Seit dem heutigen Freitag muss sich vor dem Leipziger Landgericht ein 54-jähriger Leipziger wegen Totschlags verantworten. Der Paunsdorfer hatte am 21. Mai 2012 seinen Bruder (55) im Streit erstochen. Uwe M. ist schuldig. Daran besteht nach einem Verhandlungstag keine Zweifel. Der Paunsdorfer macht auf der Anklagebank einen geknickten Eindruck. "Er hat das Geschehen selbst noch nicht verarbeitet", erklärt Verteidigerin Petra Wenniges.

Psychologin Mandy Werner (37) schilderte zum Prozessauftakt die Tat, wie sie M. erlebt haben möchte. Der Angeklagte schloss sich daraufhin den Ausführungen der Gutachterin an.

Der 54-Jährige, so glaubt man, könne keiner Fliege etwas zu Leide tun. Doch am 21. Mai, früh morgens, erstach er im Streit seinen älteren Bruder. Zehn Messerstiche zeugen von hemmungsloser Brutalität und jeder Menge aufgestauter Wut. Möglicherweise war der Mann, der unter Depressionen gelitten haben soll, zum Tatzeitpunkt nicht ganz bei Sinnen. Dies soll die Sachverständige klären.

Was verleitet einen Menschen dazu, seinen Bruder zu töten? Die Geschwister Uwe und Wilfried bewohnten seit 1996 ein gemeinsames Haus in der Weinbrennerstraße. Ende der 90er-Jahre verlor Uwe seinen Job. Um seine Bleibe zu erhalten, überschrieb der Langzeitarbeitslose seinen Anteil an Bruder Wilfried. Dieser räumte ihm im Gegenzug ein lebenslanges Wohnrecht ein.
Ein unantastbares Rechtsgut, doch 2012 gärt es im Hause M. Wilfried möchte mit Lebensgefährtin Helga (70) unter sich sein. Das Paar fühlt sich vom Nachbarn im eigenen Hause belästigt. “Es war nicht mehr auszuhalten”, berichtet die Rentnerin. “Deshalb hat er gesagt: Jetzt ist Schluss. Wir verkaufen das Haus.” Für Wilfried kein Problem, besitzt er schließlich einen Bungalow in der Lausitz. Warum nicht auf’s Land ziehen und das schöne Leben genießen?

Doch der 55-Jährige machte die Rechnung ohne Uwe, der zurückgezogen im Obergeschoss lebt – und dort Zeit seines Lebens wohnen darf. Eine Einigung der zerstrittenen Parteien war nicht in Sicht. Obendrein neckte Wilfried seinen Bruder, weil dieser vom Amt lebte. “Alle Welt war schuld, nur er nicht”, beschreibt Helga die verfahrene Situation. Er sei krank, er wolle Rente beziehen.

Die nächsten Jahre wird Uwe noch kürzer treten müssen als bisher. Am 21. Mai artete der Clinch mit Wilfried aus, er griff zum Messer. Dann wählte er den Notruf: “Ich habe gerade meinen Bruder im Streit erstochen.” Als die Beamten eintreffen, lässt er sich widerstandslos festnehmen. Ein Polizist erinnert sich: “Es war schwer zu sagen, ob er alles erfasst hat, was gerade passiert ist.”

Der Prozess wird fortgesetzt. Im Falle eines Schuldspruchs winken bis zu 15 Jahre Haft. Das Urteil wird am 16. Oktober erwartet.

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