Jetzt ist sie doch gefunden, die Frage, die alle aktuellen Probleme unserer Gesellschaft in sich vereint. Wohin mit dem Leergut nach der Grillparty im Clara-Park? Nein im Ernst, dass ist natürlich nicht die Frage, deren Antwort die ultimative Lösung auf das viel beschriebene Auseinanderdriften unserer Gemeinschaft bietet. Und dennoch scheint es so, als würde die Frage, ob man sein Leergut für Flaschensammler neben den Mülleimer stellt, anstatt es achtlos hineinzuwerfen, die finanzielle und soziale Abgrenzung ein wenig aufheben. Denn mittlerweile beschäftigt diese Frage jene, denen es wirtschaftlich so gut geht, dass sie nicht auf die Rückgabe des Leerguts angewiesen sind.

Menschen, wie auch die Initiatoren der Petition “Pfand gehört daneben, Herr Jung!”. Denn aktuell sammeln sie auch in Leipzig mit ihrer Online-Petition Unterschriften für die Einberufung eines Arbeitskreises durch die Stadtführung. Sollten sich genügend Unterzeichner finden, soll dieser Arbeitskreis dann geeignete Lösungsansätze liefern, um Entwürdigung, Glasbruch und Verletzungen beim Flaschensammeln ein Ende zu bereiten. Rund 700 Unterzeichner sind es bereits, 2.000 werden gesucht, um hier kommunales Handeln in Gang zu bringen.

Niemand kann sie in deutschen Großstädten wie Berlin, Hamburg, Leipzig oder Dresden mehr übersehen oder überhören, die Flaschensammler, deren Motive auf den ersten Blick so klar und eindeutig erscheinen. Meist Abends ziehen sie mit ihren Taschenlampen von Mülleimer zu Mülleimer, hört man das klirren der leeren Flaschen in ihren Plastiktragetaschen an ihren Fahrradlenkern. Dem ersten Impuls der peinlichen Berührung folgt schnell die innere Frage über die möglichen persönlichen Umstände, die Menschen abends aus ihren Wohnungen treiben, um leere Flaschen aus dem Müll zu picken. Denn längst sind es nicht nur Obdachlose, die sich damit über den Tag und Monat bringen. Immer häufiger sind es vor allem Menschen die eigentlich von den Früchten ihrer Lebensleistung ein angemessenes Auskommen haben müssten.
Auf der Suche nach betroffenen Gesprächspartnern trifft man häufig auf eine Ablehnung, deren Ursprung man leicht erahnen kann. Vor allem ältere Menschen zeigen verständlicherweise eine gewisse Scham, wenn man mit Ihnen über die Gründe dieser Art des “Nebenerwerbs” ins Gespräch kommen möchte. Eine ältere Dame war dann doch bereit über ihre Beweggründe zu sprechen, der Einfachheit halber nennen wir sie mal Britta. Sie ist zirka 68 Jahre alt, lebt in Berlin, ist Rentnerin und für ihr Alter und Lebenslage erstaunlich adrett in eine hüftlange, rotbraune Lederjacke und silberne Turnschuhe gekleidet. Mit einem Ast bewaffnet läuft sie ihre beiden Flaschenbeutel im Schlepptau am bislang sonnigsten Sonntagnachmittag durch den Volkspark im Berliner Friedrichshain. Und verrät mit einem Augenzwinkern, dass sie sich keinesfalls dafür zu schade sei, den Wohlstandsmüll der vielen jungen Besucher dieser Berliner Naherholungsoase in Bargeld zu verwandeln. Um so ihre karge Rente aufzubessern. Ein Foto von sich mag sie dennoch nicht in der Zeitung sehen.

Bedürftig sei sie nicht, meint sie, aber das Geld hilft ihr, den Alltag besser zu meistern. Den Ast brauche sie, um die Flaschen vom Rest des Mülls zu trennen, fügt sie hinzu, während sie den nächsten Mülleimer ansteuert. Spätestens da wird klar, dass Flaschensammeln keine Frage von nur arm oder reich ist, sondern die Auswirkungen der aktuellen Sozialpolitik eigentlich damit schon in der Mitte unserer Gesellschaft spürbar angekommen ist.
Und genau hier beginnt die Frage nach dem Verbleib von Leergut doch gesellschaftlich relevant zu werden, denn möglicherweise ist es bald auch die eigene Mutter, oder der eigene Opa, der die Abfalleimer der Parkanlagen auf der Suche nach Pfandflaschen durchstöbert. Die Frage nach Möglichkeiten der Verbesserung der Lage aktiver Bedürftiger ist also mindestens einen Gedanken wert. Einen geeigneten Lösungsansatz liefert die Getränkemarke Lemonaid, deren angeschlossener gleichnamiger Verein verschiedene kulturelle und ökologische Projekte unterstützt. Getreu nach dem Motto “Nicht Reden sondern Handeln” hängen in einigen touristisch stark frequentierten Bezirken Berlins Leergutkisten der Marke an Laternenmasten, in denen jeder sein Leergut abstellen kann.

Eine unbürokratische, mögliche und sinnvolle Alternative, die wohl auch für Leipzig geeignet wäre. Eine gewisse Stachelwirkung hinein in Wohlstand und Überfluss einiger zudem – das Thema wird so noch sichtbarer im Alltag und so auch die Lage manches Mitbürgers. Doch wie bei allen sinnvollen Ideen, gibt es auch hier nicht nur positive Effekte. Einige befürchten, dass sich im Falle eines flächendeckenden Einsatzes solcher Kisten sofort mafiöse Strukturen um die Verwertung des Leerguts bilden würden. Ganz unbegründet ist diese Befürchtung nicht, verhindern sollte sie die konstruktive Suche nach Lösungen allerdings auch nicht.

Also könnte sich die Frage bald auch in Leipzig stellen: Herr Jung, gehört Pfand daneben? Und was geschähe mit Kästen, die an Laternepfählen angebracht wären? Und wie viele Leipziger stellen ihre Pfandflaschen bereits jetzt neben die wenigen städtischen Mülleimer?

Zur Leipziger Online-Petition & weitere Informationen
www.change.org/de
www.lemon-aid.de

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