Werbung für Facebook ist irgendwie genau so uncool, wie Werbung für Neonazis. Aber was seit heute im sozialen Netzwerk nach der "ISIS-Aktion" der selbsternannten "Scharia-Polizei" in der Leipziger Innenstadt geschah, ist schon selten. Die unter "JN Leipzig" betriebene Facebookseite ist verschwunden. Darüber hinaus folgt nun Spott im Netz, eine "Gegenseite" zur JN Leipzig ist aufgetaucht - unter fast gleichem Namen. Und die Leipziger Polizei bestätigt gegenüber L-IZ, an einem der beiden Vorgänge nicht ganz unschuldig zu sein.

Die antiislamische Aktion vom Dienstag hat sich umgehend gegen die offensichtlichen Verursacher gewendet. Von der eigentlich erwartbaren Publicity in Polizeikreisen haben die Vertreter der “JN Leipzig” (Facebookname ausgeschrieben “Junge Nationalisten Leipzig”) für ihre schräge “ISIS”- und “Scharia”-Nummer scheinbar bereits genug.

Vertreter dieser Gruppierung waren offensichtlich am Dienstag, 30. September, gegen 13 Uhr auf dem Leipziger Marktplatz aufgetreten und hatten vermummt einen Mord nachgestellt, ein Banner in arabischer Schrift hochgehalten und sich als “Schariapolizei” in Szene gesetzt. Anschließend hatte der Betreiber der Seite “JN Leipzig” bei Facebook ein Bild von der Aktion auf ihre Seite geladen und vor der “Islamisierung Leipzigs” gewarnt. Weitere einschlägig bekannte Neonazis verteilten dieses Bild danach mit ähnlichen Kommentaren umgehend und wohlwollend im Netzwerk weiter.

Seit dem Abend des 30. September stieg der Ermittlungsdruck der Leipziger Kriminalpolizei auf dieser Spur dann spürbar an. Und mit dem heutigen Donnerstag ist die Seite mit vormals über 1.200 Fans verschwunden. Auf Nachfrage äußerte ein Leipziger Polizeisprecher gegenüber L-IZ.de, der Ermittlungsdruck sei durchaus hoch und man sehe in der Aktion der Seitenlöschung den etwas unbeholfenen Versuch der Beweismittelvernichtung. Den Worten konnte man entnehmen, dass die Polizei den jungen Männern, welche sich sonst gern auf der Seite im Rahmen von NPD-Wahlkämpfen auf Bildern und in Kommentaren zeigten, in der realen Welt einen Besuch abgestattet haben.
Die Polizei hat sich unterdessen zudem bereits um eine Einschätzung des gezeigten arabischen Banners bemüht – und ein Leser der L-IZ ebenso.

Heute teilte er unserer Zeitung mit, was auch den Kriminalpolizisten aufgefallen war: “… als Arabistikstudent hat mich das schwarze Banner interessiert. Auf diesem sind zwar arabische Schriftzeichen zu sehen, allerdings falsch herum (von links nach rechts anstatt von rechts nach links) und nicht miteinander verbunden. Das passiert unter gewissen Umständen, wenn man aus Google Translate heraus Copy-und-Pasted.” Das lassen wir einfach mal mit ausdrücklichem Dank an unseren Leser so stehen, die Polizei bestätigte diesen Eindruck heute auf Nachfrage.

Erste Übersetzungen nach einem Entzifferungsversuch des gleichen jungen Mannes ergaben: “Soweit ich es entziffern kann, steht da: “??? ??? ??????? / ?????? ??????? ??? / ???? ????” Dies könnte heißen: “Wir sind der Mond Deutschlands / Europa und die Welt sprechen / Gott ist mit uns”, so der Leser weiter. “Oder alternativ, um es etwas mit Humor zu nehmen: “Wir sind die Schneeblindheit Deutschlands / Europa und ein Gelehrter sind eine Wunde / Gott ist mit uns”. Wenn man es von Google Translate ins Deutsche übersetzen ließe, würde daraus: “Wir Qamar Deutschland / Europa und die Welt km / Gott ist mit uns”.

Durchaus auch belustigt über die fabrizierte Idiotie zeigten sich bereits heute die Initiativen, welche sich sonst für das demokratische Miteinander in der Messestadt stark machen.
Die Macher von “1001 Moschee”, welche sich seit einem Jahr auch im Umfeld der neuen Ahmadiyya-Moschee in Leipzig-Gohlis für Toleranz und Miteinander in Leipzig nicht nur mit rosa Luftballons einsetzen, wollen nun gar den Ku-Klux-Klan vor dem Alten Rathaus in Leipzig gesichtet haben und schreiben: “Neue Aktion rechtsextremer Jugendlicher im Leipziger Zentrum? Diesmal passen die Masken!”

Weitere, noch unbekannte User haben unterdessen bei Facebook eine neue Seite eröffnet und diese ebenfalls “JN Leipzig” (Facebookname ausgeschrieben “JN-Leipzig”) getauft. Sie und die derzeit verschwundene Seite der “JN Leipzig”, auf welcher gern NPD-Wahlkämpfe propagandistisch begleitet worden waren, kann man jedoch auch ohne tiefere Einblicke unschwer auseinanderhalten.

Es ist ein unmissverständliches Kopfbild der neuen Fanpage eingestellt – zwei Herren mit Hitlergruß und die einzige denkbare Verwendungsart dieser Freizeitbeschäftigung durch eine ältere Dame.

Nachtrag d. Red.: Am 3. Oktober war die Seite der “JN Leipzig” bei Facebook wieder online.

Zum Artikel vom 30. Oktober 2014 auf L-IZ.de
Die ISIS und die Leipziger Neonazis: Scharia-Polizei offenbar eine Aktion der JN Leipzig

Zur Facebookseite “1001 Moschee”
www.facebook.com/1001moschee

Zur Webseite von 1001 Moschee
www.1001moschee.de

Die neue “JN-Leipzig”-Seite bei Facebook
www.facebook.com/pages/JN-Leipzig

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar