Am 10. Mai war der Tag des freien Buches. In der Vorwoche traf sich das deutsche P.E.N.-Zentrum zu seiner Jahrestagung. Mit dem Präsidenten des deutschen P.E.N.-Clubs, Johano Strasser, sprach L-IZ über die Verteidigung der Menschenrechte, den gebürtigen Leipziger Axel Eggebrecht und die Thesen von Thilo Sarrazin.

Herr Strasser, in diesen Tagen traf sich das deutsche P.E.N.-Zentrum in Ingolstadt zu seiner Jahrestagung. Schimmer von Hoffnung stünden neben den Bildern zynischer Unterdrückung, mahnen Sie. Welche Themen sind aus Sicht das P.E.N. die am meisten drängenden?

Der Internationale P.E.N., zu dem auch das P.E.N.-Zentrum Deutschland gehört, ist die älteste Nichtregierungsorganisation der Welt. Unsere Charta verpflichtet uns, jederzeit für verfolgte Schriftsteller einzutreten und die Menschenrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit, zu verteidigen. Darüber hinaus ist es unsere Aufgabe, das Ansehen der Literatur zu fördern und dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für eine lebendige Kultur in unserem Land und in Europa, zuweilen sogar – siehe Google-Settlement! – weltweit gesichert werden.

Vordringlich erscheint uns zur Zeit der Kampf um die Sicherung der Meinungs- und Kunstfreiheit in China, die Unterstützung der Demokratiebewegung im Maghreb und in der arabischen Welt, aber auch die Verteidigung der Menschenrechte in einem Land wie Weißrussland, das im Augenblick nicht im Fokus der Medien steht. Was die Situation in Deutschland angeht, so machen wir uns große Sorgen um die aufwallende Ausländerfeindlichkeit, insbesondere die pauschale Dämonisierung der Muslime, und über die staatlich und privat ständig vorangetriebene Datenspeicherung, die nach unserer Meinung eine ernsthafte Bedrohung der Menschenrechte darstellt.Wie politisch kann und soll ein Schriftsteller vor diesem Hintergrund sein?

Wer sich für die Menschenrechte engagiert, ist damit schon politisch. Er macht sich machthungrige Politiker und Konzernchefs zum Gegner, er muss sich mit blutigen Diktatoren und gedankenlosen Vollstreckern anlegen. Schriftsteller machen das in aller Regel nicht aus lauter Lust am Politisieren, sondern weil sie auch Citoyens sind, Bürger ihres Staates, Bürger der EU und in einem gewissen Maße immer auch Weltbürger.

Wer sich aus den Konflikten unserer Zeit heraushält, muss wissen, dass er viele Kollegen in China, Saudi-Arabien, Kuba, Iran, Weißrussland et cetera, et cetera im Stich lässt. In Deutschland wäre eine solch unsolidarische Haltung unter Schriftstellern besonders schäbig, weil wir alle wissen, dass Tausende deutsche Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler während der Nazi-Herrschaft auf die Solidarität ihrer Kollegen in Großbritannien, USA, Mexiko, Australien, der Türkei angewiesen waren.

Wo immer es um Grundfragen der Demokratie, um Bürger- und Menschenrechte geht, sind die im P.E.N. organisierten Autoren zuständig. Wir äußern uns nicht zu allem und jedem, was sonst auch noch politisch zu diskutieren ist. Was wir vor allem nicht wollen, ist Parteipolitik im Sinne eines engen Organisationsegoismus.

Sie engagieren sich seit Jahrzehnten in der Grundwertekommission der SPD. Die Partei hat gerade das Ausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin eingestellt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?Ich war von Anfang gegen ein Ausschlussverfahren, weil ich der Meinung war und bin, dass es die notwendige inhaltliche Auseinandersetzung eher behindert als fördert. Ich habe mich – nachzulesen auf der Website von P.E.N. Germany – in aller Deutlichkeit gegen den demokratiefeindlichen und rassistischen Kern von Sarrazins Aussagen ausgesprochen. In der Grundwerte-Kommission werden wir uns mit dem Thema inhaltlich befassen. Ein Papier dazu wird bald veröffentlicht werden. Zur Farce um das Ausschlussverfahren nur soviel: Viel dümmer hätte man sich nicht anstellen können.

In der langen Reihe der Persönlichkeiten an der Spitze des deutschen P.E.N.-Zentrums findet sich mit Axel Eggebrecht ein gebürtiger Leipziger. Er war 1972 Vizepräsident. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Wirken des vielseitigen Autoren und engagierten Journalisten?

Ich habe Axel Eggebrecht gut gekannt, habe mit ihm zusammen in vielen Kontroversen, die die Bundesrepublik erschütterten, Seite an Seite gekämpft.

Er war wie ich ein demokratischer Sozialist, ein Aufklärer, der unerschütterlich daran glaubte, dass die Wahrheit progressiv ist und dass es deshalb grundfalsch ist, mit Tricks und Täuschung eine Verbesserung der Verhältnisse auf den Weg bringen zu wollen. Er hat immer mal wieder in der politisch-literarischen Zeitschrift L’80, die ich zusammen mit Heinrich Böll, Günter Grass, Carola Stern und Tomas Kosta herausgegeben habe und in der alle bedeutenden Dissidenten des Ostblocks schrieben, publiziert. Er gehört in meinen Augen zu den wenigen Publizisten und Journalisten, die ihre öffentliche demokratische Rolle beispielhaft erfüllten. Heute könnten wir einen wie ihn dringend gebrauchen.

Die Stadt Leipzig beschloss Anfang 2010 die Benennung einer Straße nach Axel Eggebrecht. Nun, kurz vor seinem 20. Todestag, will Eggebrechts Geburtsstadt diese Entscheidung wieder rückgängig machen. Was bewegt Sie in Kenntnis dieser Absicht?

Ich würde mich freuen, wenn ich bei meinem nächsten Besuch in Leipzig ein Straßenschild mit Axel Eggebrechts Namen vorfände. Die Buchmessestadt Leipzig würde eine nach ihm genannte Straße zieren.

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