Wie weiter mit Lene und ihrer Gesellschaft? Die Frage schwebte natürlich auch am Dienstag, 31. Mai, wieder im Saal der „Sanftwut“, wo die Lene-Voigt-Gesellschaft seit Jahren gern zu Gast ist, wenn sie ihre Wettbewerbe austrägt. Am Dienstag war wieder der Wettbewerb der Jüngsten dran - der um das Gaggaudebbchen, der kleinste seit Jahren. Aber einer, der es in sich hatte.

Denn die beiden Leipziger Schulen, die sich wirklich emsig um die Pflege der sächsischen Mundart und die herrlichen Gedichte der Lene Voigt bemühen, waren beide da – mit einem kleinen, aber exzellenten Teilnehmerfeld. Dass es nur acht Teilnehmer waren am Ende, hat mehrere Gründe. Der eine war das Fehlen der Delitzscher, die sich in den letzten Jahren zu ernsthafter Konkurrenz aus dem Landkreis Nordsachsen entwickelt hatten. Aber auch hier hängt alles immer nur an der einen begeisterten Lehrerin, die alles organisiert. Und wenn sie mal ausfällt – gerade dann, wenn die heiße Wettbewerbsphase kommt – dann fällt das ganze Team aus.

Schade.

Der andere Grund war der etwas unglückliche Termin – nicht für das Gaggaudebbchen, das lag schon immer in dieser Zeit. Aber in diesem Jahr liegen die Prüfungstermine in Sachsen früher. Ergebnis: Die älteren Schülerinnen und Schüler stecken im Prüfungsstress und fehlten deshalb notgedrungen.

Schade.

Aber viel mehr Sorgen bereitet Klaus Petermann, dem Vorsitzenden der Lene-Voigt-Gesellschaft, ein anderer Grund: „Wir haben alle Leipziger Schulen angeschrieben. Wirklich alle.“ Doch aus fast allen kam als Resonanz nichts zurück als ein gähnendes Schweigen. Was besonders schade ist, denn wenn die Lene-Voigt-Gesellschaft zum Wettbewerb um das Gaggaudebbchen einlädt, dann geht es nicht nur um die Beherrschung des liebevoll verspielten Sächsisch, wie es Lene Voigt in ihren Gedichten verwendet und seinerzeit den Leipzigern direkt vom Munde abgeschaut hat. Es geht auch um die Entdeckung einer Leipziger Dichterin, die in ihren Texten nicht nur das blanke – manchmal auch armselige – und trotzdem mit Freuden gespickte Leben beschrieb, sondern auch Verse voller Weisheit verfasste. Man lernt was dabei, wenn man sich traut, denn hier verbindet sich die fröhliche Weisheit der klugen Beobachterin mit dem freundlichen Humor der Leipzigerin, die alle Schicksalsschläge erlitten hat und weiß, wie wichtig der Blick für jede kleine Lebensfreude ist.

Es kann auch ruhig der freundliche Blick aufs Treiben der Anderen sein. Was in heutigen Zeiten so aktuell ist wie je, Zeiten, in denen dummdreiste Leute herumrennen und glauben, sie müssten ihre Verachtung für andere Menschen überall öffentlich machen. Das ist nicht mal rassistisch, auch wenn das so schön böse klingt: Das zeugt einfach von fehlendem Anstand und einer völlig verkorksten Erziehung.

Das ist eigentlich das Zeichen unserer Zeit: Dass es opportun geworden ist, dass man sich in aller Öffentlichkeit schlecht benimmt, sich nicht mal dafür schämt und dann auch noch gewählt wird.

Lene Voigt wäre wohl zur Satirikerin geworden, wenn sie das noch erlebt hätte.

Jetzt, so Klaus Petermann, müsse man sich natürlich etwas einfallen lassen, wie man die Leipziger Schulen begeistern kann für diesen Wettbewerb, in dem es auch um den Mut zum öffentlichen Auftritt und zum verwegenen Vortrag geht. Denn in der jüngeren Vergangenheit hat sich der Wettbewerb um das Gaggaudebbchen nicht nur zur ernsthaften Konkurrenz für den Wettbewerb der Erwachsenen um die Gaffeeganne entwickelt – er hat den Älteren immer stärker den Schneid abgekauft und gezeigt, dass es auch bei den Erwachsenen ohne mehr Herausforderung und Wettbewerb nicht geht.

Freudestrahlend: das komplette Teilnehmerfeld zum Gaggaudebbchen 2016. Foto: Ralf Julke
Freudestrahlend: das komplette Teilnehmerfeld zum Gaggaudebbchen 2016. Foto: Ralf Julke

Das war dann – neben dem einschneidenden Verlust der Vorsitzenden Edelgard Langer – der zweite Grund, warum der Wettbewerb um die Gaffeeganne 2014 und 2015 ausfiel und auch 2016 nicht stattfinden wird. Natürlich darf man einschränken: Die Älteren haben gelernt. Vieles, was die jungen Akteure beim Gaggaudebbchen gezeigt haben, hat sein Echo gefunden auch bei den Gaffeeganne-Wettstreitern – sie fanden immer öfter den Mut zum Kostüm, legten endlich die Vortragsblätter weg und wagten, wirklich mit schauspielerischer Freude, in die Texte hineinzuschlüpfen. Man ahnte schon, wohin sich der Wettbewerb entwickeln würde, wenn hier wirklich die Herausforderung besteht, Texte von Lene Voigt souverän und ohne Scham zu spielen. Denn es sind ja nun einmal lauter kleine Kabinettstücke, die genau das herausfordern: die Freude am Spiel.

Deswegen hat die Lene-Voigt-Gesellschaft inzwischen auch eine Reihe „Sächsische Lesebühne“ ins Leben gerufen, um schon übers Jahr vortragsfreudige Menschen auf die Bühne zu locken und dazu zu animieren, sich mit sächsischen Texten zu beschäftigen. Damit reist sie auch durch die Region. Im Oktober gibt es dann auch eine Lesebühne in der „Sanftwut“, quasi als Platzhalter für die „Gaffeeganne“. Ob es dann 2017 wieder einen Vortragswettbewerb gibt, will Petermann noch nicht versprechen. Man arbeite dran.

Und wenn man es schafft, mehr Schulen oder entsprechend begeisterte Lehrerinnen und Lehrer zu gewinnen, mit ihren Schützlingen am Wettbewerb ums Gaggaudebbchen teilzunehmen, ist man da eigentlich auf einem guten Weg.

Denn die acht Teilnehmer am 31. Mai haben gezeigt, auf welcher Qualitätsstufe man landet, wenn man einfach mit Freude, Fleiß und Begeisterung an die Sache geht.

Die Jury hat zwar am Ende verraten, dass es ihr leicht gefallen sei, die drei Siegerinnen zu küren. Aber das vor allem, weil die drei zusätzlich zur Spielfreude und der Beherrschung ihrer erwählten Texte auch noch jenes Quäntchen Souveränität mitbrachten, das dann die ganze mitreißende Einheit von Vortragenden und Gedicht ergab.

Und mal ehrlich: Die Siegerin Lisa Behr hat sich mit „Vom Beimchen, das andere Blädder wollte“ einen echten Hammer von Gedicht ausgesucht. So ein richtiges Neid-Gedicht in liebevollster Fabel-Manier, neun dicke Strophen, drei verzwickte Wendungen und am Ende wieder so eine echte Lene-Voigt-Pointe, wenn das Nadelbäumchen glücklich wieder als Nadelbäumchen erwacht. Dazu hatte sich die Schülerin der Louise-Otto-Peters-Schule extra in eine stachlige Girlande gewickelt und trug das Ganze so freudestrahlend vor, dass man einfach nur noch hinschmelzen musste beim Zuhören. So einfach und so strahlend kann das Leben sein.

Hat jemand gegengehalten?

Natürlich. Denn früher, vor vielen, vielen Jahren gehörte das Gaggaudebbchen mal ganz allein den Schülerinnen und Schülern der Lene-Voigt-Schule, die sich eben nicht nur diesen schönen Namen zugelegt hat, sondern das Erbe ihrer Namenspatronin auch richtig pflegt – ordentlich in einer emsigen Arbeitsgruppe. Und so hatten einige der Teilnehmerinnen aus dieser Schule natürlich auch schon mehrere Auftrittserfahrungen beim Gaggaudebbchen und überzeugten auch die Jury mit stimmigem Vortrag – so wie Jasmin Burkhardt, die die „Säk’sche Gunde“ vortrug. Eigentlich als undankbar zuletzt Vortragende – da hatten die Anderen schon jede Menge Beifall eingeheimst. Aber sie ließ sich nicht beirren und trug diese mordsförschderliche Ballade aus Kaiser Rotbarts Zeiten in zwölf Strophen vor, die in ihrer Pointe am Ende klar macht, was eigentlich gemeint ist, wenn von „säk’scher Gemiedlichgeed“ die Rede ist.

Da die meisten Leute ja keine Lene-Voigt-Gedichtbände lesen, wissen sie nicht, was es damit auf sich hat und verwechseln das immer, wenn sie mal mit Sachsen zu tu haben. Und hinterher beschweren sie sich dann an der Rezeption.

Natürlich verraten wir hier nicht, was es ist. Dass soll schon jeder für sich herausfinden. Die komplette Lene-Voigt-Werkausgabe ist in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung erschienen. Wer sich wirklich was Gutes gönnen will, kauft sie sich.

Wenn hier von ersten Preisen die Rede ist, ist das natürlich gemogelt. Denn Preise bekommen alle Teilnehmer des Gaggaudebbchen-Wettbewerbs – eine große Tüte, in der natürlich auch ein echtes, handgefertigtes Gaggaudebbchen steckt. Die Jury wählt nur immer die noch ein bisschen Besseren aus, die, wo dann auf dem großen Strahlen (und gestrahlt haben alle sieben Mädchen, die am Dienstag vortrugen – da wirkte Benedikt Hollmann als einziger Junge geradezu schüchtern, aber er hatte ja auch die meiste Arbeit, er hatte sich „So änne Buddelei“ zum Vortrag ausgesucht) auch noch die Selbstsicherheit spürbar wird, dass Gedicht und Vortragende ganz und gar eins sind mit sich. Hat man ja sonst nicht oft, nicht mal im richtigen Leben. Deswegen gab es auch noch für Stella George so einen Ersten Preis für ihren Vortrag von „Dr Sänger“. Noch so eine echte Lene-Voigt-Ballade, mit der sie vor 100 Jahren die ganze Balladen-Romantik der deutschen Klassiker durch den Gaggau gezogen hat. In diesem Fall will der Sänger weder das halbe Königreich noch die Tochter des Geenichs und schon gar nicht seinen protzigen Ring (damit er ihm hinterher die Polizei auf die Fersen hetzt? Nicht mit ihm!), sondern lieber nur einen ordentlichen Pott Kaffee.

Die Ballade wäre im Unterricht hundertmal besser platziert als die ewigen Goethen und Schillern mit ihrer angetünchten Moral. Keiner von beiden hätte je so deutlich geschrieben, dass alle „Geschenke“ der Mächtigen nicht nur fragwürdig, sondern höchst gefährlich sind. Wer bringt das seinen Kindern heute noch bei, wo die Günstlingswirtschaft wieder floriert wie in alten feudalen Zeiten?

Diesmal waren sogar Fernsehen und Radio dabei, um alles aufzuzeichnen. Und jetzt kann man eigentlich nur die Daumen drücken, dass Leipziger Lehrerinnen und Lehrer diese unverwechselbare Leipziger Dichterin und ihre scheinbar so locker-leichten Texte mit den so gut versteckten Botschaften für sich entdecken.

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