Über 3.000 Menschen verloren bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 ihr Leben. Regisseur Stephen Daldry holt die tragischen Ereignisse zehn Jahre danach zurück ins kollektive Gedächtnis. Seine Verfilmung von Jonathan Safran Foer's Roman "Extrem laut und unglaublich nah" reflektiert das Geschehen auf sentimentale Art, ohne dabei im Slang der Bush-Administration die Toten zu Helden zu verklären.

Oskar (Thomas Horn) hat seinen Vater (Tom Hanks) bei den Anschlägen auf das World Trade Center verloren. Während sich seine trauernde Mutter (Sandra Bullock) immer stärker verschließt, begibt sich der Zehnjährige auf eine katharsische Reise, um zu lernen, mit dem Verlust zu leben. Vater und Sohn hatten zuvor eine Schnitzeljagd gespielt, die den Jungen vom Central Park aus quer durch die Metropole führen sollte. Als er in einer Vase einen mysteriösen Schlüssel findet, vermutet er eine versteckte Nachricht seines Vaters und macht sich auf die Suche nach dem passenden Schloss. Während seiner Odyssee trifft er zahllose Menschen, die alle auf ihre Weise mit ihrem Verlust durch die Anschläge umgehen müssen.

Die Geschehnisse am 11. September 2001 inspirierten in den Jahren danach mehrere Regisseure zu einer filmischen Aufarbeitung der Tragödie. Neben dem Dokumetarfilm “9/11” von den Franzosen Jules und Gédéon Naudet (2002) prägten sich Paul Greengrass’ “Flug 93” (2004) und Oliver Stones “World Trade Center” (2006) ins Gedächtnis ein. Danach schien das Thema für den amerikanischen Film vorerst gestorben.
Erst in Allen Coulter’s romantischem Drama “Remember Me” (2010) tauchte das Motiv leise am Rande wieder auf. Mit Stephen Daldry, bekannt geworden durch seine Literaturadaptionen “Der Vorleser” (2010) und The Hours “(2003) sowie dem Tanzdrama “Billy Elliot” (2000), wirft nach Greengrass erneut ein Brite einen Blick auf die Folgen des Terrorakts für die New Yorker. Dazu begibt er sich in die Rolle eines zehnjährigen Jungen, der in kleinen Schritten lernen muss, mit dem Verlust seines Vaters umzugehen. Seine Schnitzeljagd nach einer mysteriösen Schlüsselbox entpuppt sich leider bald als Aufhänger für ein ätzendes Selbstbemitleidungskino.

Schade, denn aus dem Ansatz hätte sich auch ein spannender Abenteuerstreifen entwickeln können. Abenteuerlich ist die Reise nur für den autistischen Protagonisten, dessen Wahrnehmung von Geräuschen stärker ausgeprägt ist als bei gewöhnlichen Menschen. Daldry setzt sein Handicap durch raffinierte Kameraführung und Toneffekte in Szene. Thematisiert wird sein Asberger-Syndrom nur am Rande. Mit Newcomer Thomas Horn hat Daldry einen talentierten Darsteller für die Rolle des eigenwilligen Jungen gefunden. Tom Hanks und Sandra Bullock spielen gewohnt solide. Max von Sydow wurde für seine humorvolle Darbietung als ein Nachbar Oskars sogar für den Oscar nominiert.
Doch fernab der schauspielerischen Klasse fehlt dem Film eine griffige Botschaft, die die Zuschauer außerhalb Manhattans erreichen kann. Daldry presst zu stark auf die Tränendrüsen des Zuschauers, die unter der schweren Last ihren Dienst verweigern. Statt eines sentimentalen Gefühlsschinkens hätte der Brite dem Kino und der Welt mit einer kritischen Auseinandersetzung der politischen Folgen von “9/11” einen Gefallen tun können. Diese Chance hat er grandios versemmelt.

USA 2011, R: Stephen Daldry, D: Tom Hanks, Sandra Bullock, Thomas Horn, 129 Min, FSK 12.

Filmstart ist der 16. Februar, zu sehen in den Passage Kinos und in der Schauburg.

Die Seite zum Film:
wwws.warnerbros.de/extremelyloudandincrediblyclose/index.html

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar