Parsifal entpuppte sich vor zwei Jahren als ein Leipziger! Man fand in der Universitätsbibliothek Pergamentstreifen mit einer Abschrift aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Doch Wolfram von Eschenbachs Original war längst verschwunden. Zu dieser Zeit verbrachte der Minnesänger Heinrich von Morungen seinen Lebensabend im Augustiner-Chorherrenstift St. Thomas.

Ganz anders aktuell musste es nun auf der Bayreuther Festspielhausbühne zugehen. So, wie es auch live schon am Premierentag zeitversetzt in Kinos zu sehen war, zur Echtzeit im Fernsehen übertragen wurde, die ARD-Radiostationen übertrugen die Festspiele und wochenlang wurde „Parsifal“ in der Mediathek www-bereit gehalten. Wagner für alle. Auf dem Bayreuther Hügel hat Bequemlichkeit ihre Grenzen.

Von wegen alte Zeiten der Minnesänger und Ritter. Da stehen anno 2016 mehrere Polizisten auf der Straße, eine Polizistin mit Gewehr vor der Uniformbluse hinterm Plastikzaun, der die Straße zum Festspielhaus sperrt. Wer fühlt sich hier sicher oder unsicher. – Wer Angst hat, fährt nicht nach Bayreuth.

Wenn sich denn alle ZauscherInnen eingefunden haben, die Security die Tickets gescannt hat, und beim Ausgehen des Lichts die letzten Türen geschlossen werden, öffnet sich der Vorhang und schon die ersten Takte der Musik werden quasi verfilmt.

Wen wundert es noch, dass schon Militär auf der Bühne auftaucht, sobald es auf der Bühne Tag geworden ist.

Wagner-Werktätige mit grünem Daumen die zupacken können! Gärtner auf dem Festspielhügel. Foto: Karsten Pietsch
Wagner-Werktätige mit grünem Daumen die zupacken können! Gärtner auf dem Festspielhügel. Foto: Karsten Pietsch

Aktuell wie es aktueller nicht geht, hieß es dann in Beschreibungen. Ein seltsamer Überschwang. Kein Wunder, wenn wie hier auf der Bühne Szenen nachgebildet werden, wie sie in TV-Nachrichten laufen.

Wagners Musik nach dem Gehör von Hartmut Haenchen

Dirigent Hartmut Haenchen lässt bei der erlebten Aufführung dem Lauf der Musik Zeit, setzt scheinbar Zäsuren in die Anfangstakte, als ob er den Nachhall durchlassen wolle, fährt die Intensität nach seinem Empfinden und seiner Erfahrung. Letztlich wurde er damit über die Gesamtdauer des Werks schneller als andere, in der Inszenierung musste man entsprechend noch justieren. Dazu hat man auch das Notenmaterial im Festspielorchester ausgetauscht, wie es Haenchen nach seinen Forschungen und bisherigen Einstudierungen verlangt.
Als Wagner- und Parsifal-erprobter Dirigent hatte Haenchen an Wagners Skizzen, dem Autograph, den Bearbeitungen und Anmerkungen der Dirigenten sowie den gedruckten Ausgaben seit der Uraufführung geforscht und offenhörig auch gelauscht. Erst zur Endprobenzeit ist der 73-Jährige als Dirigent eingesprungen. Und er wird auch 2017 das Werk dirigieren.

Transit

Mönche in einem Kloster beherbergen nach alter Sitte Gäste, Durchreisende. Es wird hell unterm sakralen Gewölbe, ein Licht scheint durchs Loch im Dach, weckt den Ersten, bis alle munter sind und aufstehen, ihre Pritschen packen und nach draußen tragen. Bewaffnete Militärs erscheinen, wer und in welcher Absicht auch immer, man scheint sie zu kennen, lässt sie passieren.

