Ein 35-jähriger Leipziger muss sich vor dem Landgericht verantworten, weil er eine Bekannte im vergangenen Juli mit einem Cuttermesser attackiert und ihr zum Teil dauerhafte Entstellungen zugefügt haben soll. Die Staatsanwaltschaft geht von einem versuchten Mord aus, die Verteidigung bestreitet dies. Am Montag sagte das traumatisierte Opfer vor dem Landgericht aus, zugleich kritisierte der Anwalt des Angeklagten die Polizei.

Während der Fortsetzung des Prozesses um einen Cuttermesser-Angriff in Leipzig-Lößnig ist der Verteidiger des mutmaßlichen Täters in die Offensive gegangen: Sein Mandant Alexander F. (35) habe nach der Festnahme 14 Stunden lang keinen anwaltlichen Beistand bekommen, kritisierte Curt-Matthias Engel im Saal des Landgerichts scharf. Damit seien polizeiliche Maßnahmen und daraus gewonnene Kenntnisse unverwertbar, so Engel.

Zuvor hatte der Leipziger Rechtsanwalt einen Kriminalhauptmeister im Zeugenstand mit Fragen ins Visier genommen. Am Beginn seiner Aussage beschrieb der 50-Jährige dem Gericht, wie er den Beschuldigten Alexander F. am 18. Juli 2024, dem Tag nach seiner Festnahme am Vorabend, mittags von Kollegen in polizeilicher Obhut übernahm und als Beschuldigten belehrte: „Er war ruhig und kooperativ, unaufgeregt“, so der Eindruck des Kriminalisten. „Er hat gefragt, wie es mit ihm weitergeht. Wir haben es ihm erklärt.“

Anwalt empört: Mandant ohne Rechtsbeistand

Wie berichtet, soll Alexander F. seine Bekannte Ellen S. (35, Name geändert) am Abend des 17. Juli 2024 in der Georg-Maurer Straße mit einem Cuttermesser attackiert, schwer verletzt und teils dauerhaft entstellt haben.

Der Maler und Lackierer selbst sprach von einem eskalierten Streit, dem eine toxische, für ihn rein freundschaftliche Beziehung vorausgegangen sei. Ellen S. habe er im Alltag und auch durch Geld unterstützt, jedoch sei es öfter zu Auseinandersetzungen mit der als labil geltenden Frau gekommen.

Nach seiner Festnahme, so der Kriminalhauptmeister, habe Alexander F. keinen Rechtsanwalt benennen können. Daher habe er sich einverstanden erklärt, dass die Polizisten ihm über den Anwaltsnotdienst einen juristischen Beistand organisieren. Die Bitte um einen Anruf sei weitergeleitet worden.

Für die Verteidigung keine befriedigende Antwort: Von einem „neuralgischen Punkt für die Verwertbarkeit aller anderen Maßnahmen“ sprach Rechtsanwalt Engel, widersprach der Nutzung von Angaben des Angeklagten, die dieser ohne Anwalt gemacht habe.

Psychisch labiles Tatopfer vernommen

Zudem musste das Tatopfer am Montag kurzfristig selbst im Landgericht aussagen. Ellen S. ist Nebenklägerin im Prozess, leidet nach Justizangaben an einer posttraumatischen Belastungsstörung und weiteren psychischen Problemen. Die damals 35-Jährige hatte bei dem Übergriff ihres Bekannten schwere Verletzungen davongetragen, musste acht Tage stationär behandelt werden. Durch Narben im Gesicht wird die Lößnigerin wohl dauerhaft entstellt sein.

Vorab hatte die Strafkammer eine audiovisuelle Vernehmung der Frau erwogen, bei der diese in einem Nebenraum gesessen hätte, Bild und Ton wären in den Gerichtssaal übertragen worden. Diese Ausnahme-Option ist in den Fällen vorgesehen, bei denen eine direkte Begegnung zwischen Opfer und Täter zu schwerwiegenden Nachteilen für die geschädigte Person führen würde.

Audiovisuelle Vernehmung abgelehnt

Gleichwohl gelten nach deutschem Prozessrecht die Grundsätze von Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit in einer Hauptverhandlung, andernfalls wäre laut Landgericht ein „absoluter Revisionsgrund“ gegeben: Ein so gravierender Verstoß gegen Verfahrensgrundsätze, dass faktisch kein Deutungsspielraum mehr vorhanden ist und ein Urteil quasi automatisch auf einer Rechtsverletzung fußt.

Die Kammer entschied, dass der anwaltlich vertretenen Ellen S. eine Vernehmung im Gerichtssaal zugemutet werden kann, die dann am Montag mit Pausen auch über mehrere Stunden stattfand. Der Angeklagte selbst hatte den äußeren Tatablauf ohnehin bereits gestanden, wies aber eine Tötungsabsicht ausdrücklich zurück.

Mit einem Urteil wird noch im März gerechnet.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar