Dass Tanz nicht nur ausdrucksstark ist, sondern auch Inhalte vermitteln kann, weiß der Tanz-Kenner spätestens seit dem Pina-Bausch-Film. Ab dem 5. Mai widmet sich die Leipziger Tanzoffensive im LOFFT brisanten Themen. RAF-Terrorist Andreas Baader feiert seine getanzte Wiederauferstehung, Public Viewing flimmert ganz ohne Fußball und bei freiem Eintritt auf dem Augustusplatz und es gibt eine Kooperation mit "mehrTANZ!". LOFFT-Geschäftsführer Dirk Förster zeigte sich gegenüber L-IZ im Vorfeld gesprächig.

Wer darf bei der Tanzoffensive 2012 eigentlich Mut haben, seine eigene Geschichte zu erzählen?

Zunächst einmal natürlich die Künstler, die alle etwas zu erzählen haben. Über sich und über die Welt. Die sich alle für das Narrative entscheiden – obwohl es im Tanz seit einiger Zeit die Bestrebung gibt, eben nicht mehr zu erzählen und verstärkt rein formal zu arbeiten. Aber wir meinen damit genauso das Publikum der Tanzoffensive, dass seine Geschichte erzählen kann – entweder über ihre Erfahrungen mit Tanz, Theater und Kunst oder eben jede andere kleine Geschichte über sich. Dafür haben wir einen Raum geschaffen: Das ganze Foyer ist umgebaut, wir haben das Innere nach außen gekehrt und die heilige Grenze zwischen Backstage und Zuschauerbereich aufgebrochen. In unserer LOFFT-WG kann man täglich von 16 bis 23 Uhr zusammensitzen und erzählen, etwas trinken, das W-Lan benutzen oder Zeitung lesen.

Bücher, Filme, Theater und Bilder können Geschichten erzählen, denkt man vorurteilsfrei. Aber Tanz… Warum ausgerechnet Tanz?

Die Inszenierungen der Tanzoffensive arbeiten mit starken, bewegten und bewegenden Bildern, die über das rein visuelle hinausgehen und unmittelbar physisch werden. Das berührt jeden. Die Stücke, die wir zeigen, lassen niemanden kalt, weil sie von Geschichten handeln, die uns direkt betreffen. Wo nötig, arbeiten die Choreographen auch mit Texten und Bildern erweitern den engen Tanzbegriff intermedial.

Es ist Zeit ein Zeichen zu setzen!, wird die neue Ausgabe der Tanzoffensive angekündigt. Klingt nach einer deftigen Portion Wut. Wogegen und wofür richtet sich die Tanzoffensive thematisch?

Die Tanzoffensive steht vor allem für Offenheit, für eine echte Kommunikation zwischen Künstlern und Publikum durch und über die Kunst. Die Tanzszene ist an vielen Stellen sehr hermetisch. Selbst viele gewiefte Theatergänger können mit Tanz, der rein konzeptuell bleibt, wenig anfangen. Wir wollen darum die sinnlichen Qualitäten wieder in den Vordergrund rücken und dem Tanz die Rolle zugestehen, die er verdient – als ein basales Medium und eine zentrale menschliche Ausdrucksform. Damit locken wir auch Menschen ins LOFFT, die sonst kaum zu zeitgenössischen Tanzstücken gehen.Wurde die thematische Übereinstimmung für die Tanzoffensive vorgegeben, oder arbeiteten die Compagnien unabhängig voneinander an politisch-gesellschaftlichen Themen?

Den roten Faden hat das Programmteam entwickelt und nach entsprechenden Produktionen international gesucht, gesichtet und letztlich die aus unserer Sicht aufregendsten eingeladen. Davon sind drei Stücke Deutschlandpremieren.

Brisanz und Substanz sind die Stichwörter, die ihr bei den Inhalten der einzelnen Darbietungen gebt. Was ist im Einzelnen zu den Stoffen zu sagen?

Die Stoffe sind vielfältig und in einer Festivaldramaturgie angeordnet. Wir beginnen mit T.R.A.S.H., die sich mit der kleinsten Zelle des menschlichen Zusammenseins beschäftigen – dem Paar. Denn wo zwei zusammen kommen, entsteht die erste Geschichte. Danach startet die Tanzoffensive voll durch und richtet sich mit Peng! Palast politisch aus. Die Geschichte über schweizer, deutsche und jüdische Performer ist nicht immer ganz politisch korrekt, entwickelt aber im bitterbösen Spiel mit Vorurteilen durchaus Perspektivenwechsel auf ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte. Jelena Kostic knüpft gewissermaßen da an, indem sie sich mit dem brandaktuellen Thema Revolte beschäftigt.

Dabei interessiert sie sich genau für jenen kurzen Moment, bevor das Chaos ausbricht. Was bringt Menschen dazu – was braucht es für diese Explosion? Christoph Winkler wiederum widmet sich der RAF, konkreter der dunkel schillernden Figur Andreas Baader. Seine “Choreografie einer Radikalisierung” treibt einen einzelnen Tänzer in einem Spiel mit Macht und Eitelkeit an die Grenzen der Menschlichkeit, zum Bösen. Zum Abschluss zeigt Jennifer Ocampo Monsalve Menschen in der Extremsituation der Entführung. Die Kolumbianerin verarbeitet in dem Stück Erfahrungen ihres Heimatlandes, in dem unvorstellbar viele Menschen diese Situation erleiden. Ihre Antwort auf die Frage “Was lässt uns Überleben, wenn nichts mehr bleibt?” lautet ganz klar: Die Liebe zum Leben!

Habt ihr schon vorab einige oder gar alle Choreografien sehen können?

Wir haben alle Stücke vorab gesehen, außer GIRL 29 von T.R.A.S.H., das zum Festivalauftakt läuft. Die niederländische Premiere war erst am 29. April und jetzt ist es schon auf unserem Festival. Wir kennen aber alle bisherigen Solo-Arbeiten der Choreographin Kristel van Issum mit der Tänzerin Tegest Pecht-Guido und hatten großes Vertrauen in die beiden. Wenn man das auf Video schaut, ist es verdammt gut geworden – und live wird es noch viel besser wirken.

Zur Tanzoffensive gibt es am 7. Mai doch einen Film,…

… ja als Public Viewing auf dem Augustusplatz. Bei freiem Eintritt kann man auf den Stufen der Oper Platz nehmen und einfach mal reinschauen. Wir haben dafür ein Programm mit kurzen, ganz unterschiedlichen Tanzfilmen zusammengestellt. Auch dies ist für uns wichtig – die Tanzoffensive in das Herz Leipzigs zu tragen und eben wirklich alle damit anzusprechen.

… und auch Workshops?

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… natürlich. Wir freuen uns, dass wir in diesem wieder Jahr eine Kooperation mit “!mehrTanz” haben. Das regelmäßige Tanztraining der Initiative ist wichtig für die Leipziger Tanzszene und damit für die Tanzoffensive genau richtig. Zudem wird Christoph Winkler einen Workshop anbieten, der das choreographische Arbeiten an einem spezifischen historischen Stoff thematisiert und damit wiederum Verständnis für die Kunstform Tanz schafft und Sehgewohnheiten ausbildet. Deshalb sind die Workshops auch offen für alle Level.

… und eine Lounge! Wird da nicht geplauscht und nicht getanzt?

Alles was in der LOFFT-WG passiert, hängt von ihren Bewohnern ab. An jedem Vorstellungstag kann man ab 16 Uhr auf Zeit einziehen. Es darf auf jeden Fall auch getanzt werden. Das LOFFT-Team und die Künstler werden ganz sicher auch immer mal da sein.

Nach der Tanzoffensive ist auch was los. Was wird im LOFFT im Sommer noch kommen?

Wir werden gleich im Juni drei weitere Premieren zeigen. Da wäre die Koproduktion “Big Bodies” mit der compagnie mintrotundschwarz, die ja schon seit einiger Zeit eine hochspannende Entwicklung am LOFFT vollziehen. Weiterhin eine Kooperation mit dem Performancekollektiv Formlos, über die wir uns sehr freuen. In den letzten beiden Jahren haben sie sich kontinuierlich weiterentwickelt und zeigen ihr neues Stück “Porn this way” bei uns im LOFFT. Es geht um den gesellschaftlichen Umgang mit Pornos. Zuletzt wird noch eine weitere Impulsproduktion aufgeführt. Das Intermedia Orkestra umkreist den seltsamen Ort der “Tanke” in einer übermobilisierten Gesellschaft. An diesen Oasen der Bewegung kommen ganz aberwitzige Phänomene und Menschen zusammen. Die Performance findet übrigens zeitgleich in einem fahrenden Auto und in unserem Theatersaal statt. Es gibt also auch nach der Tanzoffensive viele gute Gründe, ins LOFFT zu kommen.

Eine kleine Nachfrage habe ich doch noch. Wie lange läuft euer Vertrag im Gebäude Theater der Jungen Welt zu bleiben?

Der derzeitige Vertrag endet im Dezember 2012. Wenn das geplante Theaterzentrum mit unseren drei Partnern Schaubühne, LTT und Westflügel bis Anfang 2013 noch nicht realisiert werden kann, hoffe ich auf eine Verlängerung. Dazu sind wir mit unseren Kollegen vom TdJW, die auch unserer Vermieter sind, noch in Verhandlungen. Unser Verhältnis zum TdJW hat sich in den letzten Monaten sehr gut entwickelt, das ist eine gute Gesprächsbasis. Ich vertraue außerdem darauf, dass niemand in der Verwaltung und der Stadtpolitik ausgerechnet das freie Theaterhaus Leipzigs, das bundes- und europaweit wahrgenommen und anerkannt wird und enorm viel für die Entwicklung der lokalen und regionalen Szene tut, auf die Straße setzen will. Gerade dass hier mit Herrn Jung und Herrn Faber zwei Bürgermeister zuständig sind, die sich nicht immer einig sind, macht es nicht gerade einfacher. Von vielen Seiten erfahren wir aber Zuspruch und Unterstützung und darum sind wir optimistisch. Die Zeit drängt aber immer mehr. Wir brauchen Planungssicherheit für die nächsten Jahre, am besten, in dem wir wissen, wann die freie Szene in Leipzig ein neues Theaterzentrum im Leipziger Westen haben wird.

Dann viel Erfolg mit eurer Tanzoffensive und mit euren Perspektiven nach dem Dezember 2012. Vielen Dank für das Interview.

Zum Programm der Tanzoffensive
www.tanzoffensive.de

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