Wir befinden uns an einem Refugee-Welcome-Platz. Wo immerfort eine alte Ordnung mehr gepflegt wird als dass sie lauthals herrscht. Kein Checkpoint, keine Auslese, es ist ein Rastplatz zwischen Abreise, Flucht und Sehnsuchtsort des Friedens, womöglich aber die Station zwischen Leben und Tod. Das kann man mit vielen Theaterstücken zeigen. George Taboris „Goldberg Variationen“ spielten zwischen zwei Angriffen und bröckelndem Gemäuer.

Ein zweites Loch zeigt sich im Dach, herabgestürztes Mauerwerk, nach dem letzten Angriff war keine Zeit zur Reparatur und Aufräumen. Es soll sich so zugetragen haben in einem Kloster, dessen Bewohner später entführt worden sein sollen. Regisseur Uwe-Erik Laufenberg soll mit diesem Ansatz schon anderswo einmal eine Inszenierung vorgehabt haben. Für die Bühne des Bayreuther Festspielhauses sind es nun Nachbau von Bauten und Nachgestaltung von Szenen wie man sie ähnlich auch in der Fernseh-Tagesschau sehen kann und leider sehen muss.

Arno Brekers Richard-Wagner-Büste. Seit ein paar Jahren umgeben von einer Ausstellung mit Lebensläufer von Festspiel-Künstlern zur Zeit des Faschismus. Eine finstere Bayreuther Geschichte, und der Beginn einer Aufarbeitung und Erinnerung. Foto: Karsten Pietsch
Arno Brekers Richard-Wagner-Büste. Seit ein paar Jahren umgeben von einer Ausstellung mit Lebensläufen von Festspiel-Künstlern zur Zeit des Faschismus. Eine finstere Bayreuther Geschichte, und der Beginn einer Aufarbeitung und Erinnerung. Foto: Karsten Pietsch

Ein Kind kommt in den ersten Spielminuten auf die „Parsifal“-Bühne, bleibt stehen, fällt um, bleibt liegen. „Peter!“ raunt es in Reihe 24 von Besucher zu Besucher. Vielleicht waren die Leute zur „inszenierungsbezogenen Einführung“, man weiß es nicht. Vielleicht wurde ja da erzählt, dass der Peter aus einer früheren „Ring des Nibelungen“-Inszenierung wieder auftaucht, der von Zeit zu Zeit durchs Bühnenbild ging und mannigfaltige Einwirkungen wahrnahm.

In diesem Kloster wird Wasser aus Plastikflaschen getrunken, Verpflegungsbeutel tauchen auf. Kundry, unterm großen Kopftuch, im dritten Akt am Boden kauernd, wird auch bedacht, nachdem sich die Männer gestärkt haben. Einen Stuhl bietet ihr keiner an.

Ganz oben über dem Kirchenraum sitzt eine finster gekleidete Gestalt und bleibt ein Rätsel, selbst wenn sie im dritten Akt auf dem Stuhl zusammenrutscht. Auch Klingsors Zaubergarten erscheint in diesem Kirchenraum. Der einen Aufzug später zur paradiesischen Szene auseinandergefahren wird, mit Wasserfall und hüpfenden Nackten, und die Palmen treiben aus wie Speer oder Hirtenstab… Ja, das war da wirklich zu sehen! Unglaublich…

Bild- und Soundregie

Bayreuths Bühnenszene sieht in der spielfilmgerechten Bildregie der Fernsehübertragung gänzlich anders aus, zumal mit Hilfe ausgesteuerter Elektroakustik mit dem Direktschall aus gleicher Perspektive am Ohr. Ganz anders, als wenn man es im Festspielhaus aus Reihe 25 erlebt.

Dieses Kloster ist kein Zufluchtsort alter Herren an ihrem Lebensabend, Gurnemanz Georg Zeppenfeld – aus dem Ensemble der Dresdner Semperoper – hält die Ordnung, so fern sie zu halten ist, Amfortas Ryan Mc Kinny und Titurel Karl-Heinz Lehner, Klingsor Georg Grochowski und Elena Pankratova lassen sängerisch aufhorchen und darstellerisch sehen, bei allem was ihnen szenisch in den Weg gestellt wird. Denn da galt ja scheinbar ein Mehr ist mehr…. Klaus Florian Vogt spielte in der gesehenen Aufführung einen Parsifal, den die ganze Gralswelt als Menschen überkommt und überfordert. Als Sänger ist er Herr all seiner Gefühle.

Bayreuth = Wagners Werk + 1 Idee

Eine Idee zum Werk Richard Wagners hinzuzufügen, eine neue Idee zur Interpretation des „Parsifals“ zu finden, ist das nicht, so wie Katharina Wagner verlangte. Geäußert bei einem zurückliegenden Pressetermin: „Ein Regisseur muss uns zusätzlich zum Werk eine Idee bringen!“

Bayreuther City: Wird hier der Weg gewiesen oder wird weggewiesen? Foto: Karsten Pietsch
Bayreuther City: Wird hier der Weg gewiesen oder wird weggewiesen? Foto: Karsten Pietsch

Diese „Parsifal“-Inszenierung ist Aktualitäten nachempfunden, die sich wiederum bestätigt fanden. So kann es dem Theater gehen, wenn es den Leuten zeigen will, was ihnen noch bevorsteht. In Jürgen Flimms „Götterdämmerung“ loderte das Feuer mit Rußspuren bis an die Saaldecke, ein Jahr später gab es in New York 9/11; ein Symbol und ein Begriff, den Zeitgenossen heute noch identifizieren können.

Wagner-Interpretationen und die Ästhetik der Inszenierung hätten sich zwischen Wagner-Kunst, Kitsch und Karikatur zu entscheiden, sagt man üblicherweise. Da hatte der „Parsifal“ für Kinder, belassen in einer behaupteten Märchenwelt, das bessere Konzept. Man weiß, es ist Theater.

Uwe Erik Laufenberg schafft es, dass an diesem Werk immer noch mehr geht. Christoph Schlingensief hat das auf andere Art auch schon gezeigt, ließ Film vors Bühnengeschehen projizieren, aber das ist lange genug her, dass man es wieder einmal versuchen könnte. Stephan Herheim wollte vor der Fassade der Villa Wahnfried deutsche Geschichte erzählen und spann sie dann im Berliner „Lohengrin“ weiter. Da war so viel Technik im Wege wie in der Geisterbahn. Heute heißt so was „Dungeon“. Doch vier, fünf, sechs Jahre, dann ist man in Bayreuth DVD oder nur noch virtuelle Erinnerung.

Wie wenig szenische Zutaten wirklich nötig sind, hat Johannes Felsenstein vor Jahren in Dessaus überaus großem Theater gezeigt: Spiel auf der Vorbühne, ein wandlungsfähiger Baum, ein Tisch für die Gralsritter, das Orchester dahinter. Rückprospekt fotografisch, wie gemalt…

Bayreuth, ein kleines Abbild der großen Welt?

Erst die großen Storys: Regisseur schon vor Jahren ausgewechselt, Dirigent springt erst wenige Wochen vor der Premiere ein. Doch für einen erkrankten „Parsifal“ fand sich im Hause schnell einstudierter Ersatz!

Dann die kleinen Storys: Eine Berliner Zeitung fand vor Festspielbeginn heraus, Bayreuth habe einen Oscar! So heißt nun mal der Hund des Regisseurs, und so macht man Werbung und Journalismus, samt Foto von Oscar und dem Festspielhausrasen. Als menschlicher Besucher entdeckt man später im selben Areal Schilder mit einem Hundverbots-Signet.

 

Wagner, Wagners Hund, Markgräfins Hündchen, Gartenzwerg, Luther, Karl Marx und mehr von Ottmar Hörl. Plastik oder Gummi - jedenfalls abwaschbar. Foto: Karsten Pietsch
Wagner, Wagners Hund, Markgräfins Hündchen, Gartenzwerg, Luther, Karl Marx und mehr von Ottmar Hörl. Plastik oder Gummi – jedenfalls abwaschbar. Foto: Karsten Pietsch

Somit wurde Oscar aktenkundig. Wie andere Hunde-Vorgänger des Besitzers Richard Wagner am selben Ort. Und auch das Publikum ist inventarisiert, zumindest mit den Namen und Adressen der Kartenbesteller.

