Es läuft gewaltig etwas schief in unserer Gesellschaft. Und das hat eine Menge mit falschem Denken über Kinder und Familien zu tun. Mit Gier und Geiz sowieso. Denn wenn eine (alte) Gesellschaft derart die Zukunft verfeuert und das Gründen von Familien immer mehr erschwert, dann macht das nicht nur die jungen Menschen wütend und ratlos. Dann hat das auch Folgen, die so unbarmherzig zuschlagen, dass eigentlich alle politisch Verantwortlichen erschrecken müssten.

Als Ergebnis der Befragung „Jugend in Leipzig 2023“ hatte schon Jugendbürgermeisterin Vicki Felthaus darauf hingewiesen, dass der Wunsch der befragten 12- bis 24-jährigen, einmal Kinder haben zu wollen, in den letzten Jahren regelrecht in den Keller gerauscht ist.

Der Bericht „Jugend in Leipzig“ sieht die Gründe für den dramatisch gesunkenen Kinderwunsch in den äußeren Krisen, die die befragten jungen Menschen natürlich nicht unbeeindruckt lassen: „Wie bereits herausgestellt, ist das Lebensziel, einmal Kinder zu bekommen, in einer sich im Umbruch befindlichen Welt und von multiplen Krisen geprägten Generation in Leipzig extrem gesunken: Dieser Befund trifft grundsätzlich auf beide Geschlechter. Betrachteten 2010 noch 78 Prozent der Mädchen und 69 Prozent der Jungen es als wichtig, einmal Kinder zu haben, sank dieser Wert in der aktuellen Leipziger Generation Z auf 40 Prozent bei den Mädchen bzw. 43 Prozent bei den Jungen ab.

Der Rückgang ist bei den Mädchen folglich nochmals drastischer. Kein anderer erfragter Wert erlebte zwischen den Jugendstudien 2010 und 2023 einen derart gravierenden Bedeutungswandel, wobei dieser insbesondere in den letzten 7 Jahren (seit 2015) stattgefunden hat.“

Fleißig sein und Kinder kriegen?

Die Studienergebnisse wurden im Dezember vorgestellt. Und als hätte es nur noch einer Bestätigung bedurft, meldete die Stadt dann zum Jahresbeginn für das Jahr 2023 einen mehr als deutlichen Geburtenrückgang in Leipzig: Waren 2022 noch 5.862 Kinder geboren worden, so registrierte die Stadt für 2023 nur noch 4.900 Geburten.

Aber es gibt auch einen Satz in der Jugendstudie, der aufmerken lässt – gerade weil er so selbstverständlich klingt: „Interessant ist, dass der Wert beruflich erfolgreich zu sein, nicht dem Wert Kinder zu haben auf räumlicher Ebene entgegensteht. Eher sind es vergleichbare Stadträume, in denen sowohl beruflicher Erfolg, als auch Kinder zu haben, vergleichsweise höhere Werte annehmen. Eine Leistungsorientierung zielt somit auf berufliche und familiäre Lebensziele ab.“

Lebensziele de befragten Jugendlichen – männlich und weiblich. Grafik: Stadt Leipzig, Jugend in Leipzig 2023
Die Lebensziele de befragten Jugendlichen – männlich und weiblich. Grafik: Stadt Leipzig, Jugend in Leipzig 2023

Wobei die Befragungsergebnisse viel eher zeigen, dass beides immer mehr auseinander klafft. Während der Wunsch, beruflich erfolgreich zu sein, seit 2010 von einem hohen Niveau aus sogar noch weiter angestiegen ist (bei Jungen von 76 auf 83 Prozent und bei Mädchen von 70 auf 81 Prozent), ist der Wunsch, Kinder zu haben, bei beiden Geschlechtern dramatisch gesunken (bei Jungen von 69 auf 43 Prozent und bei Mädchen von 78 auf 40 Prozent).

