Eine Frau und Mutter, wir nennen sie hier Manuela F., machte vor fast zweieinhalb Jahren eine traumatische Erfahrung, als sie laut Ermittlungen auf ihrem morgendlichen Arbeitsweg in der Innenstadt von einer Männergruppe mit Fahrrädern körperlich bedrängt und sexuell belästigt wurde. Zwei Personen, die bei dem Vorfall beteiligt gewesen sein sollen, mussten sich am Donnerstag vor dem Leipziger Amtsgericht verantworten.
Zum Auftakt der Verhandlung warf die Vertreterin der Staatsanwaltschaft den Angeklagten Salih A. (18) und Qasy K. (21) vor, zu einer Personengruppe gehört zu haben, die sich am Morgen des 24. August 2022 in der Plauenschen Straße aufhielt, einem Durchgang der Höfe am Brühl. Gegen 04:15 Uhr habe man eine Passantin in der noch weitgehend menschenleeren Straße gesichtet und entschieden, sie unter Umständen auch mit Gewalt am Weiterlaufen zu hindern.
Angeklagte schweigen zum Vorwurf
Daraufhin habe man die Geschädigte verfolgt, sie mit Fahrrädern eingekreist. Als sich die erschrockene Frau dies verbat und mit der Polizei drohte, soll der gesondert verfolgte Mittäter des Duos sein Fahrrad in Richtung der damals 38-Jährigen geschleudert, sie außerdem zweimal auf das Gesäß geschlagen haben, so die Anklage. Der Iraker Salih A. und der Syrer Qasy K., teilweise unter Aliasnamen aktenkundig, hätten das Geschehen durch ihre Beteiligung unterstützt.
Die Angeklagten, von denen einer derzeit inhaftiert ist, wollten sich am Donnerstag im Amtsgericht nicht zum Vorwurf der sexuellen Belästigung äußern. Dafür erinnerte sich die spürbar aufgewühlte Manuela F., die eigentlich anders heißt, im Zeugenstand an jenen Morgen. Die heute 40-Jährige war in Arbeitskluft vom Goerdelerring aus auf dem Weg zu ihrem Job als Reinigungskraft, als sie eine Gruppe männlicher Personen wahrnahm, die sie zunächst auf Rädern überholt habe.
Die Täter hätten sie sie eng auf den Fahrrädern umkreist, während sie Richtung Markt lief, die Aufforderung, sie in Ruhe zu lassen, mit einer Antwort in fremder Sprache quittiert. „Die sind so nah wie möglich herangefahren.“ Dann habe einer sie am Po berührt, laut Polizeibericht sogar „draufgehauen“, und ein Fahrrad nach ihr geschmissen. Manuela F. wurde jedoch verfehlt.
„Ich wusste nicht mehr, wo vorne und hinten ist“
Schließlich eilte ihr ein beobachtender Security-Mitarbeiter vom Alten Rathaus zu Hilfe, dem die Situation seltsam vorkam, die Täter ließen von ihrem Opfer ab. Die alarmierte Polizei bekam drei Verdächtige in der Innenstadt zu fassen. Für die Geschädigte waren die psychischen Folgen der Tat gravierend: „Ich wusste nicht mehr, wo vorne und hinten ist“, schilderte Manuela F. ihren Zustand kurz nach dem traumatischen Ereignis.
Zwei Wochen war sie krankgeschrieben, schlug dann aus Angst einen anderen Arbeitsweg ein. Über die mutmaßlichen Täter, die am Donnerstag direkt neben ihr schweigend im Gerichtssaal hockten, äußerte die dreifache Mutter gegenüber Amtsrichterin Christine Ludewig: „Ich finde es unangenehm, dass die hier sitzen.“ Sowohl Salih A. als auch Qasy K. glaubte sie, eindeutig zu erkennen.
Verteidigung sieht Vorwürfe als nicht erwiesen
Ein Befund, den die Verteidigung anzweifelte: So gäbe es „keine Wiedererkennungsleistung in Bezug auf meinen Mandanten“, sagte Rechtsanwältin Annette Clement-Sternberger, die einen der Angeklagten vertritt.
Auch ihr Anwaltskollege Markus Czempik stellte klar, dass die Aussage des Opfers widersprüchlich sei und nicht für eine Verurteilung reiche. Laut Verteidigern sei der erschütterten Manuela F. kurz nach Ergreifung der Verdächtigen beispielsweise nur ein flüchtiger Blick auf die Männer im Streifenwagen ermöglicht worden, auch habe sie den Grabscher nicht identifiziert und sich seinerzeit in der polizeilichen Lichtbildmappe auf eine andere Person festgelegt als heute.
Der Prozess wurde am Donnerstag für ein nichtöffentliches Rechtsgespräch unterbrochen, mehrere Zeugenvernehmungen standen noch aus. Ob das Verfahren zeitnah zu Ende geht, blieb zunächst unklar.
Update: Das Verfahren ist hinsichtlich der sexuellen Belästigung nach Justizangaben eingestellt worden.
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Hintergrund: Höfe am Brühl und die Sicherheitslage
Laut Staatsanwaltschaft sei in dem beschriebenen Fall aufgrund des öffentlichen Interesses „ein Einschreiten vom Amts wegen geboten“, heißt es. Ein Hinweis, der durchaus so verstanden werden kann, dass die Höfe am Brühl Ausgangspunkt der vorliegenden Tat gewesen sein sollen – ein Ort, der in den letzten Jahren oft aufgrund von Straftaten in die Schlagzeilen kam. Doch wie sieht es, losgelöst vom konkreten Fall, aktuell aus?
„Betrachtet man typische Straftatbestände, stellt man fest, dass die Anzahl der Delikte, allerdings nur im Vergleich der letzten beiden Jahre, leicht rückläufig ist. Diebstahldelikte – unter erschwerenden und nicht erschwerenden Umständen – sanken von rund 500 im Jahr 2023 auf rund 380 im Jahr 2024. Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit sanken von 59 auf 51. Auch bei sonstigen Straftatbeständen und denen aus strafrechtlichen Nebengesetzen sind Rückgänge zu verzeichnen“, teilt Polizeidirektions-Sprecher Chris Graupner am Donnerstag, dem 23. Januar auf LZ-Anfrage mit.
Stark frequentierte Orte wie die Höfe am Brühl seien als Treffpunkt gerade jüngerer Menschen immer attraktiv, so Graupner, und zögen auch Personen mit unlauterer Absicht an. Aber: „Die gezielten Gegenmaßnahmen tragen zur Verbesserung der objektiven und subjektiven Sicherheit bei.“ Dazu zählt der Polizeisprecher die Beteiligung sozialer Institutionen zur Interaktion mit Jugendlichen, mehr Videotechnik und personelle Aufstockungen beim Sicherheitsdienst.
Auch sei der polizeiliche Kontakt zu Gewerbetreibenden verbessert worden, mit dem Center-Management gäbe es regelmäßige Absprachen, Streifendienst und Fahrradstaffel seien regulär unterwegs, auch die Bürgerpolizei eingebunden. Kräfte wie die Einsatzgruppe Bahnhof-Zentrum aus Bundes- und Landespolizei würden „lageangepasst“ eingesetzt, erklärt Graupner.
„Der Einsatz polizeilicher Kräfte dient nicht allein der Strafverfolgung und der Verdrängung der Kriminalität, sondern sichert die Umsetzung von Maßnahmen durch den Betreiber. Dazu zählen polizeiliche Präsenz zu präventiven Zwecken, aber auch um schnell einschreiten zu können, wenn notwendig.“ Und: „Als positives Ergebnis aus einer Besprechung mit dem Center-Management kann berichtet werden, dass zum Beispiel ein deutlicher Rückgang jugendlicher Gruppierungen ohne Kaufabsicht zu verzeichnen ist.“
Man kann also annehmen, dass das Bündel an Gegenmaßnahmen durchaus einen Effekt hat, auch wenn er eher in der Zurückdrängung bzw. Verlagerung von Kriminalität besteht.
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