Das Personal wurde polizeilich durchleuchtet, wie es Zeitungen meldeten, und man soll sogar der Leitung polizeiliche Empfehlungen gegeben haben, diverse Leute nicht in sicherheitsrelevante Bereich zu lassen. Und genau hier lässt man nun Richard Wagners Helden Parsifal nach dem reinen Tor suchen! Erlösung dem Erlöser…

Nach dem ersten Aufzug wird der Blick nach oben gezogen, vom Überblick über den Handlungsort ins All und die Fahrt zurück zu unserem schon bekannten Begegnungsort der Religionen, ob nun irgendwo zwischen Europa, Asien und Afrika, oder auch in der Grabeskirche in Jerusalem.

Uwe Erik Laufenbergs sinngemäße Verlautbarung vorab war, dass Angst nichts bringe und keine Option sei, um Sicherheit durch Stärke im Umfeld des Festspielhauses zu verkörpern. Nun sah man das Bemühen um Sicherheit förmlich. Bliebe noch die Ansicht zu Wagners „Parsifal“: „Das ist schon religiös, man braucht da nicht Weihrauch zu versprenkeln.“ Aber das hinderte ihn nicht an der Darbietung religiöser Zeichen und Rituale zu zitieren, neu zu erfinden und zu verarbeiten, bis hin zum Herabstürzen von Klingsors Kreuze-Sammlung und der Fußwaschung. Und alles so verteilt, als habe man vorher Ereigniskarten auf den Regietisch gelegt und dann immer mal noch eine gezogen, nachdem man schon Gral, Oper, Blut und Kannibalismus szenisch bluttriefend umgesetzt hatte. Hinter den Kulissen im Podcast kann man sich über die sieben Liter-Requisitenblut, die angeblich nach Kaffee schmecken sollen, informieren. Das Neu-Bayreuth von heute kann zu allem seine Erklärungen geben.

„Rituale abstrahieren und neu konstruieren“ heißt es aber dann doch im Programmheft. Muss das sein? Wer maßt sich das an, zu sortieren und neu zu ordnen, und mutet es den Zuschauern zu. Als ob nicht Richard Wagners Mysterienkabinett eine Sammlung für sich wäre. Religionskritik ist das Abarbeiten von Zeichen und Zeremonien bis zum Angriff auf Kreuze aber nicht. Dem Begriff der mutmaßlichen Islamkritik hatte sich sogar der Regisseur verwehrt. Gegen Alleinvertretungsansprüche gehe es, gegen Stillstand. Keine Lösung ist die kollektive Bestattung von Symbolen unterschiedlicher Religionen in einem Sarg… Vielleicht wollte uns das ja die Regie sagen, indem man die Reliquien einsargte… Am Ende bleibt der große Vorhang offen.

Sogar der Bamberger Erzbischof äußerte Unverständnis: „Wagner ist ein Suchender, er suchte über die herkömmlichen Religionen hinaus, ohne sie im Sarg zu beerdigen.“ Man kann Richard Wagner auch so inszenieren, dass Missverständnisse mitprogrammiert sind. Ein zweifelhafter Effekt. Und keine neue Idee. Übervolle Bühne und Überforderung sah schon Frank Castorf als planmäßiges Mittel.
Christoph Schlingensief rückte den Hasen ins Zentrum, weil er ihn als weltweit agierendes Symbol ansah. Schlingensief und Castorf bekannten beide, dass sie sich bei der Kontrolle ihrer Arbeit vom Zuschauerraum aus mehr auf die projizierten Filmbilder konzentriert hätten, als Bild und Klang der Sänger zu verfolgen.

Regisseur kritisiert Kritiker

Regisseur Laufenberg gab nach den ersten Premierenachrichten, Artikeln, Beschreibungen und Kritiken in einem Internet-Kritik-Forum eine Rückmeldung an alle Schreiberlinge im Rundumschlag, die er in einem geschlossenen System wähnt. Ob er damit gleich alle meinte, die sich äußerten, weiß man nicht.

Festspielhaus mit Nachwuchs für Bühne und Zuschauerraum als Models am Blumenbeet. Foto: Karsten Pietsch
Festspielhaus mit Nachwuchs für Bühne und Zuschauerraum als Models am Blumenbeet. Foto: Karsten Pietsch

Klar gibt es auch solche, solche und die anderen. Ein Journalist hat lange nach den ersten beiden Spielzeiten über Frank Castorfs „Ring“ geäußert: „Regisseure aus dem Osten können es einfach nicht!“ Immerhin kam der Skribent aus Berlin!

So frei kann Kunst sein, aber Kritik ist auch Kunst, wenn sie denn nicht nur niedermacht. Grundlose Arroganz und herzhafte Intoleranz schläfern von der Bühne aus genau so ein wie vom Papier oder Bildschirm..

Seien wir also dankbar den Einspringern dieser Bayreuther Saison wie allen möglichen künftigen. Laufenbergs Text kann man sich übrigens durchaus, und sogar in szenischer Fassung, auf der Sprechtheaterbühne als „Kritikerbeschimpfung“ vorstellen.

Was wäre wenn…

Zuschauer-Kalauer der „Parsifal“-Premieren-Saison ist natürlich die Frage: „Was hätte denn Jonathan Meese gemacht?“ Er war schon als Regisseur nominiert und erzählte in Mikrofone, dass er sich selbst als Jesus empfände. Dann teilte ihm die Festspielleitung mit, er sei zu teuer. Angeblich wollte er selbst noch Geld zuschießen, doch dazu kam es nicht mehr. Aber offensichtlich hat auch kein anderes Theater Meeses Pläne und Auffassungen zur Bühnenreife bringen wollen. Er soll ja einst auch für das Leipziger Richard-Wagner-Denkmal angefragt worden sein, wurde dann aber unter den Wettbewerbsteilnehmern nicht gesehen.

Umfelder

Was die Bayreuther Sitzgelegenheiten betrifft, so war das Mitbringen von Kissen im Festspielhaus verboten, nur die hauseigenen aus der Garderobe durfte man besitzen, so man es brauchte.

Sitzplatzprobleme auch anderswo: „Biergarten wegen Personalmangel heute geschlossen“ steht an der Gasthofmetzgerei ein paar Kilometer vor Bayreuth, Festspiel-Übernachtungspreise auch da, wo man nach der Festspiel-Vorstellung kein Personal mehr antrifft. Klar, an den folgenden Tagen hängt das Schild auch da.

Gegenüber von Richard Wagners Taufkirche St. Thomas in Leipzig saß neulich der Berliner Orgelprofessor Wolfgang Seifen nach seinem Konzert, Max Reger gewidmet, ausschließlich mit Improvisationen bis hin zur großen Sinfonie im französischen Stil, beim Wein. Als rheinländischer Musiker ist Seifen Humor nicht abgeneigt, wenn die Idee ernsthaft genug ist. Der nunmehrige Berliner meditierte schon an der Orgel über die „Berliner Luft“ und rupfte mal beim „Sing mei Sachse, sing!“ Tristan-Akkord-gleich die letzte Silbe weg. In abendlicher Dämmer Stunde sinnierte er über Volumen und Opulenz des Wagnerschen Werkes in Texten, Kompositionen und Orchester-Partituren: „Man müsste nur mal ein Wagner-Werk abschreiben um zu erfahren, was für eine Leistung dieser Mann vollbracht hat!“

Zukünfte Wagners? Nicht nur in Bayreuth…

Natürlich gibt es mehr oder weniger prominente Unkenrufe, die Bayreuther Festspiele verlören ihren Ruf und Bedeutung und würden sich selbst abschaffen. Nicht der erste Fall ähnlicher Art in der Geschichte. Rituale sind an Macht und Gläubigkeit gebunden.

Wo erfährt man, was alles drumrum passiert um die Festspiele? Selbst deren Podcast wirbt für unterstützte Kunst-Projekte. Man muss genau hingucken oder danach suchen, um zu sehen, dass es da Meisterkurse gestandener Solisten mit öffentlichen Terminen gibt.
Man kann sich durchklicken oder vertraut auf den Anreisetag und einer Festspielbroschüre, die eine Buchhandlungskette jährlich herausgibt und in Bayreuth verschenkt. Dann verkaufen Förderer-Verbände Broschüren, eine fränkische Zeitung macht ein Extra-Journal und zwei kostenlos verteilte Magazine mit Promi-Fotos, Hinweisen auf werkgebundene und inszenierungsbezogene Einführungen, Nachrichten und Berichten zum Geschehen auf dem Festspielhügel, in Bayreuth und Umgebung. Geld ist knapp, eine Buchhandlung ließ ihre Wagner-Literatur-Werbe-Zeitschrift in diesem Jahr ausfallen.

Seit Jahrzehnten mischt die Bayreuther Studiobühne u. a. mit Wagner-Parodien, vor Jahren auch mit der vermeintlichen  Uraufführung von „Leubald und Adelaide“, an drei festen und bei Bedarf weiteren Spielstätten mit.

Aufarbeitung der Geschichte der Familie Wagner, der Festspiele und der Umgang mit ihrem Personal wurde schon zu Wolfgang Wagners Zeiten angemahnt und man begann damit. Die Ausstellung über Schicksale von Künstlern der Festspiele ist nach wie vor im Umfeld von Arno Brekers Richard-Wagner-Denkmal zu sehen.

Einen „Diskurs Bayreuth“ soll es in den nächsten Jahren geben mit Symposium, ein Konzert für Wieland Wagner im Festspielhaus, vier Konzerte zur Musik verfolgter und verfemter Komponisten bis zur Avantgarde nach 1945 in der Villa Wahnfried. Prof. Katharina Wagner kündigte später Veranstaltungen im zurzeit noch in Restaurierung befindlichen Markgräflichen Opernhaus und später in der Stadthalle an. Öffnet sich da auch die Saison der Bayreuther Festspiele weit über die Zeit vom 25. Juli bis zum 28. August hinaus? Das Kinderopern-Projekt geht nächstes Jahr mit einem neuen „Tannhäuser“ weiter.

In der 2015 gestalteten neuen Ausstellung im, unter und neben dem Haus Wahnfried ist breiter Raum den Festspielen gewidmet. Nicht bloß ein Fingerzeig, sondern Wink mit einer ganzen Zaunfeld-Kulisse, dass die Festspiele auf ihrem Areal neben ganzjährigen Führungen auch Platz für eine Dauerausstellung hätten.

Wappentier Möwe auf dem Programmheft! Der „Fliegende Holländer“ darf nach sieben Jahren wieder an Land. Und auf die Bühne, denn der Zyklus der Wagner-Werke beginnt von vorn, in neuer Inszenierung.
Wappentier Möwe auf dem Programmheft! Der „Fliegende Holländer“ darf nach sieben Jahren wieder an Land. Und auf die Bühne, denn der Zyklus der Wagner-Werke beginnt von vorn, in neuer Inszenierung.

Ob nächstes Jahr noch Kopftücher oder Burkas im „Parsifal“ auftauchen, mehr oder weniger verschleierte Damen die Kittel ablegen und in üppigen blumenbunten Kleidern ihrer verführerischen Arbeit nachgehen werden, bleibt abzuwarten. Würden sich die Bilder ändern, nähme das nichts von Wagners Werk.

