Darf es in der Politik Emotionen geben? Emotionale Politiker, die das, wofür sie stehen, mit Verve vertreten und auch nicht umfallen, wenn irgendjemand meint, jetzt müsse sich alles brav hinter einer Fahne versammeln? Oder man müsste jetzt über die wilden Behauptungen eines kleinen Trump aus Bayern debattieren? Der ja sichtlich die Kunst beherrscht, die Stimmung im Laden anzuheizen.

Was in den USA passiert, passiert auch in Deutschland. Nicht ganz so schnell, gebremst durch die Umstände. Aber wenn Politiker keine Ideen, keine Visionen, keine Projekte haben, dann beginnen sie Emotionen wie Hass, Verachtung, Angst und Arroganz zu pflegen.

Wir bemühen uns ja wirklich redlich, in dem ganzen Gedöns von Donald Trump irgendeine Art Vision zu entdecken, ein irgendwie greifbares Bild der USA, wie sie in Zukunft einmal aussehen soll. Aber egal, wen und was wir dazu lesen: Da ist nichts. Da ist nur ein Bild von einem Amerika, das dieser Mann aus der Vergangenheit in die Zukunft transportieren und „wieder groß machen“ möchte.

Womit er ja nicht der erste Kandidat der Republikaner ist, der so völlig ohne Vision in den Wahlkampf zog. Wer keine Projekte hat, der fängt nach dem Wahlsieg an zu lavieren. Symptomatisch ist dafür just die frühe Regierungszeit von George W. Bush, dem der Terroranschlag vom 11. September 2001 wie ein Geschenk in den Schoß fiel, weil er ihm das Argument lieferte, sich fortan in einen Krieg stürzen zu können, der „die Nation hinter ihm einte“. Und der heute so fatale Folgen zeigt.

Dabei vergaß man eigentlich, dass das Programm dieses Präsidenten eigentlich ein leeres weißes Blatt war. Wer keine Vision hat, führt Kriege. Und erledigt im Schatten des großen Trommelfeuers das, was er eigentlich will: Seine Kumpane mit Großaufträgen einzudecken. Der Imperialismus, von dem Oliver Stone schreibt, ist nichts anders als die zur Macht gelangte Gier der Superreichen. Und augenscheinlich ist diesen Leuten jedes Mittel recht, an die Macht zu kommen. Das, was man Trump nachsagt, war bei den Republikanern schon vorher usus. Es sei nur daran erinnert, wie schon die Tea-Party-Bewegung die Republikaner regelrecht kaperte und dabei schon genau jene erzreaktionären Bevölkerungsgruppen mobilisierte, die Trump zum Wahlsieg verholfen haben: Klerikale, Fundamentalisten, Chauvinisten, Waffennarren, Fanatiker.

Ein Gemisch, wie es – so vermutet ja Christian Stöcker im „Spiegel“ – auch die AfD gern ansprechen möchte: „Aus Wählern werden Stammeskrieger“.

Eine steile These, die so ganz nicht aufgeht. Denn auch die Demokraten haben sich ja in der Präsidentschaftswahl nicht unbedingt als Stammeskrieger verhalten wollen, auch wenn sie die Trumpsche Stimmungsmache beim konservativsten Wählerklientel sehr wohl beobachten konnten.

„… wenn rechtsnationale Giftspucker den Tonfall der politischen Debatte bestimmen können, sind demokratische Gesellschaften in Gefahr“, stellt Stöcker fest. Aber das ist ja nicht der Verdienst der Stammeskrieger. Groß werden sie nur, wenn die etablierten Medien und Politiker ihre Thesen und Emotionen übernehmen. Leute wie Seehofer, der es einfach nicht lassen kann, und die Stimmung anheizt – gegen Flüchtlinge, gegen das Asylrecht, gegen die Bundeskanzlerin, die ja nicht wegen ihrer tollen Ideen so auffällt und zum Stein des Anstoßes für die wilden Rechten geworden ist, sondern weil sie mit ihrer Fähigkeit zum Konsens den Wesenskern von Politik in unserer Demokratie verkörpert.

Was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass eben nicht nur Seehofer immer weiter Stimmung macht gegen das grundsätzliche Gastrecht in unserem Land. Damit trägt er die Argumentationsschienen der aufschäumenden Rechten mitten in die politische Diskussion – und in die Medien sowieso, weil er ganz genau weiß, dass jede seiner Sticheleien sofort zur Schlagzeile wird. Er macht sich selbst zum Verstärker zutiefst menschenfeindlicher Positionen.

