Fast eine ganze Dekade ist es her, als ein junger Leipziger Autor mit seinem Romandebüt im Eiltempo zum Star der ostdeutschen Literaturszene avancierte. In dieser Woche ist die Verfilmung von Clemens Meyers Milieuerzählung "Als wir träumten" im Berlinale-Wettbewerb zu erleben. Ab 26. Februar ist der Streifen über eine Jugendclique, die die Wendejahre im Leipziger Osten erlebt, bundesweit in den Kinos zu sehen.

“Ich kenne einen Kinderreim. Ich summ’ ihn vor mich hin, wenn alles anfängt, in meinem Kopf verrĂĽckt zu spielen”, erzählt Protagonist Dani (Merlin Rose). “Manchmal fang’ ich einfach an, zu summen und merk’ es nicht einmal, wenn in meinem Kopf die Erinnerungen tanzen – die an die Jahre, in denen alles anders wurde.”

Regisseur Andreas Dresen (“Halt auf freier Strecke) und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase fassen die literarische Vorlage mit Samthandschuhen an. Meyers verschachtelter Erzählstil bleibt bewahrt. Der Film hĂĽpft wie der Roman munter zwischen gestern und heute, DDR und Bundesrepublik, hin und her. Alles in allem ein munterer Bilderrausch, der bei all jenen, die die Zeit zwischen 1990 und 1995 selbst erlebt haben, mannigfaltige Erinnerungen wecken wird.

Allerdings finden sich auch einige radikale Ă„nderungen zur Romanvorlage. Der FuĂźball spielt beispielsweise nur noch eine kleine Nebenrolle, etwa in Form eines Tattoos oder der Zeitschrift “FuĂźballwoche”. Auch das Ende unterscheidet sich vom Original.

Die Hauptfiguren, Teenager, die im Leipziger Osten aufwachsen, sehen sich Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger mit starken sozialen Umbrüchen konfrontiert. Erlebten sie die niedergehende DDR als autoritären Ordnungsstaat, konfrontiert die Wendezeit die Jugendclique mit anarchistischen Leerräumen.

Marc (Joel Basman) und Dani (Merlin Rose). Foto: Rommel Film/Pandora Film/Peter Hartwig
Marc (Joel Basman) und Dani (Merlin Rose). Foto: Rommel Film/Pandora Film/Peter Hartwig

Die Gruppe um Rico (Julius Nitschkoff), Mark (Joel Basman) und Dani lebt ziellos in den Tag hinein. Die Teenager randalieren in der Nachbarschaft, knacken Autos, saufen Bier, veranstalten illegale Technoparties und prügeln sich mit der Nazi-Gang, die das Viertel als ihr Revier für sich beansprucht. Auf der Polizeistation sind die Chaoten Stammgäste. Heimlich träumen sie von einem Leben mit Sinn, irgendwo anders als in diesem dreckigen Leipziger Viertel.

Heile Welt war gestern. Andreas Dresen erzeugt zwei konträre Pole, indem er die gesittete Welt einer DDR-Grundschule dem raubeinigen Straßenleben irgendwann Mitte der Neunziger gegenüber stellt. Pioniersgruß trifft auf Technobeats. Mit der Meyer-Adaption legt der ostdeutsche Regisseur, der die Wende als 26-Jähriger in Potsdam und Berlin miterlebt hat, eine emotional aufwühlende Milieustudie vor, die von einem starken Ensemble gespielt wird.

Sternchen (Ruby O Fee) und Dani (Merlin Rose). Foto: Rommel Film/Pandora Film/Peter Hartwig
Sternchen (Ruby O. Fee) und Dani (Merlin Rose). Foto: Rommel Film/Pandora Film/Peter Hartwig

Merlin Rose, der – wie keiner der Jungstars – die Wende nicht miterlebt hat, spielt Dani als innerlich desillusionierten Draufgänger. Neben dem Hauptdarsteller sticht Joel Basman hervor, der die Ist-mir-egal-Haltung seiner Figur konsequent zu Ende fĂĽhrt. Julius Nitschkopf gibt den gescheiterten Boxer, Marcel Heuperman den Drug-Dealer in spe. Ruby O. Fee begreift Sternchen als Opportunistin, deren Lebensentwurf (mehr oder weniger) am Scheitern ist. Clemens Meyer hat einen Cameo-Auftritt.

Wer als Leipziger auf Wiedererkennungserlebnisse hofft, findet diese vor allem in der Atmosphäre. Verfallene Altbauten, Technoparties in einer verlassenen Fabrik und Naziglatzen, die blutige Hetzjagden veranstalten. Bekannte Leipziger Schauplätze oder Sehenswürdigkeiten tauchen dagegen nicht auf. Die im Stadtbild so charakteristische Straßenbahn wird einmal erwähnt, ist aber weit und breit nicht zu sehen. Zur Beruhigung: Der Film wurde tatsächlich in der Messestadt gedreht.

Nicht zuletzt wegen seines authentischen Charmes, den Dresens Bilderfluten versprĂĽhen, wird der Streifen Meyer-Fans gefallen. Die Mitwirkenden erwecken die Romanfiguren auf der Leinwand zum Leben. “Als wir träumten” ist ein bierseliger Film ĂĽber die Leipziger Gesellschaft Anfang der Neunziger. Ăśber eine wilde Zeit, die irgendwann vorĂĽber war. Wer gerne in Erinnerungen schwelgt, ist hier genau richtig.

Filmstart ist der 26, Februar. R: Andreas Dresen, Deutschland 2015, FSK 12.

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