Manchmal landen auch seltsame Bücher in unserem Postkasten. Solche wie dieses hier aus der Abteilung „Besser arbeiten mit den richtigen Methoden“. Davon gibt es ja ganze Bibliotheken, die gerade deshalb entstehen, weil sich der Wettbewerb um die hochbezahlten Jobs immer mehr verschärft und eine Menge Leute glauben, sie könnten da nur mithalten, wenn sie noch leistungsfähiger, noch effizienter und zielorientierter arbeiten. Da kommt nur halt meistens Blödsinn bei raus.

Nicht nur Bullshit als Arbeitsergebnis, sondern eine völlig überdrehte Wirtschaft, die ihren eigentlichen Zweck, nämlich die Welt mit sinnvollen Produkten zu beliefern, immer mehr verfehlt. Die „Mehrleister“ sind eigentlich das Problem einer Gesellschaft, die immer mehr Ressourcen verschwendet, um ein völlig sinnentleertes Wachstum zu erzeugen.

Aber darum geht es dem Produktivitätsberater Graham Allcott eher nicht, auch wenn er die Unternehmen kennt, die so arbeiten und ihr Marketing mit lauter Sprechblasen aufhübschen, die auch nach außen hin suggerieren, dass dieser Laden rücksichtslos auf Effizienz getrimmt ist.

Normalerweise kĂĽndigt man da, wenn einem sein Leben lieb ist.

Oder man entwickelt Strategien, um die eigene Arbeit so zu organisieren, dass sie vielleicht doch wieder Spaß macht. Denn manchmal ist das Unternehmen einfach nur bekloppt, weil alle – auch die Führungskräfte – in dem Laden falsch, unorganisiert und stets gestresst arbeiten.

Was eben fast nichts mit den Zielen und den Produkten des Unternehmens zu tun hat, sondern mit falscher (Selbst-)Organisation. Man verplempert die wertvolle Zeit in endlosen Meeting, die E-Mail-Fächer laufen über, Absprachen werden nicht eingehalten und lauter unwichtige Pillepalle-Projekte halten die Leute davon ab, die wirklich wichtigen anzupacken und umzusetzen.

Zehn Jahre Ninja-Erfahrung

Vor zehn Jahren hat Allcott die Vorgängerversion dieses Buches veröffentlicht und seither mit seiner Firma Think Productive weitere Erfahrungen im realen (englischen) Leben sammeln können. Aber die Phänomene kennt so mancher auch aus deutschen Unternehmen. Sie tauchen fast automatisch in der schönen neuen Büro-Arbeitswelt auf, wo die neuen, wissensbasierten Jobs entstehen und eigentlich ein freier, gut fokussierter Kopf das Wichtigste ist.

Deswegen geht es Allcott auch weniger um Arbeitsorganisation, Gehirn-Tuning, Leistungs-Booster oder „besseres Zeit-Management“. Denn er weiß auch aus eigener Erfahrung: Es geht nicht um Zeit, nicht um To-do-Listen, nicht um „noch mehr schaffen in noch weniger Zeit“. Sondern darum, den eigenen Körper zu begreifen und die ganz normale Schizophrenie des heutigen Arbeitsalltags, der so gern mit „flexibel“ und „selbstorganisiert“ beschrieben wird.

Aber tatsächlich etwas ist, was es so in der Wirtschaftsgeschichte nicht gab: Der moderne Büromensch ist eben nicht nur der fleißige Arbeiter, der – wie Allcott genussvoll erzählt – in der Tortenfabrik Kirschen auf den fertigen Torten platziert und nach Arbeitsschluss nicht mehr an Torten denken muss, weil er seine Arbeit in der Fabrik zurücklassen kann. Er ist auch gleichzeitig sein eigener Chef, was mit in dem Wörtchen „selbstorganisiert“ benannt ist.

