Jetzt stellen wir uns mal ganz blöd an, muss sich CDU-Stadtrat Ansbert Maciejewski gedacht haben, als er am 18. Dezember eine Anfrage an die Leipziger Stadtverwaltung formulierte. Er hatte irgendwas läuten hören aus dem Sächsischen Städte- und Gemeindetag (SSG), von Seiten der Stadt Leipzig habe es einen Vorstoß gegeben, das Christliche aus dem Sächsischen Schulgesetz zu streichen.

“In Gremien des SSG wurde durch die Stadt Leipzig der Vorschlag unterbreitet, aus 1 (2) des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen den Passus christliche Tradition im europäischen Kulturkreis als Grundlage für das zu vermittelnde Wertesystem zu streichen. Gerechtfertigt wird dies mit der steigenden Zahl von Kindern mit Migrationshintergrund”, weiß er zu berichten. Und denkt auch nicht lange drüber nach, sondern findet: Da müsse doch vorher die Verwaltung erst mal den Stadtrat fragen, am besten die Fraktion mit dem C im Namen.

Und so fragt er: “Durch wen wurde festgelegt, dass die Stadt Leipzig eine derartige Position innerhalb des SSG vertritt? Zu welchem Zeitpunkt wollte der Oberbürgermeister den Stadtrat informieren? Welche städtischen Regelungen gelten generell für die Gremienarbeit von Vertretern der Stadt Leipzig im SSG sowie im Deutschen Städtetag?”

So gefragt klingt es natürlich, als habe die Verwaltung eine unglaubliche Position eingenommen und einen Vorstoß unternommen, der ihr nicht zusteht. War es nicht die CDU, die die Sache mit der “Leitkultur” aufgeworfen hat?

Indem er die steigende Zahl von Kindern mit Migrationshintergrund in Leipzigs Schulen benennt, benennt er natürlich nur einen Grund, der die Streichung des Passus “christliche Tradition im europäischen Kulturkreis” rechtfertigen würde.
Aber es ist nur einer, ein 13,3-prozentiger, wenn man mal den Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund in Leipzigs Schulen von 2013 als Beispiel nimmt.

Das eigentlich Verstörende ist nicht, dass Leipzig nun einen Vorstoß unternimmt, diesen Passus aus dem Schulgesetz zu streichen. Das eigentlich Verstörende ist, dass er überhaupt drin steht. Es gehört da gar nicht rein. Sachsen ist ein säkularer Staat, kein christlicher, auch wenn es seit 1990 wieder Mode geworden ist, seinen Glauben demonstrativ auch wieder in die Politik zu tragen. Die Mehrheit der Sachsen gehört überhaupt keiner Glaubensgemeinschaft an, auch nicht der christlichen. 11,8 Prozent der Leipziger gehörten 2014 einer evangelisch-lutherischen Gemeinde an, 4,4 Prozent einer römisch-katholischen. Selbst wenn man alle Migranten noch von der verbleibenden Bevölkerung abzieht, bleiben über 74 Prozent der Bevölkerung, die überhaupt keiner Glaubensrichtung angehören.

Da wirkt es schon seltsam, wenn dann im sächsischen Schulgesetz das Wort christlich auftaucht – in einem ellenlangen Satz übrigens: “Die schulische Bildung soll zur Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler in der Gemeinschaft beitragen. Diesen Auftrag erfüllt die Schule, indem sie den Schülern insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte wie Ehrfurcht vor allem Lebendigen, Nächstenliebe, Frieden und Erhaltung der Umwelt, Heimatliebe, sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Achtung vor der Überzeugung des anderen, berufliches Können, soziales Handeln und freiheitliche demokratische Haltung vermittelt, die zur Lebensorientierung und Persönlichkeitsentwicklung sinnstiftend beitragen und sie zur selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Anwendung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten führt und die Freude an einem lebenslangen Lernen weckt.”

Selbst beim zweimaligen Lesen wirkt die Formel “insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis” wie nachträglich hineingedrängt. Ganz so, als würden die Verfasser den Lehrern nicht zutrauen, den Kindern all die aufgezählten Werte nicht auch ohne Bibel beibringen können. Der Satz widerspricht sich auch selbst, wenn er gleichzeitig die “Achtung vor der Überzeugung des anderen” fordert. Denn diese Achtung würde damit beginnen, den eigenen Glauben nicht für das Richtmaß für alle anderen zu halten, so menschlich und liebenswert die christliche Religion sein mag. Tatsächlich bauen die modernen europäischen Demokratien nicht auf dem Christentum als Wertmaßstab auf, sondern auf der Aufklärung und den in der französischen Revolution erstmals formulierten Menschenrechten – unabhängig von jeder Religion.

Es war eine der größten Errungenschaften der europäischen Demokratien, die Trennung von Staat und Kirche bewerkstelligt zu haben. Auch im Grundgesetz der Bundesrepublik ist das verankert. Aber durch solche Floskeln wie im sächsischen Schulgesetz wird das wieder aufgeweicht, wird suggeriert, nur das Christentum böte die nötigen moralischen Maßstäbe, die aus Kindern verantwortungsvolle Persönlichkeiten machen.

Und indem Ansbert Maciejewski nun so tut, dass die Leipziger Stadtverwaltung eigentlich kein Recht habe, so einen Vorstoß zu wagen, bedient er wieder dieses seltsame Irrlichtern, das derzeit bei Dresdner Montagsspaziergängen als “christliches Abendland” fröhliche Urstände feiert. Er zündelt ein bisschen mit diesem kleinen Feuerzeug, mit dem das “Christentum” des Abendlandes nun wieder in Stellung gebracht wird wider die Andersgläubigen aus der Fremde.

Dabei ist es überfällig, dass der genannte Passus aus dem Schulgesetz verschwindet und auch in Sachsens Regierung wieder die Erkenntnis wächst, dass Schule zur Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten da ist, eingebundenen in den Wertekanon von Grundgesetz und Menschenrechten. Die Religion gehört in die Kirche.

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