Am 22. Mai 2013, dem 200. Geburtstag Richard Wagners, wird in Leipzig ein Denkmal für den Komponisten errichtet werden. In einem Künstlerwettbewerb war der Entwurf des Bildhauers Stephan Balkenhol von einer Jury mit dem ersten Platz gekürt worden. Eine besondere Herausforderung lag bei dieser Auftragsarbeit darin, den über einhundert Jahre alten Entwurf eines anderen Künstlers in das Denkmal zu integrieren und gleichzeitig einen Gesamtentwurf für die Zukunft zu gestalten.

Derzeit arbeitet Balkenhol in seinem Kasseler Atelier an der Umsetzung seines Entwurfs. Richard Wagner wird darin als junger Mann in Lebensgröße vor seinem übergroßen Schatten dargestellt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es bereits einen Versuch, ein Wagner?Denkmal zu schaffen. Durch die Wirrungen des Ersten Weltkrieges und den Tod des mit dem Entwurf betrauten Künstlers Max Klinger im Jahr 1920 blieb das Werk allerdings unvollendet.

Umgesetzt wurde einzig dessen weißer Marmorsockel, der nun die Grundlage für die neue Skulptur bildet: Vor einer vier Meter hohen Silhouette des alten Wagner stellt Balkenhol Wagner in Lebensgröße dar. Und zwar als jungen Menschen, der er zu seiner Leipziger Zeit war.

“Ich zeige Richard Wagner noch unverklärt durch Ruhm und Anerkennung: unternehmungslustig, menschlich und nahbar”, sagt Balkenhol über seinen Entwurf. Wagners menschliches Maß stehe nicht nur im Spannungsverhältnis zu dem alten Meister, dem übermenschlichen Genie, zu dem er in der allgemeinen Wahrnehmung erstarrt zu sein scheint, sondern auch im Kontrast zu einem überdimensionierten Schatten.”Wenn der Komponist aus der flachen Überhöhung herausgeholt und plastisch wird, wird der Betrachter sich neu mit ihm befassen können”, so Balkenhol. Distanziert sich der Bildhauer damit zunächst von Klingers Entwurf, der Wagner überhöht und monumentalisiert, so paraphrasiert der hohe Schatten den Entwurf Klingers, da der Schattenriss der Silhouette des Klingerschen Wagners in Form und Ausmaßen nachempfunden ist.

Die Interpretation: Weder lässt sich der übergroße Schatten Wagners von seinem Schattenspender trennen, noch lassen sich Person und Werk Wagners voneinander trennen. Schatten und Werk sind von der Person selbst verschieden, haben sie doch weitreichende und überzeitliche Dimensionen. Wagners Kompositionen sowie seine Vision von einem Gesamtkunstwerk wachsen über seine Person hinaus. Sie überschreiten das individuelle menschliche Maß und verselbstständigen sich im positiven wie im negativen Sinne. Fest steht: Für diesen Schatten bedarf es des Menschen Wagner. Er ist Ursprung und Impulsgeber.Die Rezeption Wagners wandele sich mit der Zeit, und dieser Zeitfaktor werde in einer Arbeit thematisiert, so Balkenhol: “Das Verhältnis Mensch/Künstler, Vergänglichkeit/Zeitlosigkeit wird immer neu ausgelotet. Mein Entwurf verdeutlicht die Geschichtlichkeit des Blickes auf Wagner und entwirft gleichzeitig ein Bild vom Wesen visionärer künstlerischer Produktion: Der Künstler, das Genie, wirft seinen Schatten voraus.”

Balkenhols spannungsreiche Inszenierung spiegelt die Polarität des Wagner-Bildes wider und lässt gleichzeitig viele Fragen unbeantwortet. Wie auch in seinen sonstigen Arbeiten, in denen er sich mit Menschenbildern beschäftigt, fordert Balkenhol hier den Betrachter auf, sich selbst einzubringen: “Nur wenn noch nicht alles gesagt ist, wird der Rezipient seine eigene Vorstellungskraft bemühen. Durch die Auseinandersetzung mit dem Werk können beim Betrachter vielfältige und durchaus unterschiedliche Sinnschichten entstehen”, so der Bildhauer.

Der 1957 im hessischen Fritzlar geborene Stephan Balkenhol ist seit 1993 Professor für Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Er lebt und arbeitet in Kassel, Karlsruhe, im französischen Meisenthal und in Berlin und ist unter anderem für seine grob gehauenen und farbig bemalten Holzskulpturen bekannt.

Auch wenn Balkenhol bevorzugt mit Holz arbeitet, werden ob der besseren Wetterbeständigkeit sowohl die Figur als auch die Silhouette Wagners in Bronze umgesetzt. Der unkonventionelle Entwurf hebt sich von allen bisherigen Wagner-Denkmalen ab. So soll Richard Wagner in seiner Eigenschaft als Sohn Leipzigs ins Bewusstsein gebracht werden. Im Unterschied zu Wagner-Städten wie Bayreuth, München oder Dresden wird in Leipzig ein eigenständiges Wagner-Bild geprägt werden.

Ermöglicht hat das Projekt der Wagner Denkmal e.V., eine Initiative Ehrenamtlicher, denen die Weiterentwicklung Leipzigs als Musik- und Kulturstadt am Herzen liegt. Die Realisierung ist – ohne Beanspruchung städtischer Mittel – durch Spenden gesichert.

www.wagner-denkmal.com

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