Die Leipziger Buchmesse 2020 ist abgesagt. Und damit auch das Lesefest „Leipzig liest“. Doch das Nachbarland Tschechien wollte doch diese Buchmesse noch einmal nutzen, um zu zeigen, was die große Werbeaktion für die heutige tschechische Literatur seit einem Jahr gebracht hat. Also lädt „Ahoj Leipzig“ auch ohne Buchmesse zu einem kleinen Lesefest ein.

Nach Absage der Leipziger Buchmesse aufgrund der aktuell hohen Auflagen für öffentliche Großereignisse haben die Veranstalter des tschechischen Auftritts – die Mährische Landesbibliothek Brünn im Auftrag des Tschechischen Kulturministeriums – und ihre Kooperationspartner entschieden, alternativ ein kleines, aber feines Literaturprogramm in Leipzigs Innenstadt anzubieten. Zudem wird eine eigens für den Buchmesse-Auftritt 2020 gefertigte tschechische Kulturzeitung veröffentlicht.

„Die Absage der Leipziger Buchmesse macht uns sehr betroffen, wenngleich wir sie selbstverständlich nachvollziehen können“, erklärt Martin Krafl, Programmkoordinator Leipzig2020Tschechien. „Nach einem Jahr der Vorbereitung wollten wir in Leipzig ein Echo unseres Gastlandauftritts 2019 und Tschechischen Kulturjahres geben, auch gemeinsam mit unseren Autor/-innen und Übersetzer/-innen die Chancen und Wirkungen von Gastlandauftritten unter die Lupe nehmen. Dies tun wir nun dennoch, aber auf anderem Wege: über die Publikation unserer eigens für die Buchmesse geplanten Kulturzeitung, in der sich Autoren-Statements, Interviews und Buchvorstellungen finden. ‚Ahoj!‘ aus Brünn, und wappnen Sie sich mit guter Literatur!“

In der Zeitung „Leipzig2020Tschechien“ schildern die tschechischen Autor/-innen Michal Ajvaz, David Böhm, Viktorie Hanišová, Jan Němec, Markéta Pilátová, Tereza Semotamová, Karol Sidon, Marek Šindelka, Vít Slíva, Marek Toman und Kateřina Tučková ihre spezifischen Erfahrungen mit dem Gastlandauftritt 2019 und ihre Begegnungen mit den deutschen Leser/-innen, auch ihre Hoffnungen und Erwartungen. Ihre Perspektiven als Mittler zwischen den Sprachen und Kulturen zeigen zwölf tschechische Übersetzer/-innen.

Auf die drei Fragen „Wie sind Sie zur tschechischen Literatur und Sprache gekommen?“, „Haben sie einen Traum als Übersetzer/Übersetzerin, der noch nicht erfüllt wurde?“, „Und welches ist Ihr tschechischer Lieblingsautor/Ihr tschechisches Lieblingsbuch“ antworten Ondřej Cikán, Christina Frankenberg, Hana Hadas, Raija Hauck, Kathrin Janka, Kristina Kallert, Martina Lisa, Sophia Marzolff, Julia Miesenböck, Iris Milde, Veronika Siska und Elmar Tannert.

Leipzig2020Tschechien – das Alternativprogramm

Montag, 9. März

Literaturhaus Leipzig – Haus des Buches (Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig), 19:30 Uhr: „Der Prager Golem“ und „Mit Bat‘a im Dschungel“ – Lesung und Gespräch mit Markéta Pilátová und Marek Toman.

Der neue Roman von Markéta Pilátová „Mit Baťa im Dschungel“ (Wieser Verlag 2020) erzählt von Jan Antonín Baťa, dem weltberühmten Schuhmacher aus Zlín: Nach dem Zweiten Weltkrieg verließ er die Tschechoslowakei und wanderte nach Brasilien aus, wo er mitten im Amazonas Schuhfabriken aufbaute. Geschildert wird das außergewöhnliche Schicksal einer Unternehmerfamilie, die man hierzulande durch die vielerorts präsenten Bata-Schuhläden noch immer kennt. Markéta Pilátová, geboren 1973, ist Schriftstellerin, Publizistin und Übersetzerin. Sie lebt in Südamerika.

Marek Toman stellt den legendären Rabbi Löw vor, der den künstlichen Menschen Golem erschaffen haben soll (bahoe books 2019): Im Zentrum des Geschehens steht Jacob, ein Jünger des Rabbis, der hin- und hergerissen ist zwischen seinen Gefühlen für die Christin Johanna und die Jüdin Lea. Die Spannungen zwischen den Anhängern beider Religionen fängt Toman in einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte ein, die durch zahlreiche Illustrationen von Hana Puchová bebildert ist. Der Autor, 1967 geboren, ist Schriftsteller, Übersetzer und Diplomat; seit 1997 ist er im Auswärtigen Amt tätig. (Marek Toman tritt zudem am 14.03. im Café Kowalski auf.)

