Na herzlichen Glückwunsch, kann man sagen, die Sächsische Polizeireform zeigt Wirkung. Zumindest in Leipzig: Die Zahl der Straftaten hat im Jahr 1 der Polizeireform 2020 in Leipzig einen neuen Höchststand erreicht. Ist jetzt natürlich zugespitzt. Die Fallzahlen steigen seit 2009. Das war das Jahr, in dem der damalige Polizeipräsident Horst Wawrzynski begann, rebellisch zu werden. Er glaubte, die Drogenpolitik der Stadt sei daran schuld.

Sein Nachfolger Bernd Merbitz glaubt das nicht mehr. Er hat sich zumindest schon mal getraut zu sagen, dass eine Stadt wie Leipzig nicht weniger, sondern mehr Polizisten braucht. Denn Kriminalität ist ja nur ein Indikator – für ganz verschiedene Dinge. Unter anderem für die prekäre Lebenslage in einigen Bereichen der Gesellschaft. Auch wenn bei der dramatisch zunehmenden Zahl von Diebstählen immer wieder das Wort “Beschaffungskriminalität” fällt, sind es nicht immer Drogenabhängige, die hier versuchen, irgendwie schnell Geld zu beschaffen.

So nebenbei weist Leipzigs Polizeidirektion darauf hin, dass die Fallzahlen in Leipzig jetzt wieder das Niveau von 2003 erreicht haben.

In der gesamten Polizeidirektion Leipzig, die auch die Landkreise Leipzig und Nordsachsen umfasst, wurde 2013 mit 99.422 Fällen ein ähnlich hohes Straftatenniveau wie im Jahr zuvor (100.100 Fälle) registriert. Auf 100.000 Einwohner entfielen somit 10.159 Straftaten. Die Aufklärungsquote sank um 1,2 Prozent auf nunmehr 48,9 Prozent; insgesamt wurden in 48.627 Fällen Täter ermittelt. Aber während in den Landkreisen die Fallzahlen mit der Bevölkerungszahl sanken, stiegen sie in Leipzig an.

Für die kreisfreie Stadt Leipzig wurden 70.451 Fälle (+2,0 Prozent) erfasst – das seit 2003 höchste Niveau. Mit 46,6 Prozent fiel die Aufklärungsquote vergleichsweise niedrig aus.

Für die Landkreise Leipzig (16.422 Fälle) und Nordsachsen (12.549 Fälle) sank die Anzahl der registrierten Fälle jeweils um 6,7 Prozent. Gleichzeitig kam es in beiden Landkreisen zu einem Anstieg der Aufklärungsquote auf 53,9 bzw. 55,6 Prozent.

Die Diebstahlskriminalität nahm direktionsweit um 3,6 Prozent auf 48.890 Fälle zu. Damit beträgt ihr Anteil an der Gesamtkriminalität 49,2 Prozent. Besondere Zunahmen sind für die Diebstahlsdelikte in/aus Boden/Keller/Waschküchen (+1.509 Fälle), in/aus Geschäften/Kiosken (+589 Fälle), von unbaren Zahlungsmitteln (+460) sowie Ladendiebstahl (+440 Fälle) festzustellen. Womit sich auch in Leipzig selbst der auch sachsenweit festzustellende Trend bestätigt.

Die Zahl der Diebstähle allein in Leipzig stieg von 33.437 auf 36.027 an, besonders deutlich bei Diebstählen aus Böden, Kellern und Waschküchen. Dort allein stieg die Fallzahl von 4.360 auf 5.737.
Markant ist eine uneinheitliche Entwicklung für Diebstahlsdelikte von Fahrrädern, betont die Polizeidirektion Leipzig. Während die Gesamtfallzahl in den Landkreisen Leipzig (-164) und Nordsachsen (-254) sank, stieg sie in der kreisfreien Stadt Leipzig um 435 an. Eine ähnliche Entwicklung ist für Diebstahlsdelikte an/aus Kfz zu konstatieren. In der kreisfreien Stadt Leipzig erhöhte sich die Gesamtzahl um 519. Hingegen ist für die Landkreise Leipzig (-159 Fälle) und Nordsachsen (-182 Fälle) ein Rückgang gegeben.

Erfreulich sei, dass der Diebstahl von Kraftwagen direktionsweit um 70 Fälle zurückging. Nur im Landkreis Nordsachsen wuchs dieses Deliktfeld um 11 Fälle an. Ebenfalls insgesamt rückläufig waren Diebstahlsdelikte in/aus Wohnungen (-154 Fälle). Allerdings zeigt die Statistik für den Landkreis Leipzig einen leichten Anstieg (+11 Fälle) auf.

Das ist der Punkt, an dem Sachsens Innenminister die zunehmenden Investitionen der Bürger in Sicherheitstechnik lobte. Die Personen, die schnell an verkäufliches Diebesgut gelangen wollen, werden also zum Ausweichen gezwungen. Das ändert am Grundproblem nichts. Auch wenn die Polizei ab und zu loszieht, um mal wieder mit viel Remmidemmi die Drogenszene aufzumischen. Irgendwann kennt man dort alle seine Pappenheimer.

