Die Lene-Voigt-Gesellschaft wurde 1995 gegründet. 1998 wurde der Wettbewerb um die Gaffeganne gestartet. Ein Wettbewerb, in dem es jahrelang um den besten Beitrag ging und eine Jury in hartem Ringen entscheiden musste, wer am Ende mit einer extra für die Lene-Voigt-Gesellschaft angefertigten Kaffeekanne nach Hause gehen durfte. Das 25-jährige Jubiläum dieses Wettbewerbs wollte die Gesellschaft unbedingt feiern. Aber ohne Wettbewerb.

Und genau das tat sie auch am Sonntag, dem 8. Oktober, in den fröhlichen Räumen des Kabaretts Sanftwut. Mit Tapferen auf der Bühne, die eben trotzdem Texte der Leipziger Dichterin Lene Voigt (1891–1962) vortrugen – aber ohne Wettbewerb, ohne Bewertung. Denn irgendwie passt es am Ende doch nicht zusammen, wenn man das Werk der Leipziger Dichterin mit ihrem feinsinnigen, in Mundart gegossenen Humor feiern möchte – und daraus einen Wettstreit macht, bei dem die Teilnehmer vor lauter Lampenfieber den Text vergessen, sich verhaspeln oder gar aus der Rolle fallen, die sie sich ja oft mühsam angeeignet haben.

Denn Lene-Voigt-Texte vorzutragen, das ist schon von allein Rollenspiel. Man hört und sieht, wer da spricht. Und mit welchem hintersinnigen Blick auf die Welt.

Alle Teilnehmer der Gaffeeganne 2023 zusammen auf der Bühne. Foto: Sabine Eicker
Alle Teilnehmer der Gaffeeganne 2023 auf der Bühne. Foto: Sabine Eicker

Das ist der Unterschied zu vielen anderen Dichtungen, die vor lauter Lorbeerkranz vergessen, dass an Gedichten tatsächlich nur das Menschliche anrührt. Nichts anderes. Und genau das beherrschte die von den Nationalsozialisten mundtot gemachte Leipziger Dichterin in Perfektion. Und damit gab sie dem Lebensgefühl der – einfachen – Leipzigerinnen und Leipziger eine Form, die gültig ist für die nächsten Generationen.

Auch das muss betont werden: Lene Voigt stammte selbst aus einfachsten Verhältnissen und hat die Erfahrungen all der kleinen Leute geteilt, die an ihren verschiedenen Wohnungen in Leipzig ihre Nachbarn waren. Ihre Gedichte schildern ihre Zeit – vor allem die 1920er Jahre – in den Arbeiterquartieren der Stadt Leipzig so authentisch, dass man sich beim Zuhören hineinversetzt fühlt in dieses Leipzig vor 100 Jahren. Und dabei auch diesen ganz speziellen Leipziger Charme spürt, der zeigt, dass die oft so bärbeißigen Großstadtbewohner eigentlich große, weite Herzen haben und die kleinen Dinge im Leben genießen können, wenn es zu den großen nun einmal nicht reicht.

Von dieser Gelassenheit ist – scheinbar – nicht viel geblieben.

Die „Gaffeeganne“ im Theater Sanftwut. Foto: Sabine Eicker
Bei der „Gaffeeganne“ im Theater Sanftwut. Foto: Sabine Eicker

Aber am Sonntag war davon wieder viel zu hören und manches zu spüren. Und entsprechend froh war Vereinsvorsitzender Klaus Petermann, dass man so wieder feiern konnte und sich die Vortragskünstlerinnen und Vortragskünstler doch wieder auf die Bühne trauten und Lenes Texte vortrugen, manchmal mit zitternden Beinen, manchmal mit breiter Brust. Und weil’s kein Wettbewerb war, gab es diesmal Preise für alle. Allein dafür, dass sie sich so ins Scheinwerferlicht getraut haben vor einem vollen Saal, der mit Beifall nicht geizte.

Die Arbeit der Lene-Voigt-Gesellschaft geht also weiter. Denn Lene Voigt gebührt eine ganz andere Aufmerksamkeit, wie es die Lene-Voigt-Gesellschaft selbst formuliert: „Dabei ist es vornehmes Anliegen der Gesellschaft, sie nicht einseitig als ‚Mundartdichterin‘ festzulegen. Die Dichtung von Lene Voigt verdient große Wertschätzung, sowohl in ihrer literarischen als auch in ihrer historisch-gesellschaftlichen Bedeutung. Wir sollten ernster und sorgsamer mit ihrem Werk umgehen, mit angemessener Demut und literarischem Feingefühl ihre Werke interpretieren und rezitieren. Somit geben wir Lene Voigt den ihr gebührenden Platz in der Riege deutscher Dichter.“

Und Dichterinnen, darf man hinzufügen. Denn Frauen haben oft genug einen ganz besonderen, sehr scharfsinnigen Blick auf die Dinge, die die Welt zusammenhalten. Und die das Leben ein bisschen schöner und liebenswerter machen. Und nicht ganz so verkopft und lorbeerig. Dann merkt man erst, was es heißt, sich auch bei fiesem Regenwetter mit tropfnassem Hut an der Haltestelle zu verlustieren und sich zu sagen: „Nu grade!“

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