Früher gab's nur die Gaffeeganne für die Großen. Einmal im Jahr trafen sie sich und wetteiferten mit Lene-Voigt-Texten um die Porzellan-Trophäe. Doch seit ein paar Jahren hat die Lene-Voigt-Gesellschaft auch einen eigenen Nachwuchswettbewerb. Da gibt's natürlich keinen Gaffee, sondern Gaggau. Wahlweise auch Abbelguchen, Abbelguchen und Bäbe.

Wer es nicht weiß, was Bäbe ist, muss sich ein sächsisches Backbuch kaufen oder ein Buch von Lene Voigt, von die es alle zu kaufen gibt. Auch weil die Lene-Voigt-Gesellschaft sich mehr als rührig bemüht, die Texte der Leipziger Nachtigall am Leben zu erhalten und mit Leben zu erfüllen. Das geht gedruckt – auch wenn die echten Lene-Voigt-Verehrer noch ein bisschen warten müssen auf die erste große echte Biographie. Und es geht mit echten kleinen Sachsen, die auf eine Bühne klettern wie der im Kabarett Sanftwut und die herrlichen Texte hinausschmettern, dass auch Lehrer, Juroren und Papa und Mama ihren sonst so heiligen Ernst vergessen. Wie kann man auch ernst bleiben, wenn Lene Voigt so schön zelebriert wird?

Selbstverständlich ist das nicht. Denn ohne Lehrerinnen, die die Begeisterung für die Texte Lene Voigts in die Schulen tragen, würde es einen Wettbewerb um das Gaggaudebbchen auch nicht geben. Als erste Schule fing vor Jahren die Lene-Voigt-Schule damit an, nicht nur ihre Namenspatronin zu ehren und zu lieben, wie sich das gehört, sondern die Steppkes auch zu ermutigen, Gedichte und Balladen von Lene einzustudieren. Nicht einfach nur so, sondern mit Herz und Schmäh und Begeisterung. Das steckte natürlich an. Zuallererst die Artur-Becker-Oberschule in Delitzsch, die dann irgendwann mit einer sportsbegeisterten Mannschaft aufkreuzte und die Lene-Voigt-Gesellschaft zwang, das viel zu kleine Lene-Voigt-Kabinett im Ratskeller aufzugeben und in den sanften Armen der Sanftwut Zuflucht zu suchen. Was nur gut war, denn mit der Eröffnung eines neuen Gymnasiums im Leipziger Süden stieß ein weiteres Häufchen Lene-Voigt-Versteher dazu. Die Louise-Otto-Peters-Schule zeigte, dass neben Mathematik und Radschlagen auch Hitschen, Gogosbalmen und Kuchenbäckerei zu den Erfahrungen der jungen Gymnasiasten gehören.

Und so ungefähr fanden sich die drei Schulen auch diesmal am Mittwoch, 14. Mai, im Kabarett Sanftwut zusammen. Erstmals ausgesiebt. Denn wenn eine Idee die Kinder begeistert, dann platzen die Säle. 40 Anmeldungen gab es diesmal für den Wettbewerb ums Gaggaudebbchen. Da musste es einen Vorausscheid geben in allen drei Schulen, aus dem sich dann 19 Kinder qualifizierten für das große Finale. Auf dem sich diesmal noch ein neues Pflänzchen zeigte: Aus der Auwaldschule kam Jessika Cha, mit acht Jahren eindeutig die jüngste Abbelguchen-Bäckerin an diesem Tag. Letzte wurde sie nicht. Es gibt keine Letzten beim Gaggaudebbchen-Wettbewerb, nur lauter Gewinner (die alle was Süßes zum Mitnehmen gewinnen) und drei Sieger. Deswegen gibt es trotzdem eine Jury. Und die ist streng. Das ist sie nicht gern. Das merkt man. Denn nicht jeder Starter ist mit Sächsisch im Kinderbett aufgewachsen. Und in der Schule wird’s auch nicht gelehrt, wenn nicht die Mathelehrerin anfängt, die Algebra in Sächsisch vorzurechnen.

Für Viele ist das Kursangebot, mit dem begeisterte Lehrerinnen versuchen, den Schülern die Liebe zum Leipziger Sächsisch der Lene Voigt nahezubringen, die erste richtige Begegnung mit diesem vom Aussterben bedrohten Idiom. Mit Lene Voigt wohl auch, obwohl man, wenn man mit ihr erst einmal im Gahn saß oder in der Oper war, das Gefühl nicht los wird, dass man sie schon seit Ewigkeiten kennt. Was auch daran liegt, dass sie immer mit zwinkerndem Auge auf das ganz Alltägliche geschaut hat, das sich auch im Zeitalter von Fastfood und TV nicht geändert hat. In lebendigen Familien lernen die Kinder noch immer, wie man seinen ersten Abbelkuchen bäckt, warum Opas Hitsche in der Ecke steht …
Wobei einem an dieser Stelle gleich die gestrenge Jury einfällt. Denn eigentlich hätte Bennet Jahn ja für seinen Vortrag “De Hitsche” die Goldmedaille verdient, wahlweise die Meisterschale oder den Bambi. Selbst noch nicht allzu groß gewachsen, hat er – mit durchaus strenger Miene – gezeigt, wie sehr man in Lene Voigts Texten die ganz normalen Lebensmalheure wiederfindet – und den Witz, den man braucht, sie mit Humor zu nehmen. Es ist nun mal der Humor der gern als klein beschriebenen Leute, die im Einstecken und Wiederaufstehen immer groß waren. Das kann man lernen. Bei jedem einzelnen Text, auch wenn es vordergründig um ganz große Geschichte geht – wie in “De Weiber vom Weinberch” (dem Mariama Diawara ihren Beitrag widmete) oder “Barbarossa” (mit dem Julia Ahrendt antrat). Und die Jury hätte ganz bestimmt Goldmedaillen verteilt, wenn es Goldmedaillen gegeben hätte.

Aber es gab Gaggaudebbchen. Schöne Steingutschöpfungen, aus denen man alles trinken kann – von Gaggau bis Fassbrause. Und als Julia Ahrendt mit “Barbarossa” und Marlene Voigt mit “Dr sächschen Lorelei” durch waren, war noch lange nicht klar: Wird das heute eine Nachtschicht für die Jury? Muss sie sich quälen?

Uwe Rohland, den die Lene-Voigt-Gesellschaft gern bittet, den Wettbewerb zu moderieren, wurde oben auf der Bühne immer fröhlicher, froh darüber, nicht unten sitzen und werten zu sollen. Und danach wurde er noch fröhlicher. Denn jetzt kamen ja erst die Gäste aus Delitzsch. Und wenn man die jungen Bäcker aus der Louise-Otto-Peters-Schule alle schon mit Backschürze und Küchengerät gesehen hatte, zeigte Lucas Ebert aus der Artur-Becker-Schule jetzt erst einmal, was eine echte Bammlern ist. Wäre Tom Pauls da gewesen, er wäre neidisch geworden. War er aber nicht. In diesem Zwölfjährigen aus Delitzsch steckt ein Schauspieler, ein Kabarettist und eine echte Bammlern. Und wenn Lohengrin sich an diesem Nachmittag in die Sanftwut verirrt hätte, hätte er ein echtes Muffensausen bekommen. Denn mit dieser Bammlern ist nicht zu spaßen. Und eines war nach diesem innigst ausgelebten Dialog klar: Wenn Lucas mal bei den Alten auftaucht und um die Gaffeeganne antritt, dann können sich die Alten ganz warm anziehen. Oder noch besser: mit Schürze, Rüschenbluse und Perücke. Wie Lucas eben.

Dass er sich was getraut hat, liegt natürlich auch an Karin Nadler, der Lehrerin, die in Delitzsch das Lene-Voigt-Fieber verbreitet. Und ihren Schülern erklärt, dass man bei Lene keine Scheu haben darf und sich auch in Schale schmeißen kann. Nelli Emmrich kam gleich im Badekostüm und erklärte dem Pubkikum, wie es zugeht “Im Familchenbad”. Da war das zweite Gaggaudebbchen weg, auch wenn das noch keiner wusste, auch die Jury nicht. Denn da kamen ja noch ein paar, Lilian Starosta zum Beispiel, die die Sache mit “Dr gleene Barwier” vortrug oder Karina Johannson, die “De Schniersengkel” offen hatte. Und als Pünktchen am Ende des erstaunlich kurzen, viel zu kurzen Wettbewerbs Thyra Sevin, die alle so gern müden Mitmenschen tröstete mit Voigts “Ä Schlafgrangker”. Am Ende holte sie für die Louise-Otto-Peters-Schule das dritte Gaggaudebbchen, zwei waren ja nach Delitzsch gegangen.

Und wer da war, hat verstanden, dass man seine Kinder in drei Schulen unbedingt anmelden muss, vielleicht bald noch in einer vierten, wenn Jessika Cha an der Auwaldschule noch eine Lehrerin überredet. Darf auch mal ein Mathelehrer sein. Begeisterung ist das wichtigste und die Liebe zum ganz Menschlichen, das die Texte Lene Voigts so vertraut macht, dass sich die Zeiten ruhig ändern können: Das Wichtigste steht im Bücherschrank.

Im nächsten Jahr gibt’s wieder einen Wettbewerb ums Gaggaudebbchen. Ganz bestimmt wieder mit Vorausscheid. Die Lene-Voigt-Gesellschaft hat wohl den schönsten aller Nachwuchswettbewerbe, die es in Leipzig gibt.

Wer dabei sein will:
www.lene-voigt-gesellschaft.de

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