Mit 2.203 Fällen waren im Jahr 2013 lediglich vier Fälle mehr als im Vorjahreszeitraum festzustellen. Hiervon entfiel knapp die Hälfte auf Amphetamine/Methamphetamine (Crystal). Die Statistik weist zwar eine vermeintliche Stagnation aus, doch neun Rauschgifttote und die hohen Sicherstellungsmengen würden den polizeilichen Handlungsbedarf verdeutlichen, heißt es aus der Polizeidirektion Leipzig, zumal das Deliktfeld der Kontrollkriminalität zuzuordnen sei. Aber das Deliktfeld wird nun seit Horst Wawrzynski sehr regelmäßig kontrolliert. Wenn die Fallzahlen nicht deutlich ansteigen, bedeutet das für Leipzig, dass sich das Feld nicht wirklich ausweitet.

Die steigenden Zahlen in der Beschaffungskriminalität haben damit also eher weniger zu tun.

Aber was kann ein Polizeipräsident tun, wenn ihm immer mehr Leute fehlen?

Polizeipräsident Bernd Merbitz: “Im Hinblick auf Kriminalitätsschwerpunkte bündeln wir seit einiger Zeit zielgerichtet Ressourcen. Insbesondere die Arbeit der Ermittlungsgruppe Wohnung oder der Zentralen Bearbeitung Graffiti trägt nun erste Früchte. Gleiches gilt für die Soko Kfz des Landeskriminalamtes Sachsen, in welcher die bereits zuvor bestehende Ermittlungsgruppe Kfz der Polizeidirektion Leipzig aufgegangen ist. Es gilt, diesen erfolgversprechenden Weg konsequent fortzuschreiten.”

Das ist so ein wenig der New Yorker Weg: Mit einigem Aufwand wird gegen öffentlich sichtbare Phänomene der Verwahrlosung vorgegangen, ohne an den Grundproblemen wirklich etwas ändern zu können, weil das zwingend in den Bereich der Politik gehört.

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Für Sachbeschädigungen durch Graffiti konnte im Rückblick auf die letzten fünf Jahre die Anzahl ermittelter Tatverdächtiger deutlich gesteigert werden (+33,3 Prozent), freut sich Leipzigs Polizei. Dumm nur, dass auch die Zahl der Delikte von 2.235 auf 2.430 stieg. Die hier verfolgte Tätergruppe sieht sich durch den erhöhten Verfolgungsdruck erst recht animiert, im öffentlichen Raum Position zu beziehen – mit immer größeren und auffälligeren Graffiti.

Und wie ist das mit dem verstärkten Personaleinsatz in der Ermittlungsgruppe Kfz? – Dasselbe. Zwar ist der Diebstahl von Kraftwagen seit 2010 deutlich rückläufig, ein Effekt, den Innenminister Markus Ulbig vor allem den verbesserten Schutzvorrichtungen der neuen Autogenerationen zuschreibt. Dafür bleiben Pkw im Straßenraum weiter Ziel von Beschaffungskriminalität – und die nimmt seit 2011 deutlich zu. Die Fallzahlen stiegen von 4.594 auf 5.757.

Und es wird der Tag kommen, an dem auch Bernd Merbitz zugeben wird, dass eine “Ermittlungsgruppe Kfz” hier keinen Sinn macht, dass man diesem Phänomen nur durch eine stärkere Polizeipräsenz auf den Straßen beikommt. Aber dafür fehlen ihm die Leute.

Man hat es hier nämlich nicht mehr mit der gewöhnlichen Klientel von Kriminellen zu tun, sondern mit dem manifesten Problem prekärer Einkommen. Auch befeuert von der wilden Sanktionspolitik des Jobcenters Leipzig. Was in der Folge heißt: Es braucht bessere Integrationsprogramme gerade für junge Leute ohne Schul- oder Berufsabschluss. Da reicht auch Prävention nicht. Es braucht Lösungen für das manifeste Armutsproblem in Leipzig. Dann macht auch eine gut ausgestattete Polizeiarbeit Sinn.

Polizeipräsident Bernd Merbitz sieht es ganz und gar aus Sicht des Ordnungshüters: “Der Anteil der Polizeidirektion Leipzig an der sächsischen Gesamtkriminalität beträgt rund 32 Prozent. Der leichte Rückgang der Fallzahlen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Polizeidirektion und speziell das Territorium der Stadt Leipzig die Schwerpunkte hinsichtlich der Kriminalitätsentwicklung im Freistaat Sachsen sind.”

Aber an dieser Stelle darf man auf das vom Landtagsabgeordneten Dr. Dietmar Pellmann (Die Linke) so gern verwendete Wort von der sächsischen Armutshauptstadt hinweisen. Wenn dieses Thema nicht angegangen wird, wird Leipzig auch künftig weiter steigende Kriminalitätsziffern haben, die vor allem aus dem diffusen Deliktfeld der Beschaffungskriminalität stammen.
Das Handout der Polizeidirektion Leipzig als PDF zum download.

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