Das 'Social Error Project' aus Budapest (Ungarn) machte auf seiner Tour durch Europa auch Halt bei den Leipziger Festspielen des Centraltheaters. In vielen aufeinanderfolgenden Akten zeigten sie klug, charmant und ohne erhobenen Finger die Methoden der Diktatur, die ihre Anwendung ebenso in den demokratisch-kapitalistischen Ländern finden.

“Ruhe! Ordnung muss sein!” Der nie auftauchende Diktator hat das Machtwort gesprochen, nachdem alle wild gestritten hatten. Das Spiel beginnt. Sechs Leipziger Schauspieler (für einige ist es der letzte Auftritt) und das Kollektiv aus Ungarn müssen sich nun registrieren lassen, erhalten eine Nummer und kämpfen um den letzten Platz in Leipzig.

Zuerst tanzen alle durcheinander, dann erschießen sie sich, stehen wieder auf, die Männer vergewaltigen die Frauen um sich dann gleich wieder zu entschuldigen. Doch dann ist Schluss damit, der Diktator hat Aufgaben für seine Sklaven. Jeder oder jede muss in den 90 Minuten das Publikum für sich begeistern. “Singt! Leistet! Leistet mehr! Vereinigt euch!” Im Hintergrund laufen Lehrfilme gegen Demonstranten. In kurzen Takten erscheinen die Anforderungen des Diktators, der durch perfide und widersprüchliche Aufgaben versucht, alle auseinander zu treiben und nur noch für die Zwecke seiner Macht zusammenfinden zu lassen.
“Massakriert einander!”, “Vermehrt euch! Liebt euch!” um dann im nächsten Akt zu fordern: “Spaltet euch!”. So funktioniert Macht: Misstrauen schüren, ausgrenzen und immer widersprüchlich sein, Gut und Böse ständig neu definieren, damit die Verwirrung steigern um sie dem orientierungslosen Volk gleich wieder abzunehmen: “Verwirre deine Gedanken nicht mit Gründen!” Folge einfach, denk nicht nach. Die Schauspieler müssen sich gegenseitig einwickeln, aber befreien muss sich jeder alleine. “Siege über dich selbst. Befreie dich von deinen Süchten!”

Doch das ist nicht alles. Die Inszenierung zeigt nicht nur die Repression eines auf Misstrauen basierenden diktatorischen Systems sondern auch die kranke Logik der westlichen Demokratien, die ebenso immer mehr zu einer Wahrheit tendieren. Aufforderungen wie “Verwirkliche dich selbst!” ähneln sehr stark unserer medialen Zeit, nahezu jede Werbung predigt mittlerweile vom Individualismus, den man erhält wenn man nach seinen eigenen Vorlieben konsumiert. Somit gewinnt am Ende auch kein Einziger, alle werden erschossen, denn der Sieger ist das System. Niemand hat etwas davon. Warum also machen wir mit, warum machen wir es nicht anders?

Was das System ist, wird nicht ganz klar. Aber genau darum geht es auch, wir haben es heute mit einem System zu tun, das niemand mehr zu durchschauen scheint, in dem Zwänge und Kräfte am Werk sind, die irgendwoher zu kommen scheinen und wir am Ende immer wieder zu dem Schluss kommen müssen, dass wir selber für unser Glück verantwortlich sind und die Gesellschaft in der wir leben uns als alternativlos verkauft wird.

Doch das stimmt nicht, wie auch das ‘Social Error Book’ zeigt, das man danach kaufen kann. Genossenschaftliches, praktisches, soziales Handeln in der unser einziger Bezugspartner nicht nur das Bewusstsein eines jeden Einzelnen ist. Ein sinnerfülltes, aktives und auch hedonistisches Leben. Nicht zu verwechseln mit den Slogans ‘I don’t care!’, ‘Wer frei sein will kommt zu Alice.’, ‘Zwischen dir und deinem Ziel steht nur eine Person: Du.’, die mit Hedonismus, einem sinnerfüllten Leben und Aktivität so viel zu tun haben wie der Konsum mit Freiheit. Das will uns Viktor Bodo, der Regisseur von ‘Social Error’ zeigen. Zeigen, dass Diktatur nicht nur in der Vergangenheit oder irgendwo am anderen Ende der Welt herrscht, sondern auch bei uns. Deswegen taucht der Diktator auch nie auf, weil er heute das System ist. Und oft ist es auch jeder Einzelne mit sich selbst.

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