Nächstes Jahr beginnen die Festspiele mit einer Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“. Da geht es, Wagner wollte es so, um Traditionen, Rituale, Störenfriede und erfindungsreiche Weltverbesserer mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Aber, ja aber, in Bayreuth sollte doch die Regie immer noch eine neue Idee mitbringen…

„Kunst ist, wenn es beim Bezahlen weh tut.“ verkündet ein alter Buchhalterspruch, in Bayreuth drückt es den einen wie dem anderen mehr oder weniger auf das Portemonnaie oder den Sehnerv beim Anblick der Preise. Und deshalb wird’s auch immer ein bisschen teurer. Fürs Museum wäre ja auch die Abwicklung der Zehntausenden von Kartenwünschen interessant. Wie lief das denn früher ab? Mit Karteikarten? Lochkarte? Lochband? Schon an der Kundennummer auf dem Bestellschein war mit Buchstaben vermerkt, wie man seine Wartezeit abwartet…

Es war ja mal so, dass man auch einen Brief aus Bayreuth bekam, wenn es mit dem Kartenwunsch nicht geklappt hatte… Und dann kam plötzlich das Einschreiben zur Abholung auf der Post…
Oder wäre nicht auch ein Museumsthema: Wie sah der Arbeitsvertrag eines Technikers oder eines Musikers vor 100 und vor 50 Jahren aus? Ein paar Museumsstücke aus Bayreuth gibt’s sogar in Leipzig. Für das Technik-Kabinett im Opernhaus spendeten Bayreuther Techniker ausgediente Beleuchtungsapparate mit Extra-Beschriftung.

Wer fragt nach Wagners Wurzeln und Quellen

Eine Europastraße historischer Theater zieht sich über den Kontinent. Da begegnen sich Architektur- und Technikinteressenten, da kommen Künstler und Uraufführungen ins Spiel, mit denen es auf anderen Routen weitergehen könnte. Mit Wagner bis nach Riga oder Venedig und zu den Erstaufführungen, wie auch den jüngsten Inszenierungen in Übersee. Man muss ja nicht überall direkt hinreisen, Kino und TV kommen den Leuten entgegen.

Wagner und die Folgen werden untersucht und gedeutet. Doch wie weit sind Wagners Wurzen und Quellen erforscht? Wo fand er sein Personal? Nicht nur in der Bibliothek des Onkels in Leipzig.

Zu Shakespeare und Wagner ist die Bibliographie gering. Ein Vortrag über Goethes Spuren bei Wagner vor ein paar Monaten in Leipzig enttäuschte insofern, als der Referent nur Stellen zu Goethe in Tagebüchern und Briefen erläuterte. Wo denn nun Goethes Mythen-, Figuren- und Mysterien-Verarbeitungen in Wagners Werk mitspielen, blieb ein Rätsel. Vermutlich aus dem Wissen heraus, dass man da längere Zeit unterwegs sein könnte.
Wie sich die Märchenfiguren in Mythen finden, so belauern sie sich auch in Wagners Werk. Was niemanden überrascht, und  die Parallelen bereiten Spaß am Hineinsehen und Vergleichen.

Wie 2013 mit Bayreuth und Leipzigs Inszenierungen der Jugendwerke angefangen, könnte man sich weitere Korrespondenzen mit Orten aus Wagners Leben vorstellen. Man erinnere sich an den Ruf des Chemnitzer Opernhauses als „Sächsisches Bayreuth“, wo nun noch die „Meistersinger von Nürnberg“ hinzugekommen sind, für die Kostümbildner Peter Sykora Dinge entworfen hat, die „wie ein Katalog der Mode der Zeit aus dem Nürnberg von Hans Sachs wirken soll.“  So wie die Moden sich in Rhythmen einholen, kann das auch auf dem Theater gelingen.

Security

Neo Rauch, der Leipziger Maler-Star, soll 2018 in Bayreuth „Lohengrin“ ausstatten für die Inszenierung von Alvis Hermanis, der schon vor Jahren bei der euro-scene Leipzig zeigte, was er mit seinen Akteuren erzählen konnte. In Neo Rauchs Bildersprache spielen Sicherheitsleute, und seien es Feuerwehrmänner, Hausmeister und Kollegen, oft bedrohliche wirkende Rollen.

Was wäre aber denn, wenn nun sommers in Bayreuth oder sonst wo alle Leute herumliefen mit der Aufschrift „Sicherheit“ oder „Security“ auf Hemden, Jacken und Mützen? Entsprechende Bekleidung ist öffentlich in unterschiedlichen Preisklassen käuflich erwerbbar. Hier hilft kein Erlöser.