Wie schreibt Christian Stöcker so schön? – „Die Polarisierung kann aber nur gelingen, wenn auch die anderen Parteien mitmachen.“

So ist das.

Wobei der Satz vielleicht sogar zu kurz ist, auch wenn er lang genug ist, auch die Hardliner-Statements eines Bundesinnenministers oder einer Linke-Fraktionsvorsitzenden mit zu erfassen. Wahrscheinlich merken sie es nicht einmal mehr, wie sie damit die Frames des Rechtsaußen-Lagers verstärken obwohl sie vielleicht glauben, ihre eigene Position zu beschreiben. Doch wenn Frames derart eine Gesellschaft dominieren, dann merken Viele gar nicht mehr, wie diese Frames ihr eigenes Denken verändern, fokussieren, verschieben. Die Negation der Frames reicht nicht, schreibt Elisabeth Wehling in ihrem Buch „Politisches Framing“.

Denn damit verstärkt man die Wirkmacht dieser Bilder und Botschaften.

Deswegen reicht das Nicht-Mitmachen, das Stöcker als demokratische Tugend sieht, wohl nicht.

Es braucht noch etwa anderes. Eine eigene Frame-Setzung. Eine, die genauso starke Emotionen schürt. Positive. Denn das haben wir ja im 20. Jahrhundert auch gelernt, dass auch positive Frames mächtige Wirkung entfalten können. Man darf durchaus an Personen wie John F. Kennedy, Martin Luther King, Nelson Mandela und Michail Gorbatschow denken. Oder Willy Brandt: „Mehr Demokratie wagen.“

Da steckte ein Projekt dahinter, eine Ermutigung für ein ganzes Land und eben nicht der Kampf von „Wir gegen die“. Das ist eine andere Haltung zu Politik, die Politik nicht zum Wrestling-Kampf macht, sondern zum Wettbewerb um machbare Visionen.

Das fehlt aber.

Schon seit Jahren.

Und damit meinen wir gar nicht Gerhard Schröders grausige „Agenda 2010“, dieses Spukgebilde neoliberaler Kontrollsucht.

Zu tun gäbe es genug: die Bundesrepublik (und mit ihr ganz Europa, das wäre schon eine echte Herausforderung) wieder in ein Land voller Dynamik zu verwandeln zum Beispiel. Denn nicht nur die Schere zwischen Arm und Reich klafft auseinander. Immer mehr junge Europäer erleben diese Gesellschaft als eine ohne Aufstiegschancen, ohne Chancen, ihre Träume zu verwirklichen. Eine Visions-Verhinderungsgesellschaft. Aufstieg in der Gesellschaft wird wieder vom Reichtum der Eltern bestimmt. Das Geld bestimmt, was einer wird, nicht sein Talent.

Der Frust, den die Populisten abholen möchten, ist ja echt: Unsere Gesellschaft steckt voller frustrierter Menschen, die aus oft völlig unterschiedlichen Gründen das Gefühl haben, dass sie nicht mehr zählen. Nicht mal bei der Wahl. Und das ist ein schlimmes Zeichen. Na logo suchen die nach einer Idee, der sie hinterherlaufen können. Einer Idee von einer Gesellschaft, in der sie sich wieder gemeint fühlen. Vielleicht nicht mal heimisch. Heimat ist ja immer nur der Rettungsanker, wenn da draußen in der Realität nichts mehr geht und alles nur noch verwaltet wird. Der Topos, auf den man sich beruft, wenn man merkt, dass „die da oben“ doch nur ihr Ding machen.

Demokratie ist auch etwas, das – wenn sie wirklich ernst gemeint ist – Menschen einbindet in das Große und Ganze, sie zu Mitwirkenden macht, nicht zu Bittstellern oder gar Klienten.

Der Aufstand der Populisten funktioniert im Grunde vor allem deshalb, weil sich viele Politiker und Parteien im Verwalten eingerichtet haben und ihre überzeugende Geschichte, ihre Emotion nicht mehr sichtbar sind. Sie werden von den wilden Frames der Menschenfeinde regelrecht überrollt – und sind auch noch so dämlich, darauf einzugehen.

Selbst ist der Visionär, könnte man sagen. Und Emotionen hat er, richtig starke. Weil er dafür kämpfen und einstehen will.

Hallo? Ist da jemand?

Tja, kann schon ziemlich trist sein auf Erden, wenn alle Deppen dem Geheul der Mauerbauer hinterherrennen.

Hallo! Ist da jemand?

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