Freitag, 13. März

Lyrikbuchhandlung im Rubikon/Tapetenwerk (Lützner Straße 91, 04177 Leipzig), 20:15 Uhr: Otokar Březina und Josef Váchal – Höchste Poetik und lustigster Schund. „Geheimnisvolle Weiten“ und „Der blutige Roman“, vorgestellt von Ondřej Cikán.

Josef Váchal, (1884–1969) ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten der tschechischen Literatur und bildenden Kunst. Seinen „Blutigen Roman“ (Kētos Verlag 2019), der heute in Tschechien ein Dauerbestseller ist, setzte er 1924 mit beweglichen Lettern selbst in einer Auflage von nur 17 Stück. Vordergründig eine unterhaltsame und liebevolle Parodie auf Schundromane, erweist sich das Werk bei näherem Hinsehen als bestechend vielschichtig und poetisch. Eins der größten Vorbilder Váchals war der Symbolist Otokar Březina (1868–1929), der achtmal für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde. Březinas Lyriksammlung „Geheimnisvolle Weiten“ (Kētos Verlag 2019) liegt erstmals auf Deutsch vor.

Ondřej Cikán, geboren 1985 in Prag, lebt in Wien, ist Dichter, Altphilologe, Verleger und Übersetzer zwischen dem Deutschen und Tschechischen sowie aus dem Altgriechischen und Lateinischen. 2018 gründete er in Wien den auf poetische Übersetzungen ausgerichteten Verlag Kētos. (Seine Übersetzung des Gedichts „Mai“ von Karel Hynek Mácha wird am 14.03. in der Schaubühne Lindenfels präsentiert.)

22:00 Uhr: „Die Geschichte des Fadens“ – Der neue Gedichtband von Adam Borzič, vorgestellt von Übersetzerin Martina Lisa.

Adam Borzič, geboren 1978 in Prag, ist Dichter, Psychotherapeut, Theologe und Chefredakteur der Literaturzeitschrift Tvar. Sein neuester Gedichtband „Die Geschichte des Fadens“ (Kētos Verlag 2020) verarbeitet aktuelle Geschehnisse, ist aber zugleich von der Mystik diverser Religionen durchdrungen und fragt: Wie erscheint die Linie der Gegenwart vor dem Faden der Unendlichkeit? Was sind Dämonen aus Hass und Hässlichkeit, was Schönheit und Gott?

Martina Lisa, 1981 geboren in der Tschechoslowakei, aufgewachsen in Prag, studierte Deutsch und Geschichte in ihrer Wahlheimatstadt Leipzig, wo sie als freie Übersetzerin und Dozentin lebt. Bei hochroth Leipzig gibt sie zusammen mit Tereza Semotamová seit 2018 eine Reihe mit zeitgenössischer tschechischer Lyrik – die Edition OstroVers – heraus.

Samstag, 14. März

Café Kowalski (Ferdinand-Rhode-Straße 12, 04107 Leipzig), 20:00–22:00 Uhr: Geschmuggelte Blumen im Doppelpack – Diskussion mit Viktorie Hanišová, Marek Šindelka, Kateřina Tučková und Marek Toman. Moderation: Mirko Schwanitz (Kulturjournalist).

Die Romane von Kateřina Tučková, Marek Toman und Viktorie Hanišová zielen mitten ins Herz der tschechischen Debatten über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und sie alle stellen unbequeme Fragen: Wie umgehen mit der Mitschuld an der Vertreibung unschuldiger Deutscher? Was erzählt uns ein jüdisches Grab in der Teynkirche über das Funktionieren der Propaganda von heute? Wie verformt die heutige Gesellschaft Charaktere? Nur Marek Šindelka fällt da etwas aus dem Rahmen. Sein Roman über den Schmuggel seltener Blumen ist ein Solitär. Was alle Autoren eint? Ohne sie wäre die tschechische Gegenwartsliteratur nur halb so spannend.

Viktorie Hanišová, geboren 1980, widmet sich in ihren Romanen gesellschaftlich aktuellen Themen wie der Adoption von Roma-Kindern in „Anežka“ (Klak-Verlag 2019) oder der Hausgewalt in „Houbařka“ (dt. „Die Pilzsammlerin“): Die Hauptdarstellerin verbirgt ein Familiengeheimnis, das sie seit ihrer Kindheit mit sich herumträgt und zu vergessen bemüht. Dazu wählt sie das einsame Leben in der Familienhütte im Böhmerwald, wo sie sich durch das Sammeln von Pilzen ernährt. Erst nach und nach kommen Indizien zum Hintergrund ihrer Entscheidung, ihre Heimatstadt Plzeň und das Familienumfeld zu verlassen, zum Vorschein.

