Den Leipziger Kugeln, die ihm Oberbürgermeister Burkhard Jung hinschob, konnte Dr. Johannes Beermann, Chef der Sächsischen Staatskanzlei, dann doch nicht widerstehen. Er hatte noch ein kleines schlechtes Gewissen, weil er ein bisschen zu spät zur Pressekonferenz im Ratsplenarsaal des Leipziger Neuen Rathauses gekommen war, wo die die Broschüre mit den Veranstaltungen zu "200 Jahre Völkerschlacht" vorgestellt wurde. Er spottete ein bisschen über Leipzigs Schlaglöcher.

Burkhard Jung spottete zurück. Alles wieder gut. Wer sein Land auf Sparflamme fährt, wird seine Schlaglöcher nicht los. Und die Leipziger Kugeln – eine Nasch-Kreation – gibt’s ja extra zum Denkmals-Jubiläum. Da darf genascht werden.

In der Region um Leipzig haben die Veranstaltungen zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht schon begonnen, berichtet Dr. Gerhard Gey, Landrat des Landkreises Leipzig. Er wird mit der Aufzählung gar nicht fertig. Das Ereignis beschäftigte 70 Initiativen in und um Leipzig. Der Auftakt für Leipzig wird am Samstag, 25. Mai, mit dem Jubiläumsbürgerfest von 12 bis 18 Uhr am Völkerschlachtdenkmal gefeiert.

Auch wenn Burkhard Jung sagt: Wir feiern nicht. Oder mit seinen Worten: “Wir wollen unmissverständlich klar machen, dass wir hier keine Feier veranstalten.” Das Ereignis sei kein Grund zum Feiern. Eher einer zum Nachdenken und Gedenken. Auch zum Gewahrwerden, dass “an diesem Punkt 1813 Europa neu geordnet wurde. Wir sprechen in dieser Dimension auch vom 1. Weltkrieg und über die Grauen des 2. Weltkriegs. Und natürlich über den Elysee-Vertrag.” Der das heutige Europa begründete. Johannes Beermann setzt noch was drauf: die hoffnungsvolle Revolution von 1848/1849 und die Schlacht von Königsgrätz 1866.

Neuordnung sagt sich so schön. Mit der Schlacht bei Leipzig fiel das gerade von Napoleon neu geordnete Europa wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Seine Niederlage ebnete den Weg zum Wiener Kongress, der die alten Zustände wieder restaurierte. Mit den Folgen von 1848 und 1866. Aber das Denkmal wäre nicht, was es ist, hätte es nicht schon 1913 für etwas anderes gestanden. Es ist eben keines der üblichen deutschen Siegerdenkmale, auch kein Triumphklotz. Die Mahnung war ihm eingeschrieben – es hat nur nichts genutzt.Was ein Künstler wie Yadegar Asisi, der in Leipzig aufwuchs und seit zehn Jahren seine Panoramen in Leipzig zeigt, wohl zu recht pessimistisch macht. Er glaubt nicht wirklich, dass Menschen sich mahnen lassen und abhalten vom Wahnwitz der Kriege.

Er ist im Schatten des Kolosses aufgewachsen und fand ihn immer bedrückend. “Ich wollte mich auch nie mit der Völkerschlacht beschäftigen”, sagt er. “Ich finde Schlachten langweilig.” Aber auch verstörend. In Schlachtenpanoramen und Kriegsfilmen sieht er immer wieder das Heroische und das Nationalistische – diesen Missbrauch der Ereignisse für andere Zwecke. “Mich interessiert dieses Warum”, sagt er. “Warum tun Menschen sich das an?”

