Vicki Felthaus, Leipzigs Jugendbürgermeisterin, und Ulrich Hörning, der für die Verwaltung zuständige Bürgermeister, wissen, dass man als erwachsener Mensch – selbst dann, wenn man selber Kinder hat – nicht wirklich weiß, was in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen vor sich geht. Dabei ist unsere Medienwelt voller (Vor-)Urteile über die jungen Leute. Nicht anders, als es im alten Athen war, als die greisen Häupter über die Jugend lamentierten.

Und ein bisschen erschrecken durfte man schon, als die Stadt dann in Auswertung der Studie „Jugend in Leipzig“ meldete: „Das Lebensziel, später einmal selbst Kinder haben zu wollen, ist bei den Befragten enorm zurückgegangen: Nur noch 41 Prozent der Schülerinnen und Schüler erachten dies als wichtig an – ein Rückgang um 33 Prozentpunkte im Vergleich zu 2010.“

Aber der Blick in den Bericht zur Studie selbst zeigt, dass das in seiner Rigorosität so nicht stimmt. Auch weil die Befrager die Items, nach denen gefragt wurde, in all den Jahren immer wieder geändert haben – ein sicheres Zeichen dafür, dass selbst die Erwachsenen nicht wirklich wissen, worum es eigentlich geht. Denn wofür lebt man denn nun?

Leben genießen, aber ja keine Kinder?

Dass die Jugendlichen das Leben genießen wollen, ist nicht neu. Das steht bei jeder Befragung ganz oben und wird von den Autor/-innen des Berichts auch als positiv bewertet. Die jungen Leute, die da derzeit noch auf Leipziger Schulbänken sitzen, sind sehr sozial eingestellt.

Aber dann so eine Aussage: „Der bemerkenswerteste Bedeutungsverlust betrifft das Lebensziel Kinder haben. Mit dem diesjährigen Wert von 41 Prozent liegen die Befragten ganze 33 Prozentpunkte unter den Werten der Jugendstudie 2010.“

Zeitvergleich der abgefragten Lebensziele der jungen Leute 2010, 2015 und 2023. Grafik: Stadt Leipzig, Studie „Jugend in Leipzig“ 2023
Der Zeitvergleich der abgefragten Lebensziele der jungen Leute 2010, 2015 und 2023. Grafik: Stadt Leipzig, Studie „Jugend in Leipzig“ 2023

Die übrigens in dieser Form nicht belastbar ist, wenn man den kleingedruckten Hinweis zum Generationenvergleich sieht: „2015 anders abgefragt: eine Familie gründen, Kinder haben; es werden nur Items dargestellt, die in allen drei Jugendstudien erfragt wurden.“

Die Familie ist jetzt herausgefallen und nur noch die Frage nach den Kindern steht noch da. Aber das widerspricht jeder Lebenswirklichkeit. Zuerst gründet man mit einem Menschen, mit dem man das Leben meistern will, eine Familie. Und dann weiß man auch, ob man mit dem Menschen Kinder haben möchte.

Weshalb die hohen Werte von 2015 eben eher für Familie plus Kinder stehen und eben nicht nur für Kinder. Das macht einen gewaltigen Unterschied. Auch wenn die „Generation Greta“, wie sie der Bericht auch mal nennt, natürlich mit berechtigter Sorge an die Welt denkt, die dann auf ihre eigenen Kinder zukommen wird. Das dämpft die Freude an einer unbeschwerten Familienplanung schon gewaltig.

Die demotivierende Rolle der Erwachsenen

„Wie bereits herausgestellt, ist das Lebensziel, einmal Kinder zu bekommen, in einer sich im Umbruch befindlichen Welt und von multiplen Krisen geprägten Generation in Leipzig extrem gesunken“, formuliert es auch der Bericht.

„Dieser Befund trifft grundsätzlich auf beide Geschlechter zu. Betrachteten 2010 noch 78 Prozent der Mädchen und 69 Prozent der Jungen es als wichtig, einmal Kinder zu haben, sank dieser Wert in der aktuellen Leipziger Generation Z auf 40 Prozent bei den Mädchen bzw. 43 Prozent bei den Jungen ab. Der Rückgang ist bei den Mädchen folglich nochmals drastischer. Kein anderer erfragter Wert erlebte zwischen den Jugendstudien 2010 und 2023 einen derart gravierenden Bedeutungswandel, wobei dieser insbesondere in den letzten 7 Jahren (seit 2015) stattgefunden hat.“

Wobei der Kinderwunsch gar nicht so radikal verschwindet. Denn das Befragungsergebnis zeigt: Zusätzlich zu den 41 Prozent der Jugendlichen, für die eigene Kinder wichtig und sehr wichtig sind, gibt es einen Anteil von 34 Prozent, dem die Sache mit den Kindern „teils/teils“ etwas bedeutet (25 lehnen Kinder ab). Sie sind unschlüssig, was man nicht einmal nur auf die multiplen Krisen beziehen muss, die immer mehr in unseren Alltag drängen.

Es kann auch mit einer manifesten Kinderunfreundlichkeit einer ganzen Gesellschaft zu tun haben, die die jungen Menschen ja auch spüren und während Corona erst recht gespürt haben. Warum soll man Kinder in eine Gesellschaft setzen, in der es immerzu nur um Profit, Flexibilität, Erreichbarkeit, Karriere und Schuldenbremsen geht und der ganz normale Familienalltag für alle erlebbar immer schwieriger zu meistern ist, weil überall an den sozialen Infrastrukturen gekürzt und gestrichen wurde?

Wenn Erwachsene auf Freiheitsrechten herumtrampeln

Was man durchaus mit einem Fragekomplex verbinden kann, in dem es darum geht, wie sehr sich die jungen Leute mit ihrer Meinung respektiert fühlen. Ein eigentlich entlarvender Komplex, in dem auch deutlich wird, warum „Generation Greta“ sich auch in Umweltfragen demotiviert fühlt.

Denn was nützen alle auch medial wahrnehmbaren Proteste, wenn die Erwachsenen darauf nur mit Gleichgültigkeit, faulen Ausreden, Polizei und Gerichten reagieren? Was ja unter anderem dazu geführt hat, dass Deutschland im Civicus-Monitor 2023 zu Freiheitsrechten deutlich abgeschmiert ist. „Deutschland zeigt, dass Bürger in Demokratien nicht immun sind gegen die Erosion ihrer Rechte“, zitiert der „Spiegel“ Marianna Belalba Barreto, die Forschungsleiterin von Civicus.

Deutschland bekam im aktuellen Monitor nur noch 76 von 100 möglichen Punkten. „Deutschland war eines der freiesten Länder in Europa. Nun ist Deutschland Rudelführer im EU-weiten Schlag gegen Klimaaktivismus“, sagte Tara Petrovic, zuständig für den Monitor in Europa und Zentralasien laut „Spiegel“.

Die Erwachsenen tun ja gern so, als wären sie nicht schuld daran, wie sich Jugendliche fühlen und positionieren. Und gleichzeitig nutzen sie ihre Machtinstrumente, um junge Leute genau da einzuschüchtern, wo es um die Zukunftsvorstellungen der jungen Menschen geht. Ganz zu schweigen vom überhaupt nicht positiven Vorbild vieler Erwachsener, wenn es um umweltbewusstes Verhalten geht.

Was nicht ausschließt, dass sich junge Menschen da lieber dreimal überlegen, ob sie Kinder in so eine Welt setzen wollen, wo sich Erwachsene selbst im Angesicht der von ihnen verursachten Krisen verantwortungslos und rücksichtslos verhalten.

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