620 Bundesbürger sind es zurzeit, 4.451 wären es gerne nach dem 22. September. Die Mitglieder des Deutschen Bundestags erledigen einen Vollzeitjob. Siegfried Ressel hat fünf von ihnen mit der Kamera begleitet. Unter anderem den Leipziger Politiker Dr. Thomas Feist (CDU). Die zweiteilige Dokumentation ist ab Mittwoch auf 3sat zu sehen.

Ressel nähert sich den Parlamentariern aus der stummen Zuschauerperspektive. Endlose Sitzungen von Ausschüssen und Arbeitskreisen, der Besuch von Messen, Smalltalk mit Lobbyisten, die Arbeit daheim im Wahlkreis. Überall ist der Filmemacher mit der Kamera dabei. Das ehrgeizige Filmprojekt darf als lobenswertes Unterfangen bezeichnet werden, um den Berliner Polit-Alltag einzufangen. Leider scheitert Ressel an dessen Umsetzung.

Ein Jahr lang begleitete er den Messestädter Feist, Sylvia Canel (FDP) aus Hamburg, Heike Hänsel (Die Linke) aus Tübingen, Dr. Rolf Mützenich (SPD) aus Köln und Elisabeth Scharfenberg (Bündnis 90/Die Grünen) aus dem Wahlkreis Hof/Wunsiedel.

Die Berufspolitiker eint, dass sie nicht ständig im Rampenlicht der bundesdeutschen Öffentlichkeit stehen. Als “Hinterbänkler” werden sie zwar nur anlassbezogen wahrgenommen. Tatsächlich wäre der mannigfaltige Parlamentsbetrieb ohne sie nicht möglich.
“Volksvertreter” wird maßgeblich von selbstreflektierenden Intervieweinspielern getragen. Ressel verzichtet auf einen Off-Kommentar. Muss schließlich nicht sein. Seine Aufnahmen von Plenarsaal und Bürofluren sprechen für sich.

Die Dokumentation beschäftigt sich mit Politikern, nicht aber mit Politik. Aus dem Mund seiner Wahlkreisbüro-Mitarbeiter erfährt der Zuschauer, dass Feist ein Mann mit “tausend Ideen im Kopf und tausend Sachen auf dem Schirm” sei. Welche dies sind? Nun, darüber rätseln nicht nur die Leipziger, denn Ressel versäumt binnen 90 Minuten sträflich, ihn nach seinen parlamentarischen Erfolgen zu fragen.

Mützenich und Hänsel dürfen immerhin ihr Engagement für internationale Politik thematisieren. Sylvia Canel erfährt im Laufe der Doku, dass sie dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören wird. Elisabeth Scharfenberg wird bei der Landesdelegiertenversammlung auf einen hinteren Listenplatz durchgereicht.
Thomas Feist braucht sich um seinen Wiedereinzug wohl keine Sorgen machen. Der Zuschauer ist dabei, als der 48-Jährige mit seinen Mitarbeitern diskutiert, ob er auf dem Wahlplakat mit Stift, Tablet oder Zeitung posieren soll. Oder darf es doch das Foto ohne Krawatte sein?

Die Szene untermauert Ressels hartnäckige Scheu vor Inhalten. Wo sind beispielsweise die Aufnahmen aus den Fraktionssälen, als über die Euro-Rettung debattiert wird? Der Filmemacher umgeht den politischen Diskurs, lässt seine fünf Protagonisten lieber in elend langen Monologen über die Kunst philosophieren, eine Entscheidung zu treffen. Das langweilt. Spätestens nach einer halben Stunde dreht sich die Doku im Kreis. Der Bundestagswahlkampf, mithin das emotionale Schreckgespenst der Abgeordneten, mutiert im Film zu einer grauen Maus.

Hätte der Regisseur dagegen den Mut zur inhaltlichen Debatte gehabt, wäre die Dokumentation vermutlich eine der spannendsten der letzten Jahre geworden. Weil sie sich auf die bloße Wiedergabe parlamentarischer Arbeitsprozesse reduziert, scheitert sie jedoch an ihrem eigenen Anspruch.

Volksvertreter. Abgeordnet in den Bundestag, Mittwoch & Donnerstag, jeweils 20:15 Uhr, 3sat

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