Das ist die Krux der Kopfarbeit: Man kann nicht einfach gedankenlos abarbeiten. Man muss sich die Arbeit selbst organisieren, Strukturen schaffen, Prioritäten setzen. Was ist wichtig? Wozu braucht man höchste Konzentration? Wann darf es keine Störungen geben? Wann braucht es Absprachen und Konferenzen und mit wem?

Schöne neue Arbeitswelt.

Unser Reptiliengehirn

Und immer wieder findet Alcot Firmen vor, in denen so eine Arbeit nur schlecht möglich ist. Firmen, die noch nicht gelernt haben, dass sich das Reptiliengehirn in unserem Kopf gegen solche Zumutungen wehrt. Denn dazu ist es evolutionär gar nicht geschaffen. Und natürlich wehrt es sich – mit Müdigkeit, Angst, Panik, Unlust. Der so gehypte Begriff Prokrastination feiert ja nicht ohne Grund derzeit seine Hochzeit.

Weil Millionen Kopfarbeiter genau das erleben – sich fürchten vor der Unüberschaubarkeit des nächsten Projekts, einer ungeliebten Aufgabe, der ganzen Mühe, die das Reptiliengehirn natürlich interpretiert als Gefahr. Also lieber aufschieben, sich ablenken, irgendwas anderes tun.

Ein Problem, das sich mit dem Aufkommen der Smartphones noch verschärft hat, denn die Entwickler dieser Geräte haben allen Gehirnschmalz darauf verwendet, ihre Besitzer süchtig zu machen nach diesen Dingen und ihren Ablenkungs- und Zeit-Vertrödelungs-Angeboten. Was so nebenbei die viel zitierte Informationsüberflutung ergibt, in der sich die Menschen erst recht hilflos fühlen und erst recht nach Ablenkungen suchen.

Nur kann Allcott aus seiner Beratungserfahrung und auch aus eigener Erfahrung feststellen: Der größte Teil der Arbeit wird außerhalb der digitalen Maschinen erledigt. Immernoch. Und das wird sich auch nicht ändern. Sein Ratgeberbuch ist gespickt mit Zitaten berühmter Leute, die gelernt haben, dass man für gute Arbeit, Kreativität und gute Ideen Ruhe braucht, Räume ohne Ablenkung und Zeiten, in denen das Gehirn auf Höchstleistung arbeiten kann, ohne dass man dabei gestört wird.

Solche Stunden hat jeder nur ein paar wenige am Tag. Das hängt mit unserem Lebens- und Tagesrhythmus zusammen. Und das lässt sich auch mit Energy-Drinks oder Drogen nicht ändern. Weshalb sich jeder, der zu einem guten und erfüllenden Arbeiten kommen möchte, die von Allcott beschriebenen Ninja-Eigenschaften zulegen müsste. Tatsächlich müsste.

Denn nur so verhindert man am Ende, dass die Arbeit nicht nur die eigene Gesundheit auffrisst, sondern auch noch den Rest des Lebens. Man schleppt ja die Arbeit (im Kopf) nicht mit nach Hause, weil sie so spannend ist, sondern weil immer mehr Menschen nach Feierabend das Gefühl nicht loswerden, nichts geschafft zu haben, die wichtigsten Aufgaben nicht erledigt zu haben und morgen wieder vor einem Berg unerledigter Aufgaben zu stehen, bei dem sie nicht wissen, wie sie ihn je abarbeiten können.

Lernen bei Balzac

Das schafft man tatsächlich nur, wenn man aufhört, sich wie ein angepasster Angestellter zu benehmen. Man muss sich – wie Allcott es nennt – „Raum schaffen für das, was wirklich zählt“. Dazu muss man ein wenig wissen, wie produktiv das eigene Gehirn im Lauf des Tages ist, wann also die wirklich guten Stunden sind, in denen man hochkonzentriert arbeiten kann. Und was die weniger leistungsfähigen, wo man dann lieber Daten sammelt, das E-Mail-Fach aufräumt, Gespräche führt und sich die Arbeit organisiert. Wozu auch die Fähigkeit gehört, sich abzuschotten.

Etwas, was die großen Autoren der Literaturgeschichte alle kannten. Denn sie haben schon immer so arbeiten müssen: selbstorganisiert. Niemand konnte ihnen sagen, was sie wann zu schreiben hatten. Und vor allem wie. Das berühmte Beispiel Honoré de Balzac nennt Allcott natürlich, auch wenn die Riesenmengen an Kaffee, die Balzac sich kochte, um seine Romane binnen wenige Tage hochkonzentriert herunterzuschreiben, nicht nur für den Autor der „Menschlichen Komödie“ am Ende tödlich waren.

Aber Balzac ist ein gutes Beispiel, wenn man zeigen will, worum es beim hochkonzentrierten Arbeiten tatsächlich geht. (Was dabei herauskam, kann heute jeder in den Romanen seiner „Menschlichen Komödie“ nachlesen). Im heutigen Denglisch wird das meistens „der Flow“ genannt. Und wer das bei seiner Arbeit schon mal erlebt hat, weiß, wie leicht es in so einer hochfokussierten Phase fällt, eine Arbeit fertigzubekommen und dabei auch noch Freude zu haben. Denn das Gefühl, dass „es läuft“ ist ganz allein schon ein Geschenk. Und in der Regel ist das fertige Produkt dann auch richtig gut, obwohl man in der Zeit gar nicht das Gefühl hatte, besonders große Kontrolle ausgeübt zu haben. Der Kopf schaltet quasi auf Arbeitsmodus und zieht die Sache regelrecht im Selbstlauf durch.

Bitte nicht stören!

Nur kann man so etwas nicht zu jeder beliebigen Tageszeit und auch nicht unter beliebigen Bürobedingungen. Weshalb selbst Allcott, wie er schreibt, immer dann, wenn er wirklich an einem Projekt arbeiten möchte, aus dem Büro flieht und lieber im Café arbeitet. Büros sind in der Regel Tummelplätze chaotischer Störungen. Und da braucht man wirklich Ninja-Eigenschaften, um sich diese Störungen vom Hals zu halten und sich seinen Arbeitstag so einzurichten, dass die Phasen der guten Arbeit geschützt sind.

Was die anderen Teile der Selbstorganisation nicht überflüssig macht. Sie müssen nur an der richtigen Stelle im Tagesablauf stehen. Da, wo unser Gehirn doch lieber etwas ruhiger tritt und ganz froh ist, wenn wir da einfach Routine-Tätigkeiten ansetzen, das E-Mail-Fach ausmisten und die Aufgaben und Termine herausfiltern, die wirklich wichtig sind. Die werden eingetaktet. Und dann – E-Mail-Fach aus, Handy aus, Telefon aus. Denn da draußen sind lauter Leute mit Prokrastination beschäftigt, denen nichts Besseres einfällt, als anderen Leuten mit Telefonanrufen, Tweets und Mails auf den Keks zu gehen, weil sie glauben, damit Arbeit vortäuschen zu können.

Man glaubt es zwar nicht, dass so ein Ratgeberbuch – auch noch mit Ninjas drin – mit der eigenen Arbeit zu tun haben könnte. Aber ganz offensichtlich reagieren die meisten Menschen in der Welt der modernen Schreibtisch-Jobs genau so, wie es Allcott beschreibt. Sie schaffen sich, weil sie die Bedürfnisse ihres eigenen Reptiliengehirns nicht mal kennen oder wahrnehmen, selbst Druck, Stress und Überforderung, schaffen ihre Projekte nicht, stecken in Meetings fest, in denen sie nur Garnitur für Vielredner an der Stirnseite sind, und erleben so einen Arbeitsalltag, der mit Widerwillen beginnt und heilloser Verzagtheit endet.

Und die Kunden draußen wundern sich, warum ihre Aufträge nie fertig werden und sie beim Anruf immer nur ratlose und überforderte Angestellte an die Strippe bekommen. Was natürlich eine Frage der Organisation ist. Oder noch besser, wie Allcott erklärt, nachdem er die ganzen Ratgeber zum Zeitmanagement für überflüssig erklärt hat: eine Frage der Aufmerksamkeit.

Unser rarstes Gut

Denn nicht Zeit ist unser rarstes Gut, wie Allcott fetstellt, sondern Aufmerksamkeit. Genau die Ware, an welche die großen „Social Media“-Konzerne heranwollen, die ihre Geräte und Algorithmen genau so gebaut haben, dass die Nutzer möglichst viel Aufmerksamkeit nur diesen kleinen, plappernden Geräten widmen. Denn Aufmerksamkeit ist (Werbe-)Geld. Nur bekommt der Nutzer für seine Aufmerksamkeit nichts, während sich diese modernen Tabak-Konzerne (weil sie genauso Sucht erzeugen, um zu profitieren) damit dumm und dämlich verdienen.

Aber genau dieses wertvolle Gut brauchen wir, um uns in unserer Arbeit glĂĽcklich zu fĂĽhlen. Denn die Belohnung entsteht im Gehirn. Das weiĂź jeder, der es schafft, seinen Arbeitsalltag so zu organisieren, dass er alles, was er sich vornimmt, auch schafft. Auch dafĂĽr gibt es die kleinen Belohnungen im Gehirn, diesen stillen kleinen Stolz, wenn man hinter einer wirklich herausfordernden Aufgabe ein Kreuz setzen kann. Luft holen kann, einen Kaffee trinkt, einen Spaziergang macht. Und weiĂź, dass man auch noch das restliche Pensum locker schafft.

Die Krux mit den alten Gewohnheiten

Allcott hat das Buch auch mit etlichen Übungsaufgaben gespickt.Und er erläutert jeden einzelnen Schritt wieder und wieder, weil er auch aus eigener Erfahrung weiß, dass das Schwerste am Anfang überhaupt erst einmal die Umstellung der Gewohnheiten ist.

Denn am liebsten blieben wir ja alle immer im selben Trott. Würden möglichst nichts ändern. Sträuben uns sogar dann, wenn wir so langsam unter den unerledigten Aufgaben ersaufen. Deswegen muss man es einüben. Wie eine neue Sprache. Sehr bewusst und anfangs natürlich auch mit To-do-Listen, damit man die Abläufe verinnerlicht.

Die dann irgendwann selbstverständlich werden, bis man dann das Mail-Fach ganz von allein jeden Morgen sortiert und ausmistet, das Wichtigste eintaktet und im Grunde tabula rasa macht, bis man dann die stärksten Stunden gleich mal dem härtesten Brocken unter den Aufgaben widmet, den man dann mit höchster Leistungsfähigkeit abarbeitet.

Natürlich erhöht das am Ende die Produktivität, egal, ob man kleiner Angestellter oder Chef ist oder beides. Aber man tut es für sich, schafft sich die Freiräume in der Arbeit, die auch der Kopf zum Regenerieren braucht. Und vor allem das Gefühl, wegen dem man eben auch zur Arbeit geht: Dinge tatsächlich zu schaffen und gut zu machen. Dinge, auf die man dann berechtigt stolz sein kann.

Weil es darum letztlich geht, wie auch Graham Allcott feststellt: Dass man die Tage seines Lebens eben doch lieber mit einer Arbeit füllt, die einen bereichert, befriedigt und stolz macht. Wenn man das selbst mit den von Allcott formulierten Ninja-Fähigkeiten nicht schafft, sollte man wirklich kündigen und sich nach einer Firma umsehen, in der wirklich kluge Köpfchen gesucht werden.

Graham Allcott „Werde zum Produktivitätsninja“ Cosoc Grand Palace, London 2023, 24,90 Euro.

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