Doch was hätte denn nun Jonathan Meese gemacht? Leipzigs Richard-Wagner-Verband ist mit seiner Geschäftsstelle vom Richard-Wagner-Platz in die Nikolaistraße gezogen. Und was ist eigentlich aus der Idee geworden, den „Richard-Wagner-Platz“ zum „Refugees-Welcome-Platz“ umzubenennen?

Kurz nach der Bayreuther „Parsifal“-Premiere äußerte der Papst beim Jugendtreffen in der Krakauer Altstadt „Seid fröhlich und macht die ganze Nacht Lärm!“ Wann hätte zu Zeiten Richard Wagners oder seiner handelnden Figuren ein Papst so etwas gesagt.

Meinungen:

„Wenn man Klaus Florian Vogt als Lohengrin gehört hat, denkt man nun auch immer an Lohengrin!“ – „Wenn es irgendwo zu wenig Polizisten in Deutschland geben sollte, dann standen die diesen Sommer in Bayreuth.“ – „Der Bühnenzauber gelingt immer wieder.“ – „Warum gibt es hier keine mehrsprachigen Übertitelungen wie sonst überall?“ – „Der Parsifal war wahrlich hörenswert. Für alles andere ist das Radio die bessere Lösung.“ – „Für mich waren die Stimmen durchweg top!“ – „Über die Inszenierung legt man besser den Mantel des Schweigens, was für ein Kitsch…. Besonders der Karfreitagszauber, mit Idealfamilie. Na Klasse!“ – „Das Dirigat war mir zu schnell. Aber was ich noch schlimmer fand, war dieser durchweg breite Klangteppich, ohne jede feine Modellierung. In Bayreuth erwarte ich da ein anderes Niveau.“ – „Absolute Klasse war mal wieder der Chor, das war Gänsehaut pur!“ – „Wo wird denn kirchliches Gerät vergraben, als Thorarollen aufgelöster Gemeinden?“ – „Wird eines Mannes Vorhaut nicht nach der Beschneidung eingekapselt und vergraben?“  – „Wenn die Premiere schon in Kinos übertragen wird und im Internet läuft, dann ist doch das Live-Bayreuth-Alleinstellungsmerkmal weg!“ –  „Im Kino gibt’s zur Bildregie passenden Sound. Alles ausgesteuert!“  – „Bei der Kino-Übertragung wird man betrogen, es gibt die Inszenierung häppchenweise und man sitzt akustisch mit auf der Bühne.“ Und der Dirigent Hartmut Haenchen in einem Interview: „Ich kannte das Konzept, aber ich habe die Inszenierung erst im Fernsehen gesehen!“

Bestellen: Ticketbestellungen für die Saison 2017 werden ab 15. Oktober bearbeitet. Es kann per Post oder im Internet bestellt werden. Bis Weihnachten sind die Zuteilungen abgeschlossen. Der Online-Shop, in dem Tickets sofort gekauft und bezahlt werden können, öffnet vorrausichtlich am 12. Februar 2017.

Weiterlesen: Zum Beispiel in Henrik Nebelongs Buch (das so ernsthaft und unterhaltsam geschrieben ist, als ob noch nie jemand Wagners Werke erklärt hätte), „Liebesverbot! Sex und Antisex in Wagners Dramen“, Aus dem Dänischen von Monika Wesemann, Edition Freiberg Dresden 2015.

Artur Pelka, „Das Spektakel der Gewalt – die Gewalt des Spektakels. Angriff und Flucht in deutschsprachigen Theatertexten zwischen 9/11 und Flüchtlingsdrama“, transcript Verlag Bielefeld 2016.

„Die Geschichte der Bayreuther Festspiele: Band I: 1850-1950 und Band II: 1951-2000.“ Herausgegeben von Oswald Georg Bauer. Gebundene Ausgabe. 1292 Seiten. 128,00 EUR.

Weiterhören: „Parzifal“, Roland Kroell, keltischer Barde und Obertonsänger, Erdenklang Musikverlag, CD 60912.

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