Manchmal darf man einfach verblüfft sein, weil eine Studie uns den Spiegel vorhält. Denn wir ach so Erwachsenen reden ja gern über die jungen Leute, bilden unsere Urteile und Vorurteile und manche von uns lieben es, mit dem Finger auf „die Jugend“ zu zeigen. Als wäre die so ganz anders als wir und würden sich auch anders benehmen. Das Erschreckende aber ist: Wir sehen dort eigentlich nur, was für ein miserables Vorbild wir „Erwachsenen“ sind.

Die neue Jugendstudie belegt es. Durchgeführt haben diese die renommierten Jugendforscher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann. Sie ist die Fortsetzung der 2010 von Schnetzer gestarteten Jugendstudie.In der neuesten Auswertung steht besonders das Verhältnis der jungen Menschen zur Klimakrise im Mittelpunkt. Ja, das ist die andere Krise, die jungen Menschen regelrecht die Zukunft verdüstert. Die einen demonstrieren bei Fridays For Future mit. Und die anderen scheinen einfach die Freuden der entfesselten Konsumgesellschaft mitzunehmen, oder?

Sorgen um die Zukunft

Immerhin 56 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren machen sich Sorgen über die Klimakrise. Doch die Bereitschaft, aktiv etwas an seinem Handeln zu ändern, ist gering. Dies sind die neusten Erkenntnisse der Trendstudie „Jugend in Deutschland“ von Jugendforscher Simon Schnetzer und Bildungsforscher Klaus Hurrelmann. Klingt, als wäre die Generation Greta Thunberg doch nicht so engagiert und grün wie bisher angenommen.

Warum das so ist und was die Jugendlichen brauchen, versucht die Psychologie-Professorin Dr. Sarah Seidl von der SRH Fernhochschule – The Mobile University zu erklären.

Kontrollverlust und Corona

Die Corona-Pandemie und der damit erlebte Kontrollverlust haben auch bei den Jugendlichen Spuren hinterlassen. So sind sie aktuell eingeschränkt, ihren Alltag und auch ihre Zukunft nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Dies prägt die Jugendlichen – auch im Hinblick auf die Klimakrise.

„Bei vielen Jugendlichen hat sich die Einstellung gebildet: ‚Ich kann daran jetzt auch nichts mehr ändern, warum sollte gerade ich mich einschränken?‘ Um Dinge anzupacken und zu gestalten, braucht es aber die Überzeugung, dass man selbst an der Situation etwas ändern kann. In der Psychologie wird das häufig als Selbstwirksamkeitserwartung bezeichnet. In der Pandemie haben die Jugendlichen aber genau gegenteilige Erfahrungen gemacht: Die Mehrheit zeigte sich zu Beginn der Pandemie solidarisch, hielt sich an die Schutzmaßnahmen und Einschränkungen und trotzdem dominiert die Pandemie weiterhin ihren Alltag“, erklärt Prof. Dr. Sarah Seidl.

Und es waren Erwachsene, die mit ihren Querdenker-Demos und der Impfverweigerung die Solidarität aufkündigten. Medienwirksam und laut. Und vor allem mit Effekt auf die Pandemie-Politik, die seitdem nur noch ein einziges Herumeiern ist. Was gleich zum nächsten Punkt führt.

Der Wunsch nach Orientierung

Denn das erklärt auch den Wunsch, dass die Jugendlichen sich mehr Vorgaben aus der Politik wünschen.

„Regeln bevormunden eben nicht nur, sondern sie geben uns auch Orientierung und machen die Dringlichkeit deutlich. Sonst entsteht schnell das Bild: Solange die Politik nichts macht, wird es schon nicht so schlimm sein. Wenn es sich die Politik erlauben kann, passiv zu sein, dann muss man selbst ja auch nichts ändern“, erklärt die Psychologin.

Im Pandemieverlauf konnte sehr gut beobachtet werden, wie wichtig die Vorgaben für die Orientierung sind. Was erlaubt ist, wird gemacht. Unabhängig davon, ob es auch sinnvoll für das Pandemiegeschehen ist.

Daher sieht Prof. Dr. Sarah Seidl die Politik in der Verantwortung: „Durch die politische Veränderung der Verhältnisse, zum Beispiel durch den Ausbau des ÖPNV in ländlichen Gebieten, würde sich auch eher das Verhalten, nämlich auf das Auto zu verzichten, verändern können und dann würden sicherlich mehr als 19 Prozent angeben, dass sie bereit sind, auf das Auto dauerhaft zu verzichten.“

Wo sind die Vorbilder?

Doch nicht nur die Politik ist in der Verantwortung. Es fängt schon im familiären Bereich an. Denn nur weil wir wissen, was sinnvoll, gesund oder gut für uns wäre, setzen wir das dennoch in vielen Fällen nicht unbedingt um.

„Wir bewegen uns zu wenig, wir essen zu fettig und zu süß, achten nicht auf ausreichend Entspannung oder Schlaf. Wir erwarten gerade in Bezug auf klimafreundliches Verhalten etwas von den Jugendlichen, was wir selbst leisten müssten. Es ist bekannt, wie stark das Lernen am Modell, also an Vorbildern, unser Handeln bestimmt. Und da darf man schon auch kritisch fragen: Wo sind diese Vorbilder für die Jugendlichen?“, so Prof. Seidl.

Die Studie zeige nochmals deutlich, dass das Thema Klimakrise als dringlichstes und wichtigstes Ziel der Jugendlichen eingestuft wird, dass es aber eben einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bedarf, diesem zu begegnen.

„Das eigene Nichtaktivwerden hinter der scheinbaren Wohlstandsträgkeit der Jugend zu verstecken, ist zwar bequem, aber wird den Jugendlichen und ihren Themen nicht gerecht“, so das Fazit der Psychologieprofessorin.

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