Fünf Belletristik-Titel wurden im Januar für den "Preis der Leipziger Buchmesse" ausgewählt. Einen wird die Jury zur Buchmesse dann als Gewinner des Preises verkünden. Aber vorher gibt's seit ein paar Jahren immer auch so etwas wie eine Publikumsabstimmung, Online-Voting genannt. Dazu muss man die Bücher nicht mal lesen. Häkchen machen und klick: ein Online-Voting eben. An dem diesmal 1.287 Personen teilnahmen.

Die Buchmesse jubilierte: “Zahlreiche Freunde der Leipziger Buchmesse stimmen jährlich online über ihren Favoriten im Rennen um den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik ab.”

Als gäbe es ein Rennen. Als wäre die Auswahl so berauschend, dass man mitfiebern muss, weil die Jury diesmal richtig Mut gezeigt hat und Titel nominiert hat, die schon beim Lesen des Klappentextes Spannung erzeugen.

Hat sie nicht.

Fünf Nominierte standen zur Auswahl. “Klarer Publikumsliebling im Online-Voting ist Anna Weidenholzer mit ihrem Roman ‘Der Winter tut den Fischen gut'”, teilt die Buchmesse mit. Ihre Erzählung über eine arbeitslose Textilverkäuferin erhielt 38 Prozent der 1.287 Teilnehmerstimmen. Macht also nach Adam Riese: 489 Stimmen. Lisa Kränzlers Roman “Nachhinein” erreichte mit 26 Prozent den zweiten Platz. Macht 335 Stimmen.

“Das Online-Voting ist unabhängig von der Juryentscheidung und hat keinen Einfluss auf das Urteil des Gremiums, vielmehr sollte ein Publikumsfavorit gefunden werden”, betont die Messe. Eingeschränkt ist das Voting – wie schon im letzten Jahr – durch die schlichte Tatsache, dass die meisten nominierten Titel erst spät auf den Markt kamen und dadurch überhaupt auch für die Lesergemeinschaft zur Verfügung standen.Nach den Informationen der Verlage:

Lisa Kränzlers “Nachhinein” ist seit dem 22. Februar 2013 verfügbar.
Birk Meinhardts “Brüder und Schwestern” ist seit dem 28. Januar 2013 verfügbar.
David Wagners “Leben” ist genauso seit dem 22. Februar 2013 verfügbar wie Anna Weidenholzers “Der Winter tut den Fischen gut”.

Das einzige Buch, das schon länger lieferbar ist, ist Ralph Dohrmanns “Kronhardt – das liegt seit dem 23. August 2012 vor.

Die wesentlichen Informationen zu den Büchern sind also die Informationen auf den Websites der Verlage, auf der Seite des Buchmesse-Preises und der des kooperierenden Literaturport. Und natürlich da und dort die Besprechungen in der Presse.

Es ist also eher eine kleine Abstimmung über die dargebotenen Lesestücke. Und da die Buchmesse auch keine Angaben zur Zusammensetzung der 1.287 Teilnehmer der Abstimmung machen kann, ist auch völlig unklar, wie qualifiziert die Abstimmung ist. Ob die Teilnehmer tatsächlich nur die online dargebotenen Schnipsel nutzten oder sich doch noch alle fünf Bücher besorgten und lasen.

Das Thema, das die 28jährige Österreicherin Anna Weidenholzer wählte, scheint bei der Publikumsabstimmung möglicherweise den Ausschlag gegeben zu haben. Alle fünf nominierten Titel stammen zwar aus der Ecke des tiefenanalytischen deutschen Befindlichkeitsromans.Aber Anna Weidenholzer hat wohl ein Thema gewählt, das vielen Einwohnern der krisengeschüttelten mitteleuropäischen Region mit ihren industriellen Kahlschlägen sehr vertraut ist. Und statt es wieder mit Trauermusik darzubieten, zeigt sie eine selbstbewusste Frau, die sich von den Veränderungen trotzdem nicht den Schneid und schon gar nicht die Neugier aufs Leben abkaufen lässt: “Maria hat Zeit. So sitzt sie tagsüber oft auf einer Bank am Platz vor der Kirche und beobachtet das Treiben dort, ein Kommen und Gehen, Leute, die Ziele haben und wenig Zeit. Die arbeitslose Textilfachverkäuferin kennt sich mit Stoffen aus, sie weiß, was zueinander passt, was Schwächen kaschiert und Vorzüge betont. In ihrem Fall ist das schwieriger: Welcher Vorzug macht ihr Alter vergessen für einen Markt, der sie nicht braucht? Alt ist sie nicht, sie steht mitten im Leben, vielleicht nur nicht mit beiden Beinen. Aber ihr Leben läuft trotzdem rückwärts, an seinen Möglichkeiten, Träumen und Unfällen vorbei.” So leitet der Verlag in das Thema des Romans ein.

Dasselbe könnte genauso auf einer Bank in Duisburg, Leipzig, Birmingham oder Sömmerda passieren. Wer den Blick öffnet, sieht, wie ein von Gier besessener “Markt” überall seine Spuren, Verwüstungen und Leeren hinterlässt.

Die Jury hat ihre Wahl dann wieder mit gestelzten Worten gespickt: “‘Der Winter tut den Fischen gut’ gibt einer arbeitslosen Textilverkäuferin Gesicht und Stimme – im Krebsgang erzählt, subtil abgründig und mit feinherbem Witz, wird ein graudüsteres Thema zu einem schillernden Stück Literatur.”

Ein “graudüsteres Thema”? – So urteilt man aus der Königsperspektive. Selbst der sauber redigierte “Armutsbericht” der Bundesregierung erzählt von 1 Million Deutscher, für die die so genannte “Bedürftigkeit” seit 2005 der ganz normale Dauerzustand ist.

Und es sind eben nicht die Medien, die zeigen, wie Menschen in diesem Zustand versuchen, ihre Würde, ihre Hoffnung und das letzte bisschen Stolz zu bewahren.

Das tun Autorinnen und Autoren, die sich dafür noch ein Sensorium bewahrt haben.

In diesem Jahr reichten 141 Verlage insgesamt 430 Titel für den Preis der Leipziger Buchmesse ein, die bis zur Leipziger Buchmesse 2013 erscheinen werden. Die Kritikerjury nominierte jeweils fünf Autoren bzw. Übersetzer in den drei Kategorien für den Preis der Leipziger Buchmesse 2013.

Die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse gibt die Gewinner in allen drei Kategorien – Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung – am Donnerstag, 14. März, um 16.00 Uhr in der Glashalle der Leipziger Messe bekannt.

www.preis-der-leipziger-buchmesse.de

Unter www.preis-der-leipziger-buchmesse.de/stream können Interessierte die Preisverleihung via Livestream von zu Hause verfolgen.

Einen Eindruck der Bücher vermittelt im Vorfeld bereits das Internetportal www.literaturport.de. Alle nominierten Titel werden hier mit einer Hörprobe vorgestellt.

Der Residenz Verlag über Anna Weidenholzers Buch “Der Winter tut den Fischen gut”: www.residenzverlag.at/?m=30&o=2&id_program=35&id_title=1540

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