Manche der nun auch vom Deutschen Anwaltsverein (DAV) vorgeschlagenen Lösungen, wie „unabhängige Polizeibeauftragte, die auch anonyme Beschwerden entgegennehmen“, kommen einem in Sachsen wie ein Kalauer vor. Nach den tödlichen Schüssen in Dortmund vom Montag dieser Woche reißen die Rufe nach Veränderungen bei der Polizei einerseits nicht ab, wie auch die Beschwichtigungsversuche. Heute Nacht gab es eine Soliaktion in Leipzig mit den Opfern.

Ein unbegleiteter Flüchtling aus dem Senegal (16) war am 8. August in Dortmund im Beisein von 11 Beamten mit insgesamt sechs Schüssen getötet worden, nachdem er in offenbarer Suizidabsicht ein Messer zur Hand genommen hatte. Seit heute Nacht hat die Debatte um Polizeigewalt auch Leipzig wieder erreicht.

Es ist kurz nach 22 Uhr, als sich am heutigen 11. August 2022 mehrere Personen rings um das „Conne Island“ im Leipziger Süden sammeln. Am Tag hatte es über verschlüsselte Kanäle einen Aufruf gegeben, zu einem Solidaritätsfoto wegen des Todes von Mohammed D., welcher in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht war, zusammenzukommen.

Dass man hier bezweifelt, dass es sich bei den Schüssen in Dortmund aus einer Maschinenpistole um polizeiliche Notwehr gehandelt habe, ist schon an den entrollten Spruchbannern samt den enthaltenen Drohungen zu erkennen. „Eure Morde rächen sich, Bullenschwein, wir kriegen Dich“ steht da zu lesen.

Auf dem linksradikalen, anonymen Portal „Indymedia“ heißt es in der dieser Nacht zu den insgesamt vier verstorbenen Menschen nach Polizeieinsätzen in Deutschland zur Fotoaktion von Leipzig: „Die Opfer waren POCs, wohnungslos, wurden zwangsgeräumt oder befanden sich in belastenden psychischen Situationen. Trotz dessen, dass die Bullen dies genau wussten, gingen sie eskalativ vor, wandten Zwang an und töteten kaltblütig. Die Morde zeigen, dass die Polizei uns nicht schützt.“

Alte Strukturdefizite

Selbst wenn man den Beamten bei der Erschießung in der Nordrhein-Westfälischen Großstadt Notwehr zubilligt, steht im Raum, ob der Schusswaffengebrauch bei einer Kriegswaffe noch verhältnismäßig ist. Zumal sich die Fälle aktuell häufen, in denen Menschen einen Polizeieinsatz nicht überlebten.

Paradoxerweise ermitteln nun die Dortmunder Beamten in einem Fall der Polizei Recklinghausen, bei welchem ein offenbar unter Drogeneinfluss stehender Deutscher bei einem Einsatz fixiert wurde und anschließend verstarb. Und umgekehrt die Recklinghausener im Dortmunder Fall.

Was auch immer es da dann nützt, dass in solchen Fällen stets ein Innenminister, wie nun auch Herbert Reul in NRW, die berühmte lückenlose Aufklärung verspricht – die Skepsis bleibt.

Was auch von anderer, rechtlich berufener Seite bereits gestern eine klare Forderung ergab, die auch in Sachsen ebenso wenig neu wie umgesetzt ist. „Der Deutsche Anwaltverein fordert Aufklärung – und die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen bei den Polizeien in Bund und Ländern“, ließ der DAV verlauten und forderte konkret etwas, was in Sachsen gern mal als Spinnerei abgetan wird.

„Die Bundes- und Landespolizeibehörden brauchen unabhängige Polizeibeauftragte, die auch anonyme Beschwerden entgegennehmen – sei es aus der Bevölkerung oder aus der Polizei selbst. Der Koalitionsvertrag enthält bereits Pläne für die Polizeien des Bundes. Diese Stellen müssen dann natürlich mit den erforderlichen Ermittlungsbefugnissen ausgestattet werden, um den Hinweisen nachgehen zu können“, so Rechtsanwalt Swen Walentowski, Leiter politische Kommunikation & Medien des Deutschen Anwaltvereins (DAV) am gestrigen 10. August 2022.

Und genau diese Befugnisse haben sie, sofern es sie überhaupt gibt, nicht wirklich, womit es auch in Sachsen immer wieder zu dem wenig vertrauenerweckenden Wechselspiel bei Ermittlungen zwischen bestimmten Staatsanwaltschaften, Polizeien und Städten kommt.

Selbst Ermittlungen gegen Landeskriminalbeamte oder SEK-Polizisten werden von den sächsischen Kollegen vor Ort erledigt, statt die Fälle in ein anderes Bundesland oder unabhängige Stellen zu geben.

Und meist werden sie auch sang- und klanglos eingestellt.

Vertrauen entsteht durch unabhängige Ermittlungen

Dabei geht es um viel, wenn die Polizei von einer Gesellschaft das Gewaltmonopol übertragen bekommt, viel Vertrauen vor allem. So postuliert auch der DAV richtigerweise, was auf dem Spiel steht: „Das Gewaltmonopol des Staates ist ein schützenswertes Gut. Es verhindert Selbstjustiz und ist ein Grundpfeiler des Rechtsstaats.“

Und er fordert, dass die „Gewalt, die vom Staat ausgeht, (…) sich aber auch in den Grenzen des Rechtsstaats bewegen (muss) – hierfür braucht es unabhängige Stellen, die mutmaßliche Überschreitungen der Polizei aufklären.“

Auch die ersten Kriminologen melden sich zu Wort und hinterfragen den mittlerweile in seiner Eskalation weitgehend bekannten Ablauf von Dortmund. Im Spiegel stellt der Bochumer Kriminologe Prof. Thomas Feltes Bewaffnung und Vorgehen bei dem Einsatz grundsätzlich infrage.

So sei das Auftreten der Polizei für den Jugendlichen, der zudem die Sprache nicht verstand, in welcher er angesprochen wurde, die vor den sechs Schüssen eingesetzten Mittel wie Pfefferspray und Taser, wohl eher wie ein Angriff auf ihn erschienen, als eine deeskalatives Vorgehen.

Eben das sei jedoch in solchen Fällen anzuraten, um Leib und Leben auf beiden Seiten zu schützen. Stattdessen macht nun in den sozialen Medien seit Tagen der Hashtag #Polizeiproblem und #Polizeigewalt die Runde – mal wieder.

Die zivile Initiative „CopWatch Leipzig“ ruft unterdessen, wie auch der heute erschienene Indymediatext seit dem heutigen Abend zu einer „Kundgebung gegen die Polizeimorde am Montag“, den 15. August ab 19:00 Uhr im Rabet in Leipzig auf.

Im Aufruf selbst heißt es: „Innerhalb der letzten Woche wurden 4 Menschen von der Polizei getötet. Mouhamed war einer von ihnen. Wir fordern #justice4mouhamed und #AbolishThePolice! Bitte schreibt uns, wenn ihr euch mit Redebeiträgen beteiligen wollt. Wir freuen uns auch über jeglichen Support, insbesondere Mobilisierung, Übersetzungen, Infrastruktur (Anlage usw. besorgen wir) und Kreatives. Bringt Kerzen und Blumen mit. Eine Anmeldung wird noch erfolgen.“

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