um 18 Uhr gibt es in der Ausstellung einen Vortrag von Dr. Volker Rodekamp, dem Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums: “Zwischen Banalität und Grauen. Leipziger Erinnerungen an den ‘Großen Krieg'”.

www.mdbk.de

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