„Geld verdirbt den Charakter“, heißt es immer wieder. Das mag zutreffen. Gerade bei Leuten, die mit irrwitzigen Summen jonglieren und „Tschakka!“ brüllen, wenn sie wieder eine Wette auf abstürzende Aktienkurse oder bröckelnde Staatsanleihen gewonnen haben. Aber dahinter steckt noch etwas anderes. Denn Geld ist geronnene Macht. Es ist die Verführung der Macht, die den Charakter verbiegt: die Lust, andere Menschen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.

Denn das kann man mit Geld. Geld macht gefügig. Mit Geld kann man Menschen auch kaufen, Aufmerksamkeit sowieso, Wohlgefälligkeit auch. Geld definiert Macht. Deswegen ist die Diskussion über die obszönen Gehälter von Managern so schräg: Sie unterstellt, die Bezahlung dieser Leute hätte etwas mit ihrer Leistung, ihren Fähigkeiten oder dem Wert ihrer Arbeit zu tun. Dabei signalisieren die Nullen vor dem Komma nur: Dieser Mann hat Macht.

Frauen passiert das ja seltener. Irgendwie fehlt ihnen die Lust, andere Menschen mit Macht zu provozieren oder eben mit dem Äquivalent: einer sinnlos hohen Honorierung, die mit den Bedürfnissen der Honorierten nichts zu tun hat, aber vor allem signalisiert: Dieser Mann ist mächtig.

Nach seiner Pfeife tanzen auch Ministerpräsidenten, Mitarbeiter von Kartellbehörden, wahrscheinlich auch die – im Vergleich – lächerlich bezahlte Bundeskanzlerin.

Wenn über die auseinanderklaffende Schere von Reich und Arm debattiert wird, wird eine andere Schere ignoriert: die Schere zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen. Doppelt Ohnmächtigen. Denn in einer Gesellschaft, in der sich alles über Geld und Reichtum definiert, bedeutet Armut schlicht: Machtlosigkeit.

Was ja vor Weihnachten ein großes Thema in vielen Medien war. Denn genau das stand in einigen gestrichenen Passagen des Armutsberichts der Bundesregierung. „Das Kanzleramt streicht Passagen über den politischen Einfluss von Gutverdienern aus dem Armutsbericht“, schrieb zum Beispiel das „Manager Magazin“.

„Systematisch verzerrte Entscheidungen? Die Responsivität der deutschen Politik von 1998 bis 2015“, nennt sich die Studie, die das von Andrea Nahles (SPD) geführte Sozialministerium komplett übernahm, das Kanzleramt aber nur in einer gekürzten Version.

Responsivität ist die Beeinflussbarkeit der politischen Mandatsträger, ihre Bereitschaft, auf die an sie herangetragenen Wünsche der Wähler einzugehen. Erst einmal ganz wertfrei. Wenn alle Bürger gleichermaßen Einfluss haben, ist alles in Ordnung.

In der Diskussion um die Ergebnisse der Studie werden die drei Autoren noch deutlicher: „Darüber hinaus konnten wir erstmals für Deutschland nachweisen, dass politische Entscheidungen mit höherer Wahrscheinlichkeit mit den Einstellungen höherer Einkommensgruppen übereinstimmen, wohingegen für einkommensarme Gruppen entweder keine systematische Übereinstimmung festzustellen ist oder sogar ein negativer Zusammenhang. Was Bürger_innen mit geringem Einkommen in besonders großer Zahl wollen, hatte in den Jahren von 1998 bis 2013 eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit, umgesetzt zu werden.”

Und weiter: “In Deutschland beteiligen sich Bürger_innen mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maß an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen. Damit droht ein sich verstärkender Teufelskreis aus ungleicher Beteiligung und ungleicher Responsivität, bei dem sozial benachteiligte Gruppen merken, dass ihre Anliegen kein Gehör finden und sich deshalb von der Politik abwenden – die sich in der Folge noch stärker an den Interessen der Bessergestellten orientiert. Das für die USA nachgewiesene Muster von systematisch verzerrten Entscheidungen trifft auch auf Deutschland zu.“

Das ist eine Botschaft direkt ins Herz unserer Demokratie.

Stand übrigens Juni 2016, weit vor Donald Trumps Sieg in den Präsidentschaftswahlen. Woran es liegt, dass die Entwicklung so gekippt ist, können die beiden Autorinnen und der Autor nur mutmaßen. Ein Grund könnte der soziale Status der Politiker selbst sein – man macht dann vor allem Politik für die Gesellschaftsgruppe, zu der man selbst gehört.

Was das Problem ja nicht löst. Das nicht nur ein Problem der Mehrheiten ist. Denn auch Minderheiten fühlen sich schlecht vertreten. Das Wort Ostdeutschland fällt. Während das reiche Bayern Tag für Tag die politischen Debatten dominiert und mit Forderungen auch sichtbar Druck ausübt – herrscht für die sechs ostdeutschen Bundesländer so eine Art Wundstille und Wegduck-Programm. Das nahe an ein Bashing-Programm kommt, wenn man die immer neuen Angriffe meinungsstarker Magazine etwa auf das nunmehr rot-rot-grün regierte Berlin sieht. Jan Fleischhauer zum Beispiel, der Bashing-Spezialist von „Spiegel Online“: „Rot-Rot-Grünes Experiment: Deutsche, schaut auf diese Stadt“.

Mit einer nüchternen Politikanalyse haben seine Beiträge nichts zu tun. Aber gerade bei allen Politikmodellen jenseits von schwarz-plus-x wird deutlich, wie gleich dutzende meinungsschwere Medien beginnen, die eher linken Bündnisse wie eine unfähige Krabbelgruppe zu bewerten, die einfach nicht die „richtigen Themen“ für wichtig hält. „Statt über Videoüberwachung und Abschiebung diskutiert man lieber über ‚Geschlechtergerechtigkeit‘ und ‚Energiearmut‘“, beschwert sich Fleischhauer und demonstriert damit sehr eingängig, wie auch Medien dafür sorgen, die Themen der Anderen abzuwerten, lächerlich zu machen und für unwichtig zu erklären, die Themen der Reichen aber als „die eigentlichen“ zu behaupten.

Videoüberwachung und Abschiebung sind Themen reicher, besorgter Bürger.

Sie wollen sich nicht mit Armut und den Problemen von Gruppen beschäftigen, die nicht so sind wie sie. Die Themen sind nur Beispiele. Ähnlich zerfaserte die Diskussion ja, als es um die Einführung des Mindestlohnes ging. Die Diskussion um das Grundeinkommen wurde gleich wieder kassiert, weil sie in den Köpfen einiger Akteure immer gleich mit Leistungsdenken verknüpft ist: Wer arbeitet denn dann noch, wenn alle Leute ein Grundeinkommen haben? Der Verdacht, die Armen, die bis jetzt für Minilöhne gejobbt haben, könnten dann einfach den ganzen Tag faulenzen, der ist bei einigen Vertretern der reichen Elite sofort da. Und er hat, wie man weiß, genau die Jahre von 1998 bis 2013 überschattet, die die Studie untersucht hat.

Das Denken der Reichen und Mächtigen hat sich ziemlich offen präsentiert. Und die Abkehr der Wähler hatte auch etwas mit einer abgrundtiefen Enttäuschung zu tun: Eine komplette Partei hat vor ihren Augen die Seite gewechselt. Sie haben Machtlosigkeit direkt am Bildschirm erlebt.

Was natürlich die Frage aufwirft: Haben Parteien, die vor allem die Interessen der ärmeren Gesellschaftsmitglieder vertreten, keine Chance mehr, überhaupt noch politisch zu gestalten? Oder gibt es sie gar nicht mehr? Macht man sich als Politiker schon verdächtig, wenn man überhaupt von Gerechtigkeit und Teilhabe spricht?

Oder schlägt ein ganz anderer Effekt zu: das Nicht-Wissen um die Funktionsweise der Macht? Stichwort: „House of Cards“. Denn Macht ist nichts, was sich über Gerechtigkeit oder Wahlproporz herstellt, sondern durch die Fähigkeit, Menschen – siehe oben – „nach seiner Pfeife tanzen zu lassen“, sie zu verführen, zu bestechen, zu manipulieren.

Ja, es gibt auch die akzeptablen Formen: Überzeugen, Erklären, Einbeziehen. Positives Teamworking.

Aber der Blick in die mediale Realität zeigt …

Die machiavellistischen Methoden überwiegen. Und sie sorgen vor allem für eins: Einschüchterung. Übersetzbar auch als: Machtdemonstration. Aber wenn die Gier nach Macht unsere Gesellschaften dominiert, bleibt kein Platz für rationale Entscheidungen. Denn die setzen voraus, dass alle rationalen Argumente auch eine Rolle spielen, nicht nur die derjenigen, die sich immer durchsetzen, weil sie mächtiger sind und höheres Risiko fahren können. Und mehr Lust an der Machtausübung haben.

Womit dann politische Abwägungsprozesse eigentlich ihre Rationalität verlieren. Politik wird scheinbar inhaltsleer und nur noch der Kampf der Streithähne interessiert. Auch medial.  Was dann endgültig zum Verschwinden jeder ernsthaften öffentlichen Debatte über die eigene Gesellschaft führt. Medien wechseln über zur Fußballberichterstattung. Und wenn die kickenden Millionäre wieder verloren haben, wird der Trainer geschasst. Politik wird zur Inszenierung. Aber über Macht redet man nicht. Genauso wenig wie über Geld. Man hat oder hat eben nicht. Der Rest ist Schweigen.

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