Deswegen zeigt er in seinem Panorama “Leipzig 1813” auch nicht die Schlacht, sondern die Stadt von der Höhe der Thomaskirche aus. Eine unversehrte Bürgerstadt mitten im Schlachtfeld. Am Horizont die brennenden Dörfer. In den Straßen die Flüchtenden, die Verletzten, die Toten. Eine Stadt im Ausnahmezustand. “Aber man darf auch nicht vergessen: eine Bürgerstadt”, sagt Asisi. Mit seinem Panorama will er zeigen, was man mit reinen Fakten nicht begreifen kann. Und er will eine alte Rechnung begleichen. Denn seit er 2003 erstmals ein Panorama in Leipzig zeigt – das Everest-Panorama – haben ihn “Eingeborene” wohl immer wieder bestürmt: Warum machst du nicht die Völkerschlacht? – Jetzt hat er sie “gemacht”. Auf seine Art: Anschaulich, vielleicht auch herzergreifend. So dass das Bild die Betrachter packt. “Geschichte hat nur einen Sinn, wenn wir begreifen, dass das, was passiert ist, in anderer Form immer wieder passieren kann”, sagt er. Der Augenblick am Ende der Schlacht mit dem fliehenden Napoleon am Horizont soll den Augenblick festhalten, wie er ist, ohne Worte. Und den Betrachter packen.Deswegen findet er auch das gut, was Dr. Volker Rodekamp, Direktor Stadtgeschichtliches Museum Leipzig und Projektleiter/Koordinator der Steuerungsgruppe zum Doppeljubiläum, gerade anstellt mit dem Denkmal und dem Jubiläum. Denn die fünf Tage der Gedenkwoche vom 16. bis 20. Oktober sind nicht nur jeweils mit einem anderen Thema besetzt, sie arbeiten auch alle hin auf eine Umdefinierung der Denkmalsbotschaft hin zu einem europäischen Friedensdenkmal.

“Die Umwidmung zum Friedensdenkmal”, sagt Asisi, “ist für mich ein ganz ambitionierter Ansatz.”

Aber da sind sich Asisi und Rodekamp zwei verwandte Geister. Auch Rodekamp will “die Rolle der Vergangenheit für die Zukunft deutlich machen”. Für ihn soll das Denkmal zu einem Erinnerungsort und Mahnmal für den Frieden in Europa werden. Deswegen beginnt die Gedenkwoche auch mit einem Diskurs über die Rolle von Geist und Kultur in Europa am 16. Oktober.

Der 17. Oktober steht im Zeichen der Versöhnung: Den 100. Geburtstag der russischen Gedächtniskirche, die an die 22.000 getöteten russischen Soldaten aus der Schlacht erinnert, nehmen die Veranstalter zum Anlass, um ein großes ökumenisches Versöhnungsfest zu feiern.

Erst der 18. Oktober ist dann der Tag der politischen Begegnung mit Gästen aus vielen Hauptstädten Europas. “Meine Kollegen aus Wien, Moskau, Stockholm und Warschau haben schon zugesagt”, sagt OBM Burkhard Jung. Zusagen hat er auch aus Leipzigs Partnerstädten Lyon, Krakow und Brno. Und er rechnet noch mit weit mehr. Denn an diesem Tag wird nicht nur das sanierte Denkmal feierlich übergeben, im Denkmal wird es einen vierstündigen politischen Festakt geben. Und nach der Friedensbotschaft wird auf dem See vorm Denkmal die Lichtinszenierung “Cosmogole” des Lyoner Künstlers Philippe Morvan in Aktion treten. Wie man hört, wird eine sich entfaltende Rose der Höhepunkt sein.

Die Friedensbotschaft liest übrigens Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, der die Schirmherrschaft für das Jubiläum übernommen hat. Am 19. Oktober findet das “Fest der Menschen” am Denkmal statt und am 20. erst kommen die Gäste in Uniform zum Zug, wird es das wohl größte Reanactment geben, das Leipzig je erlebt hat mit mindestens 6.000 Gefechtsdarstellern aus ganz Europa. Rodekamp rechnet sogar noch mit 1.000, 1.500 mehr.

Und er hat einen großen Wunsch an Leipzigs Superintendent Martin Henker. Denn um 17 Uhr an diesem Sonntag, 20. Oktober, wünscht sich Rodekamp von all den tausenden, die die Schlacht nachstellen, dass sie dann einfach das Feuer einstellen, die Waffen senken, sich umarmen und mit dieser eintretenden Stille tatsächlich die gewollte Friedensbotschaft vermitteln. “Und genau in diesem Moment wünsche ich mir, dass alle Glocken in Leipzig läuten”, sagt Rodekamp.

Noch hat ihm Martin Henker den Wunsch nicht erfüllt. Aber man ahnt, welche Wirkung diese Botschaft hätte.

www.voelkerschlacht-jubilaeum.de

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