Nicht nur für Leipzig spielt dieser Mann eine wichtige Rolle in der Geschichte: Thietmar von Merseburg, Bischof und Chronist. Er war es, der das kleine „urbs libzi“ erstmals in seiner Chronik vermerkte. Nur deshalb konnte Leipzig 2015 seine Tausendjahrfeier veranstalten. Und so geht es vielen Orten in Mitteldeutschland. Und ab Sonntag bekommt Thietmar in Merseburg seine eigene Ausstellung – mitsamt einem Blick in seine Zeit.

Vom 15. Juli bis 4. November ist in Merseburg die Sonderausstellung „Thietmars Welt. Ein Merseburger Bischof schreibt Geschichte“ zu sehen. Sie ist ein Höhepunkt im Jubiläumsjahr „25 Jahre Straße der Romanik“ in Sachsen-Anhalt.

Spannend wie ein Roman und doch fundierte Geschichte

Thietmars Chronik ist eine der herausragenden hochmittelalterlichen Geschichtsquellen. Erstmals sind alle mittelalterlichen Schriftzeugnisse dieses Werkes zusammen in einer Sonderausstellung zu sehen. Vom 15. Juli bis 4. November zeigen die Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz in „Thietmars Welt. Ein Merseburger Bischof schreibt Geschichte“ die wertvollen Handschriften.

Anlass für die Schau ist der 1000. Todestag Thietmars sowie das diesjährige Jubiläum „25 Jahre Straße der Romanik“. Die Straße der Romanik ist mit mehr als 1,5 Millionen Besuchern jährlich Sachsen-Anhalts bedeutendste Ferienstraße. Zu ihr gehört der Merseburger Dom, einer der markantesten Bauten in der hochmittelalterlich geprägten Kulturlandschaft Saale-Unstrut.

Thietmars bildreiche Sprache und das Mittelalter

Thietmar von Merseburg (975-1018) war ein einflussreicher Bischof im Reich der Ottonen. Aufgewachsen in einer mächtigen sächsischen Adelsfamilie, kam er früh in den Genuss umfassender Bildung, dazu gehörte auch das Studium der Sprachen der Antike. In seiner Zeit als Bischof, im Jahr 1012, begann Thietmar mit der Niederschrift seiner Chronik, die er bis zu seinem Tod fortführte. In ihr beschreibt er anschaulich politische und geistliche Ereignisse sowie bedeutende Personen. Für Historiker ist es ein Schatz von unermesslichem Wert. Das besondere an seinen Ausführungen ist die bildreiche Sprache. Durch sie fühlt sich der Leser in die Welt des Mittelalters zurückversetzt.

Zum Beispiel als Thietmar von Seeräubern, vermutlich Wikingern, schreibt, die seine drei Onkel gefangen nehmen: „Ich erwähnte schon, dass meine drei Oheime Heinrich, Udo und Siegfried samt Adalger und vielen anderen am 23. Juni zu Schiff gegen Seeräuber auszogen, welche ihre Lande plünderten. Udo wurde enthauptet; Heinrich aber mit seinem Bruder Siegfried und Graf Adalger mussten sich unglücklicherweise besiegt gefangengeben und wurden von den schändlichen Menschen mitgenommen. … Der in der Nähe weilende Herzog Bernhard entsandte sofort Unterhändler, die ihnen ein Lösegeld anboten und eine Möglichkeit zu Besprechungen über friedlichen Ausgleich erbitten sollten. Darauf eingehend verlangten sie Friedenszusicherungen und eine unerhörte Summe Lösegeld. … Meine Mutter gab, schmerzlichst erschüttert, für die Befreiung ihrer Brüder alles, was sie besaß oder irgendwie aufbringen konnte.“

Die digitale Chronik zum Blättern

In der Sonderausstellung veranschaulicht eine Windfahne aus vergoldetem Kupfer diese Geschichte. Möglicherweise war sie zu Thietmars Zeit als Schiffswimpel an einem Wikingerschiff befestigt. Auch im Audioguide, der für den Rundgang ausgeliehen werden kann, sorgt diese Geschichte für Spannung. Insgesamt sind 125 Exponate auf 400 Quadratmetern Ausstellungsfläche zu sehen, darunter eine Kaiserkrone, ein Elfenbeinring mit Jagddarstellung und ein Weihwasserkübel aus dem Mailänder Dom.

55 Leihgeber aus ganz Europa beteiligen sich. Die Ausstellung startet in der Curia Nova, einer ehemaligen Domherrenkurie, in der heute die Willi-Sitte-Galerie untergebracht ist. Schon im Einführungsraum trifft der Besucher auf das Herzstück der gesamten Ausstellung: das Original der Chronik aus der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden. Bei den Bombenangriffen auf Dresden 1945 hat die Handschrift durch Löschwasser schweren Schaden genommen.

Um das tragische Schicksal zu verdeutlichen, wird ein gut erhaltenes und ein weitgehend zerstörtes Blatt gezeigt. An einem Touchscreen-Monitor kann der Ausstellungsbesucher seitenweise oder themenbezogen in der Chronik blättern und die Inhalte nach eigenem Interesse erkunden.

Die weiteren Ausstellungsräume sind den einzelnen Büchern der Thietmar Chronik zugeordnet. Jedes Buch der Chronik widmet sich einem der bedeutenden Herrscher der Ottonen und den Besonderheiten ihrer Zeit. In der Bischofskapelle des Merseburger Doms kann die Grablege Thietmars besichtigt werden. Die Ausstellungsräume in der Südklausur erzählen aus der Familiengeschichte des Chronisten und von seinem Amt als Bischof im Mittelalter.

Thietmars Brunnen

Im Kreuzgang des Merseburger Doms können sich Besucher ein Bild von Thietmar machen. Die Brunnenfigur entstand nach der Selbstbeschreibung des Geschichtsschreibers, der sich sehr kritisch sah, wie ein Ausschnitt aus seiner Chronik zeigt:

„Nun sieh dir doch den vornehmen Herrn an, lieber Leser! Da siehst du in mir ein kleines Männlein, die linke Wange und Seite entstellt, weil hier einmal eine immer noch anschwellende Fistel aufgebrochen ist. Meine in der Kindheit gebrochene Nase gibt mir ein lächerliches Aussehen.

Doch über das alles würde ich gar nicht klagen, hätte ich innere Vorzüge … Ich bin ein Elender, sehr jähzornig und unlenksam zum Guten, von neidischem Charakter; ich verhöhne andere, und verdiene doch selbst Spott; ich bin ein Schlemmer und Heuchler, ein Geizhals und ein Verleumder … Ein Jeder ist befugt, es laut heraus zu sagen, dass ich ein Sünder bin. … Mein Wille ist bisweilen gut…“

Museumspädagogisches Begleitprogramm

Schüler lernen Thietmars Welt während des zweistündigen Projektes „Thietmars Chronik to go“ kennen. In prunkvolle Gewänder gekleidet gehen sie auf Spurensuche durch die Ausstellung mit der Aufgabe, ihren eigenen Hofstaat zusammenzustellen. Am Ende zeigt jeder sein persönliches Kapitel der Geschichte in Wort, Bild oder Comic. Ihre Chronik können die Schüler anschließend mit nach Hause nehmen. Das Projekt ist für Schüler ab der dritten Klassenstufe geeignet. Eine Anmeldung beim Besucherservice des Merseburger Doms ist erforderlich.

 

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar