Man freut sich ja riesig, wenn auf einmal Bündnispartner auftauchen, die man als solche nie und nimmer vermutet hätte. Horst Köhler zum Beispiel, unser ehemaliger Bundespräsident, der 2010 mit so viel Frustration aus dem Amt schied. Da erschien er wie ein stahlharter Transatlantiker, der Waffeneinsatz für wirtschaftliche Zwecke für etwas Selbstverständliches hielt. Und nun? Nun macht er Druck für eine ökologische Transformation.

Nicht nur in seiner Rede zum 25. Geburtstag der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, aus der die „Zeit“ am 29. Dezember einen Auszug brachte, sondern auch auf seiner Homepage. Was schon ungewöhnlich ist. Selten setzt ein deutscher Bundespolitiker sein gesellschaftliches Engagement nach dem Ausscheiden aus dem Amt so öffentlich fort, und das auch noch mit eindeutig veränderten Vorzeichen. Zumindest, wenn man annimmt, dass die transatlantische Militäreinsatzbereitschaft 2010 sein zentrales Verständnis für das internationale Agieren der Bundesrepublik war.

Das Geheul war ja bekanntlich groß, machte aber umso mehr deutlich, dass deutsche Regierungspolitiker seit 1998 jede Menge geredet haben über human gemeinte Militäreinsätze, sich aber immer um die eigentliche Frage gedrückt haben: In wessen Interesse und mit welchen Zielen sollte so etwas überhaupt begründet sein? Bloß durch einen Beschluss im Nato-Rat? Oder die wilden Einfälle eines US-Präsidenten?

Denn dass die Welt an allen Ecken brennt, hat ja wenig mit den finsteren Machenschaften diverser Diktatoren oder grausamer Terrormilizen zu tun, sondern mit dem Verlust wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und ökologischer Stabilität. Die großen Kriege der letzten Jahrzehnte waren allesamt (mehr oder weniger versteckt) Kriege um Rohstoffe und Ressourcen. Ein paar hochgerüstete Mächte (vor allem des Westens) haben ihre militärische Überlegenheit dazu genutzt, einer ganzen Menge Staaten ihre Vorstellung vom richtigen Regieren und Ressourcenverteilen aufzuzwingen.

Die Ergebnisse kann man besichtigen. Das sind nicht nur „failed states“ und neue korrupte Herrscher, die die geschundenen Länder beherrschen – die ökologischen Probleme drohen gerade, ganze Regionen endgültig unbewohnbar zu machen. Vielleicht war es genau das, was Horst Köhler zum Umdenken gebracht hat.

Immerhin ist er ein Mann, der rechnen kann und gelernt hat, ein paar mehr Zusammenhänge zu begreifen, als nur die schöne deutsche Tümpel-Welt. Immerhin war er auch mal Chef des IWF und hat mitbekommen, wie die diversen Hilfs- und Austeritätsprogramme des IWF wirkten – nämlich manchmal verheerend. In einem verstörenden Sinn, denn eigentlich wollte und sollte der Internationale Währungsfonds ja Gutes tun und mit Krediten, die durch Sanierungsprogramme begleitet waren, Staaten wieder zu einer belastbaren Haushaltsführung verhelfen.

Dass das immer wieder schiefgegangen ist, hat ja auch seiner Nachfolgerin beim IWF, Christine Lagarde, zu denken gegeben. Die ja nun seit geraumer Weile versucht, den unbelehrbaren deutschen Finanzminister zu beschwören, von seiner verbissenen Austeritätspolitik gegenüber Griechenland abzurücken. Wenigstens das. Das neue Konzept des IWF, wie er künftig überhaupt noch sinnvoll funktionieren könnte, fehlt bis dato.

Aber dass es ohne eine echte globale Partnerschaft nicht geht, das spricht mittlerweile Horst Köhler aus. Der das vor zehn Jahren garantiert so noch nicht formuliert hätte. Schon gar nicht in der Zuspitzung, dass es der Bundesrepublik Deutschland nur dann gutgehe, wenn es der ganzen Welt gutgeht. Deutschland hat nur dann eine positive Zukunft, wenn es mit dafür sorgt, dass es allen anderen Ländern besser geht und die großen Probleme unserer Zeit – Armut, Zerstörung der Umwelt, Klimawandel – gelöst werden. Gemeinsam und vor allem: zuerst bei uns.

Wir müssen Vorbild und Vorreiter sein. Nicht China oder Indien oder gar die USA, die nun gerade wieder den rußigen Rückwärtsgang eingelegt haben. Das ist das eigentliche Europa-Projekt (das wir auch noch nicht zu Ende geschrieben haben in der L-IZ, sorry – aber alles schaffen wir auch nicht). Deutschland muss vor allem sich selbst beweisen, dass es (noch) fähig ist, ein wirklich herausforderndes Projekt zu stemmen: die komplette Transformation der Energiewirtschaft. Das ist ein Großprojekt. Manchmal muss einer wie Köhler kommen und das erst mal wieder sagen. Kaninchen bringen so etwas nicht fertig. Das braucht einen echten Masterplan. (Sorry für dieses gern missbrauchte Wort, mit dem jede Menge kleingeistiger Leute ihre kleinen Projekte bezeichnen, die sie so zaghaft umsetzen, dass man dabei einschlafen könnte). Das hätte der deutsche Klimaschutzplan werden können. Es wurde ein laues Lüftchen. Nur ja keine Ziele setzen, Schritte definieren, Start- und Zielpunkte. Köhler zeigt seine Enttäuschung über das laue Lüftchen deutlich.

Recht hat er.

Denn es ist – schon wieder – eine versemmelte Chance.

Das Tempo bestimmt nämlich auch in Wirtschaft und Forschung derjenige, der konsequent losmarschiert, Ziele definiert und die Latte hinlegt.

Horst Köhler: „Wir brauchen deshalb jetzt endlich einen wirksamen Preis auf CO₂, und zwar entweder durch eine Steuer oder einen Emissionshandel, der funktioniert. Er würde ein globales Wettrennen auslösen in den Laboren und Denkfabriken der Unternehmen und Universitäten, um die besten Lösungen für eine klimaneutrale Ökonomie zu entwickeln. Nur dann kann der Suchprozess Transformation gelingen.“

Denn Köhler denkt natürlich auch an Markt und Wirtschaft und an die Frage, wer denen eigentlich sagt, wohin die Reise gehen soll. Hat das jemals „die Wirtschaft“ bestimmt? Noch nie. Die Ziele haben sich immer Gesellschaften selbst gegeben. Die wirklich großen Projekte waren allesamt gesellschaftliche Projekte, mit deren Umsetzung und Austüftelung dann logischerweise die Wirtschaft beauftragt wurde – angefangen von der Eroberung der Welt durch Eisenbahnen im 19. Jahrhundert über die Elektrifizierung der kompletten Welt und den Bau moderner Autobahnnetze in der Weimarer Republik bis hin zum Aufbau von Atomkraftwerken (die sich nicht wirklich als die Lösung des Problems erwiesen) und die Weltraumfahrt (wo man erstmals international kooperieren lernte).

Und der Handlungsauftrag für die nächste Etappe heißt nun einmal: eine Welt ohne fossile Kraftwerke zu schaffen.

Und natürlich stehen die Bosse der alten schmutzigen Konzerne allesamt da und betteln darum, dass es nicht so kommt. Tatsächlich aber blockieren sie nur den Sprung auf die nächste Stufe. Horst Köhler: „Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass wir allem voran zu einem neuen Verhältnis zwischen Markt und Staat kommen müssen. Der Markt schafft Innovationen im Wettbewerb der Ideen. Aber der Markt richtet nicht alles zum Guten. Wir leben in einer globalen Externalisierungsökonomie, die die wahren sozialen und ökologischen Kosten von Produktion auf andere Erdteile und zukünftige Generationen auslagert.“

Mittlerweile haben wir ja gelernt, dass uns all die ausgelagerten Schweinereien allesamt wieder erreichen – als Bumerang. Was „aus den Augen und aus dem Sinn“ ist, sorgt für ökologische und kriegerische Katastrophen, die auch wieder in unsere heimelige Stube hineinleuchten. Und vor allem die Welt immer mehr in einen Ort verwandeln, an dem man weder mehr Urlaub machen noch gut wirtschaften kann. Und wo die Gesprächspartner verloren gehen, mit denen man überhaupt noch über gemeinsame Weltrettungs-Projekte reden kann. Die panische Bewegung zurück in die eigene Höhle ist ja in der ganzen westlichen Welt zu beobachten. Höhlenbewohner aber werden keine großen Strukturprojekte auf die Reihe bekommen.

Solche wie den nachhaltigen Umbau Europas, der jetzt fällig ist. Überfällig. Und der mit Konfrontation und Eigenbrödelei nicht zu schaffen ist.

Oder um einmal aus einer Rede zu zitieren, die Horst Köhler 2015 in Gießen gehalten hat: „Wir leben in einer Diktatur der Gegenwart, obwohl wir nichts dringender bräuchten als eine Demokratie der Weitsichtigkeit. Ich glaube, dass die großen Konflikte unserer Zeit gar nicht so sehr zwischen verschiedenen Staaten oder Branchen oder Gesellschaftsgruppen stattfinden, sondern zwischen uns und unseren Enkeln, zwischen einer Politik für das Heute und einer Politik für das Morgen. Wenn ich also frage, wie eine Welt ohne Armut und Umweltzerstörung möglich ist, dann stelle ich auch die Frage danach, welchen Mut wir zu langfristigen politischen Visionen haben, welche Phantasie über unsere gemeinsame Zukunft. Und ich stelle die Frage danach, welche Kraft wir haben, uns heute schon so zu verändern, dass auch unsere Enkel eine gute Zukunft haben.“

Das ist das nachhaltige Denken, mit dem heute eigentlich Politik gemacht werden müsste.

Und jetzt suchen wir mal die Politiker dazu, die das nötige Format dafür haben. Für das, was Köhler in den Satz packt: „Wir können die große Transformation und den verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen der Welt zur neuen Geschichte Europas machen.“

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