Marek Šindelka, 1984 in Polička geboren, studierte u.a. Dramaturgie an der Film- und Fernseh-Fakultät der Akademie der musischen Künste in Prag. Er debütierte als Dichter (Jiří-Orten-Preis 2006), es folgten der Roman „Chyba“ („Der Fehler“, Residenz Verlag 2018), 2011 die Erzählbände „Zůstaňte s námi“ und „Mapa Anny“ (2014) sowie 2016 die Novelle „Únava materiálu“. Seine 2018 in Tschechien erschienene Graphic Novel „Svatá Barbora“ (dt. „Heilige Barbora“) ist geschrieben und gezeichnet nach einem realen Fall und bewegt sich zwischen Thriller und einem gezeichneten Essay über Korruption und politische Machenschaften.

Kateřina Tučková, 1980 geboren, ist Mitgründerin des Festivals Meeting Brno. Ihre Romane „Vyhnání Gerty Schnirch“ („Gerta. Das deutsche Mädchen“, Klak-Verlag 2018) über die Geschichte des Brünner Todesmarsches und das Schicksal der tschechoslowakischen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie „Žítkovské bohyně“ („Das Vermächtnis der Göttinnen“, DVA 2015) über das Schicksal der Heilerinnen in Zeiten des kommunistischen Regimes erhielten den Prestigepreis Magnesia Litera. Beide Bücher wurden in Tschechien zu Bestsellern und in mehr als 17 Sprachen übersetzt. Ihr neuer Roman „Bílá voda“ (dt. „Weißwasser“) handelt von der Verfolgung von Ordensschwestern während des vergangenen Regimes und der Priesterweihe für Frauen.

Schaubühne Lindenfels (Karl-Heine-Straße 50, 04229 Leipzig), 21:00–23:00 Uhr: Schlesi-Sachs, Öster-Böhm. Lustvolle Prosa und Lyrik aus Schlesien, Sachsen, Österreich und Böhmen – Matthias Senkel liest neue Prosa. Ondřej Hložek stellt seinen neuen Gedichtband „Trautes Heim“ vor. Ondřej Cikán präsentiert den Bestseller „Margot – Vom Leben einer Baroness und vom Leiden eines Pferdes“ von Wynfried Schecke zu Gülitz sowie das größte Idol moderner tschechischer Literatur: Karel Hynek Mácha.

Am Liebesepos „Mai“ von Karel Hynek Mácha führt in der tschechischen Literatur kein Weg vorbei. Mit seiner Bildhaftigkeit und Lautmalerei hat er nicht nur den tschechischen Symbolismus, Poetismus und Surrealismus geprägt, sondern wirkt sowohl in der Prosa als auch in der Lyrik bis heute nach. Die lautmalerische neue Übersetzung des Dichters Ondřej Cikán (Kētos Verlag 2020) ist die erste, die die formalen Eigenheiten des Originals nachahmt.

Ondřej Hložek, 1986 in Opava/Troppau geboren, ist Dichter. Seine Lyrik behandelt scheinbar alltägliche Begebenheiten, die Kindheit oder die vergangene Mehrsprachigkeit Tschechisch-Schlesiens. In seinem neuesten Gedichtband „Trautes Heim“ (Ketos Verlag 2020) fragt er danach, was ein zu Hause bedeutet: Ist es der Ort, wo man fast vom Blitz getroffen wurde? Oder die Erinnerung an den Vater in einem morschen Häuschen mitten im Wald? Oder eine Villa in Schmetterlingsform auf Sandfundament?

Matthias Senkel, 1977 in Greiz geboren, lebt in Leipzig. 2012 erschien sein Debütroman „Frühe Vögel“ (Aufbau Verlag), der mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis und dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Sein jüngster Roman „Dunkle Zahlen“ wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse 2018 nominiert und stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.

Tschechien2020Leipzig wird veranstaltet vom Kulturministerium der Tschechischen Republik und der Mährischen Landesbibliothek sowie der Leipziger Buchmesse, mit Unterstützung des Generalkonsulats der Tschechischen Republik in Dresden, der Partnerstädte Leipzig und Brünn sowie der Tschechischen Zentren in Deutschland. Medienpartner: Tschechischer Rundfunk Vltava.

 

Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 24. Januar 2020): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen. Doch eben das ist unser Ziel.

Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen (zur Abonnentenseite).

Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Aufrechterhaltung und den Ausbau unserer Arbeit zu unterstützen.

Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 350 Abonnenten.

Alle Artikel & Erklärungen zur Aktion Freikäufer“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar