Wenn es um die Kinderbetreuung geht, dann knistert es selbst bei Pressegesprächen, muss sich Sozialbürgermeister Thomas Fabian heftige Argumente aus dem Kreis der eingeladenen Journalistinnen und Journalisten anhören. Denn naturgemäß haben einige von ihnen erlebt, wie es ist, wenn man in Leipzig keinen Betreuungsplatz für den Knirps findet.

Ein Problem, das Leipzig seit Jahren begleitet. Und das sich verschärft hat. Denn als die Diskussion ungefähr 2004 begann, da ging es vor allem darum, einen Betreuungsplatz zu finden. Es waren noch genug da – aber sie lagen nicht dort, wo die jungen Stadtteile wuchsen. Und sie waren nicht leicht zu finden. Da sollte das Elternportal meinkitaplatz-leipzig.de helfen. Half aber nicht, denn die Vergabe erfolgt nach wie vor über die Träger. Und viele freie Träger spielten gar nicht erst mit. Erst recht, als sich aus den steigenden Geburtenzahlen in Leipzig tatsächlich binnen kurzer Zeit ein Mangel an verfügbaren Plätzen ergab.

Allein 25 neue Kindertagesstätten und 5.400 zusätzliche Betreuungsplätze sind seit 2007 entstanden. Trotzdem muss Thomas Fabian die Frage aushalten: Hat Leipzig nicht zu spät begonnen, auch in Kitas zu investieren? Die steigenden Geburtenzahlen waren doch bekannt. Seit dem Tiefpunkt 1995 haben sie sich verdoppelt. Damals gab’s gerade mal 2.620 Geburten in Leipzig, 2005 waren es wieder 4.370, 2010 dann 5.303, 2011 dann 5.602.

Irgendwo in der Preislage wird es auch 2012 herauskommen, vielleicht sogar leicht drüber. Doch es ist wie bei so vielen notwendigen Investitionen in Leipzig, die über Jahre dem Rotstift geopfert wurden, weil der Leipziger Haushalt tief in den Schulden steckte und das Geld für Investitionen vorn und hinten nicht reichte. Fast möchte man an dieser Stelle alle Artikel zur Leipziger Haushaltskonsolidierung aus den Jahren 2005 und 2006 verlinken. Wir packen einfach mal einen vom Oktober 2005 hierher, damit auch die Nachgeborenen so eine Ahnung kriegen, worum es damals beim Haushaltssicherungskonzept ging. Und warum die Stadt Leipzig nach dem großen Olympia-Bewerbungs-Feuerwerk, bei dem vor allem neue Straßen gebaut wurden (Stichwort: Jahnallee), fast nicht mehr handlungsfähig war und fast vier Jahre brauchte, um sich überhaupt wieder frei zu schwimmen.

Logische Folge: Der Investitionsstau, der auch damals bekannt und gigantisch war, wurde noch größer. Und der Oberbürgermeister Burkhard Jung, dem jetzt ein paar Leute immer wieder das Verschleppen von Investitionen vorwerfen, war froh wie ein Schneekönig, als er ab 2010 verkünden konnte, dass Leipzig wieder zunehmend Spielräume für Investitionen hatte. Seit 2012 nun konstant über der wichtigen Schwelle von 100 Millionen Euro. Denn so viel müsste Leipzig allein jedes Jahr investieren, um nicht weiter an Wert zu verlieren.

Tatsächlich muss es deutlich mehr investieren, um den gewaltigen Investitionsstau abzuarbeiten. In Schulen, Straßen, Brücken, Kulturbetriebe (ach ja, das actori-Gutachten …) – und in Kindertagesstätten. Dabei begann das Investitionsprogramm für Kindertagesstätten tatsächlich noch früher als das für Schulen. Der einzige Webfehler dabei: Das Sozialdezernat hatte nie wirklich Puffer drin, der auch Ausfälle kompensierte.

Das heißt: Wenn die geplanten Kindertagesstätten nicht im Planjahr fertig wurden, fehlten die Plätze.Deswegen hat das Sozialdezernat in diesen Jahren die Tagespflege als Hilfsmittel entdeckt und massiv hochgefahren. Über 2.000 Kinder werden mittlerweile in Tagespflege betreut.

Und nicht planbar war der weitere Anstieg der Geburtenzahlen. Dabei hatte sich das Sozialdezernat sogar auf die Prognosen aus dem eigenen Amt für Statistik und Wahlen verlassen – und die lagen jedes Mal deutlich höher als die aus dem Sächsischen Landesamt für Statistik. Die Landesstatistiker haben die Bevölkerungsentwicklung gerade in Leipzig über all die Jahre massiv unterschätzt.

Und jetzt darf man fragen, an welchen Zahlen sich die sächsische Landesregierung bei der Vergabe von Fördermitteln für den Kita-Ausbau über all die Jahre orientiert hat.

An denen des Landesamtes natürlich. Es hat tatsächlich bis 2012 gedauert, bis in den zuständigen Ministerien in Dresden das Alarmrufen aus Dresden und Leipzig erhört wurde und die Mittel für den Kita-Ausbau endlich aufgestockt wurden mit einem Sonderprogramm.

Was Leipzig in die Lage versetzt, 2013 “richtig Feuerwerk zu machen”, wie es Thomas Schmidt aus dem Jugendamt formuliert. Denn 2013 droht noch ein wichtiger Termin: der 1. August, ab dem alle Kinder zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz bekommen.

Seit 2009, seit dieser Rechtsanspruch in der Diskussion war, hat Leipzig auch den Ausbau der Krippenplätze forciert. “Damals wurde noch von einer Betreuungsquote von 35 Prozent ausgegangen”, sagt Fabian. “Da lagen wir schon weit drüber.” Aber er hat wohl das berechtigte Bauchgefühl, dass auch das bislang Erreichte nicht reichen wird. 70 Prozent sind das Ziel, 70,4 Prozent sogar mit Komma. 2009 war Leipzig bei 57,4 Prozent gestartet, liegt augenblicklich bei 68,6 Prozent.

Und es reicht nicht, obwohl das um Lichtjahre entfernt ist von den niedrigen Quoten in westdeutschen Städten. Aber der Grund ist in jeder Leipziger Einkommensstatistik nachlesbar: Es gibt praktisch kaum junge Haushalte, die auf den Doppelverdienst beider Elternteile verzichten können. Und dazu kommt die längst spürbare Nachfrage der Unternehmen, die noch vor wenigen Jahren jungen Müttern und Vätern meist sofort eine dankende Absage erteilten. Kinder passten nicht in die üblichen Arbeitsabläufe.

Künftig müssen sie passen. Und die klügeren Unternehmen haben ihr Haus längst auf Familienfreundlichkeit umgestellt, nehmen junge Eltern mit Kusshand und helfen auch bei der Kitaplatz-Suche. Und weil Leipzig die Gewerbesteuern natürlich dringend braucht – auch um wieder neue Kitas zu bauen -, wird 2013 richtig rangeklotzt, sollen 2.488 neue Betreuungsplätze entstehen, 324 davon in Kindertagesstätten, die 2012 nicht mehr fertig werden, 327 in Tagespflege und 1.099 in Modulbauweise.

Mehr dazu morgen an dieser Stelle.

www.meinkitaplatz-leipzig.de

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