Das erzählt von einer letztlich gnadenlosen Berufswelt, in der schon die jungen Menschen wissen, dass eine berufliche Karriere immer schwerer mit der Gründung einer Familie vereinbar ist. Da helfen auch alle städtischen Investitionen in Kitas und Schulen nicht, denn sie verändern die rabiat gewordene Berufswelt nicht.

Und auch nicht die Erwartungen diverser „Arbeitgeber“ an die Einsatzbereitschaft ihrer jungen Arbeitskräfte. Was in den vergangenen Jahren schon dazu führte, dass das Erstgebärendenalter der Frauen immer weiter anstieg und inzwischen bei über 30 Jahren liegt.

Die Abwehrmentalität einer alt gewordenen Gesellschaft

Nun gibt es den nächsten Sprung, bei dem die Vorstellung, man könnte ein erfülltes Leben mit Kindern (und Enkeln) leben, keinen Platz mehr in den Lebenswünschen der jungen Menschen hat.

Das hat auch mit den nur zu berechtigten Ängsten (Stichwort: Klimawandel) zu tun. Aber auch mit einer auch in dieser Studie sichtbar werdenden Frustration der jungen Menschen im Angesicht einer bornierten Gesellschaft, der die Wünsche der jungen Menschen unübersehbar egal sind.

Nicht grundlos äußern nach wie vor zwei Drittel der jungen Leute ein Mitspracherecht in Staat und Gesellschaft. Aber erfüllt wird es nicht. Dafür sorgen schon die viel stärkeren Geburtenjahrgänge der Älteren und Alten, die ihre Themen setzen und ihre alten Gewohnheiten verteidigen.

Und das hat Folgen. Nicht nur, dass sich die jungen Menschen immer stärker politisieren – der Wunsch zum politischen Engagement stieg seit 2010 von 22 auf 30 Prozent. Ein kleiner Teil radikalisiert sich auch, weil ganz offensichtlich die gesetzlichen Rahmenbedingungen auch dafür sorgen, dass sich nichts zum Besseren verändert. Das wird im abgefragten Topos „Gesetz und Ordnung respektieren“ deutlich. Diese Akzeptanz sank von 83 auf 72 Prozent.

Warum genau, das wurde in der Studie natürlich nicht abgefragt. Die Autor/-innen des Reports geben auch ihre ganze Ratlosigkeit zu: „Die Leipziger Jugend erlebt einen Bedeutungsverlust von Gesetz und Ordnung bei gleichzeitiger Zunahme des Bedürfnisses nach mehr politischem Engagement und Mitspracherecht in Staat und Gesellschaft. Während das steigende politische Engagement auch in aktuellen deutschlandweiten Jugendstudien der Generation Z zugeschrieben werden, scheint der Bedeutungsverlust von Gesetz und Ordnung eine Leipziger Besonderheit zu sein.

Medial wird der Generation Z in einer sich im Umbruch befindlichen Welt dagegen ein Streben nach Sicherheit, Struktur und Ordnung zugeschrieben (Wirtschaftswoche, 2019).“

Ein Passus, der nicht zufällig mit dem Seufzer abschließt: „Immanent ist der Bedeutungsverlust für Familiengründungen.“

Das Bild von der „heilen Familie“, das einige Parteien immer wieder malen, hat sich ganz offensichtlich für viele junge Menschen als Trugbild herausgestellt. Sie erleben stattdessen Eltern im Berufsstress, permanente Sorgen um Geld, Zeit und selbst Wohnraum, denn seit Jahren ist das Fehlen familiengerechter Wohnungen in Leipzig ein Thema – es werden nur nicht genug gebaut. Und die gebaut werden, sind für junge Familien meist nicht bezahlbar.

Natürlich bekommen das auch die Jugendlichen mit. Ihr Denken und Wünschen ist ein direktes Ergebnis einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die gern ihr sonniges Werbe-Grinsen aufsetzt, in der Realität aber Bedingungen schafft, die jedem jungen Menschen signalisieren: Kinder sind in dieser Welt unerwünscht. Verkneif dir den Wunsch.

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